TE Vfgh Erkenntnis 2004/2/24 B1106/03

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Veröffentlicht am 24.02.2004
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs3 litd
EMRK Art10
EMRK 7. ZP Art4

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen des Vorwurfs der Kollusion gegen einen anderen Anwalt; keine Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit im Strafverfahren; vertretbare Bewertung einer Zeugenaussage als unerheblich; keine Verletzung des Doppelbestrafungsverbotes und der Meinungsäußerungsfreiheit

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 1. Oktober 1999 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen zu haben, weil er einem anderen Rechtsanwalt in Schriftsätzen zu Unrecht "Kollusion zum Nachteil seiner Mandantin" sowie "rechtlich unvertretbares und mit dem Interesse des Prozeßgegners abgestimmtes Handeln in der Absicht der Schädigung der Interessen seiner Mandantin und deren durch gerichtlichen Vergleich tatsächlich verwirklichter Schädigung" vorgeworfen und ihn dadurch unnötig in den Streit gezogen habe. Über den Beschwerdeführer wurde deswegen eine Geldbuße in Höhe von ATS 20.000,- (ca. € 1.453,46)verhängt. Der gegen dieses Disziplinarerkenntnis erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Berufungserkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK) vom 2. Juli 2001 keine Folge gegeben. In Stattgebung seiner Beschwerde gemäß Art144 B-VG hat der Verfassungsgerichtshof dieses Berufungserkenntnis mit Erkenntnis vom 19. Juni 2002 aufgehoben, weil der Beschwerdeführer durch den Bescheid der OBDK in seinem Recht auf ein faires Verfahren iSd. Art6 Abs1 EMRK verletzt war (zum Ablauf des Disziplinarverfahrens im ersten Rechtsgang vgl. das Erkenntnis vom 19. Juni 2002, B1404/01-6).

Zur Begründung führte der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf seine Vorjudikatur (VfSlg. 15495/1999) aus:

"... die Disziplinarbehörden [haben] den festgestellten - der Verurteilung zugrundegelegten - Sachverhalt auf die schriftlich festgehaltenen Aussagen der Zeugin Ka H (sowie des Zeugen Ku H) gestützt. Die genannten Zeugenaussagen sind bei einer nichtöffentlichen Vernehmung vor dem Untersuchungskommissär abgegeben worden, bei der der Beschwerdeführer nicht anwesend war. Wie außerdem aus der am Vernehmungsprotokoll vermerkten Geschäftszahl hervorgeht, erfolgte diese Vernehmung nicht in dem den Beschwerdeführer betreffenden Disziplinarverfahren (Zahl D 172/98), sondern offenkundig im Rahmen einer gegen einen anderen Rechtsanwalt gerichteten Voruntersuchung (es scheint dort die Geschäftszahl 'D 183/98, Dr. W H' auf).

Der Disziplinarrat hat die Niederschrift über die Zeugenaussage - deren Inhalt er in seinen Feststellungen mehrmals verwertete - bloß verlesen. Die OBDK übernahm diese Feststellungen des Disziplinarrats und führte ebenfalls keine unmittelbare Einvernahme dieser Zeugin durch, obwohl der Beschwerdeführer die mündliche Einvernahme der Zeugin Ka H im Berufungsverfahren beantragt hatte.

Dem Beschwerdeführer war auf diese Weise jegliche Möglichkeit genommen, jene Zeugin in einer kontradiktorischen mündlichen Verhandlung zu befragen, auf deren Aussagen sich der Disziplinarrat - und diesem folgend die OBDK - bei der Feststellung des von ihnen als entscheidungserheblich erachteten Sachverhalts ausdrücklich gestützt haben."

2. Im fortgesetzten Verfahren hat die OBDK das Beweisverfahren im Rahmen einer weiteren mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers ergänzt. In dem nunmehr im zweiten Rechtsgang erlassenen Berufungserkenntnis wurden ergänzende Feststellungen zum Sachverhalt getroffen. Der Berufung des Beschwerdeführers wurde im Strafausspruch durch Herabsetzung der Geldbuße auf € 750,- Folge gegeben; im Übrigen wurde der Berufung keine Folge gegeben. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Ladung und persönliche Einvernahme der Zeugin Ka H (der nunmehrigen Lebensgefährtin und Mutter des außerehelichen Kindes des Beschwerdeführers) ist die OBDK mit näherer Begründung nicht nachgekommen.

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich zunächst in seinem gemäß Art6 Abs3 litd EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht dadurch verletzt, daß die Zeugin Ka H (nunmehr: P) von der OBDK im fortgesetzten Verfahren nicht geladen und einvernommen wurde. Die persönliche Einvernahme der Zeugin sei keineswegs unbeachtlich gewesen. Sie habe die wesentlichen Informationen zu ihrer Vertretung beigestellt. Für die Beurteilung der Zulässigkeit der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Handlungen sei maßgeblich, welche Informationen die Zeugin dem Beschwerdeführer vermittelt habe, insbesondere zur Frage, inwiefern deren früherer Rechtsvertreter gegen ihre Interessen gearbeitet habe und inwiefern dieser gemeinsam mit dem Vertreter ihres damaligen Prozeßgegners "gemeinsame Sache" zugunsten des Prozeßgegners gemacht habe.

1.2. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach die OBDK im fortgesetzten Verfahren neuerlich die Verfahrensgarantien des Art6 EMRK verletzt habe, ist folgendes entgegenzuhalten:

1.2.2. Nach Art6 Abs3 litd EMRK hat jeder Angeklagte das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken. Die Bestimmung dient der Sicherstellung der Waffengleichheit im Strafverfahren, sie räumt einem Angeklagten jedoch kein unbeschränktes Recht ein, Entlastungszeugen zu benennen und zu befragen (vgl. EGMR Urteil Engel ua. vom 30.4.1976, Serie A 22, Rn. 91).

1.2.3. Anders als im Verfahren im ersten Rechtsgang, in dem die OBDK die vor dem Untersuchungskommissär getätigten Aussagen dieser Zeugin als wesentlichen Beweis verwertet hat, ist die OBDK im zweiten Rechtsgang nach neuerlicher rechtlicher Würdigung des Tatvorwurfs und Ergänzung des Beweisverfahrens zu dem Ergebnis gelangt, daß die Einvernahme der Zeugin zur Beurteilung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts nicht erheblich ist.

1.2.4. Die belangte Behörde hat in ihrer rechtlichen Beurteilung nämlich maßgeblich darauf abgestellt, daß der Vorwurf der Kollusion aus disziplinarrechtlicher Sicht nur dann in zulässiger Weise erhoben worden wäre, wenn der Beschwerdeführer zuvor nähere Nachforschungen angestellt hätte, die den Verdacht der angeblichen Kollusion erhärtet hätten. Selbst wenn die Darstellung des Beschwerdeführers zuträfe, wonach ihm seine Mandantin mitgeteilt hätte, daß ihr ehemaliger Rechtsvertreter in Schädigungsabsicht mit ihrem Prozeßgegner zusammengewirkt hätte, hätte der Beschwerdeführer nach Rechtsauffassung der OBDK konkretere Anhaltspunkte zur Untermauerung der Behauptung der Klientin aufzufinden gehabt: Es wäre erforderlich gewesen, daß der Beschwerdeführer seine Mandantin zumindest "genau und gezielt darüber befragt [hätte], ob und inwieweit ein absichtliches Zusammenspiel zwischen ihrem vormaligen Vertreter und der Gegenseite stattfand".

Daß solches geschehen sei, wurde vom Beschwerdeführer aber gar nicht behauptet.

1.2.5. Bei Beurteilung der von der Zeugin an den Beschwerdeführer mitgeteilten Informationen ist die OBDK im zweiten Rechtsgang somit ohnehin von der Darstellung des Beschwerdeführers ausgegangen und hat die im Vorverfahren protokollierte Zeugenaussage (anders als im ersten Rechtsgang) nicht verwertet. Bei diesem Ergebnis konnte die OBDK in vertretbarer Weise davon ausgehen, daß eine Einvernahme der Zeugin nicht entscheidungswesentlich war. Sie hat damit in unbedenklicher Weise ihr Ermessen bei der Beurteilung der Entscheidungsrelevanz der beantragten Beweisaufnahme geübt (und auch begründet). Im Lichte des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken (Art6 Abs3 litd EMRK) ist ihr dabei nicht entgegenzutreten (vgl. VfSlg. 16268/2001, 16432/2002, mwN). Bei diesem Ergebnis war nicht weiter auf den Beschwerdevorwurf einzugehen, wonach sich die OBDK zu Unrecht darauf gestützt habe, daß die Zeugin zu einer (kontradiktorischen) Vernehmung nicht zur Verfügung stand.

2. Daraus, daß er mit dem im Instanzenzug bekämpften Bescheid des Disziplinarrats sowohl wegen Berufspflichtenverletzung als auch wegen Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes verurteilt wurde, leitet der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Schutz vor Doppelbestrafung gemäß Art4 des 7. ZPEMRK ab. Diese Auffassung trifft nicht zu. Der Beschwerdeführer ist in dem dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Verfahren (wenn auch aufgrund unterschiedlicher alternativer Tatbestände) nur einmal bestraft worden.

3. Der Beschwerdeführer legt der belangten Behörde aus verschiedenen Gründen Willkür zur Last und behauptet, dadurch in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG) verletzt zu sein. Weiters macht er unter dem Titel des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art10 EMRK) geltend, daß es zulässig sein müsse, in einem Schriftsatz als Verteidigungsmittel den Vorwurf der Kollusion gegen einen Rechtsanwalt zu erheben, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine "anders nicht mehr erklärbare, die Interessen der Partei absichtlich schädigende Vertretungstätigkeit" dieses Rechtsanwaltes vorliegen.

3.1. Damit verkennt der Beschwerdeführer jedoch, daß ihm die Äußerung deswegen als Disziplinarvergehen zur Last gelegt wurde, weil ihm eine ausreichende Tatsachengrundlage für den Vorwurf der Kollusion gerade nicht zur Verfügung gestanden ist. Die OBDK hat den angefochtenen Bescheid in vertretbarer Weise damit begründet, daß selbst dann, wenn das Vorgehen des betreffenden Rechtsanwalts fehlerhaft und für seine Klientin unvorteilhaft gewesen sein sollte, daraus noch kein zwingendes Indiz für eine absichtliche Schädigung der Interessen der Klientin durch ihren Vertreter (im Zusammenwirken mit einem Dritten) ersichtlich sei. Die belangte Behörde ist auf der Grundlage ihrer aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandenden Würdigung der Beweislage zu dem Ergebnis gelangt, daß der Beschwerdeführer für den Vorwurf einer Kollusion auch sonst keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte hatte.

3.2. Mit seiner Bezugnahme auf zivilgerichtliche Judikatur, wonach für das Vorliegen von Kollusion (gemeint wohl: beim Dritten) Fahrlässigkeit ausreichend sei, übersieht der Beschwerdeführer, daß er in dem Schriftsatz, der Gegenstand des Disziplinarverfahrens war, nicht bloße Fahrlässigkeit behauptet, sondern den Vorwurf des "abgestimmte[n] Handeln[s] in der Absicht der Schädigung der rechlichen Interessen [der] Mandantin" erhoben hat.

3.3. Daß es - entgegen dem Beschwerdevorbringen - nicht gesetzwidrig ist, wenn die OBDK von einer Anregung der Generalprokuratur zur Bemessung der Strafhöhe abweicht, hat der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 11350/1987 dargetan.

3.4. Ein willkürliches Verhalten der Behörde kann das Beschwerdevorbringen daher nicht aufzuzeigen. Der Verfassungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, daß das Ermittlungsverfahren mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel behaftet ist; auch kann weder von einem gehäuften Verkennen der Rechtslage noch von denkunmöglicher Gesetzesanwendung die Rede sein.

3.5. Angesichts dessen und des Gesetzesvorbehalts in Art10 Abs2 EMRK liegt auch eine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit nicht vor.

4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

5. Ob das Verfahren vor den Disziplinarbehörden in jedem Punkt mängelfrei war und ob das Gesetz in jeder Hinsicht richtig angewendet wurde, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996).

6. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

7. Dem Begehren der belangten Behörde auf Zuspruch von Kosten war schon deshalb nicht zu entsprechen, weil Barauslagen nicht verzeichnet wurden und der Ersatz sonstiger Kosten nach ständiger Spruchpraxis des Verfassungsgerichtshofes der belangten Behörde zur Verteidigung des eigenen Bescheides im allgemeinen nicht zukommt (vgl. VfSlg. 10003/1984, 16156/2001).

8. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1106.2003

Dokumentnummer

JFT_09959776_03B01106_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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