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L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Unterlassung jedweder differenzierenden Begründung des angefochtenen Bescheides betreffend die Abweisung von Anträgen auf Feststellung der Dienstpflichten eines GemeindearztesSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid der NÖ Landesregierung vom 16. Juni 2003 wurden gemäß §53 NÖ Gemeindeärztegesetz 1977, LGBl. 9400-8, iVm. §61 NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-12, folgende Feststellungsbegehren des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen:
"Der Bürgermeister der Gemeinde Großweikersdorf wolle in seiner Eigenschaft als Obmann der Sanitätsgemeinde Großweikersdorf als zuständige Dienstbehörde feststellen, dass den Antragsteller bei voller Aufrechterhaltung seiner bisherigen Bezüge und unter Anerkennung bestehender vertraglicher Vereinbarungen in seiner Funktion als Gemeindearzt der Sanitätsgemeinde Großweikersdorf keine weitergehenden Dienstpflichten treffen, als sie vor Inkrafttreten der Novelle zum NÖ Gemeindeärztegesetz, LGBl. 9400-7, bestanden haben.
Insbesondere möge festgestellt werden, dass der Antragsteller nicht verpflichtet ist, über einseitige Anordnung der zuständigen Behörde seine ärztliche Leistung im Ausmaß von insgesamt 28 Stunden pro Monat bei einem Durchrechnungszeitraum von einem Kalenderhalbjahr ohne gesondertes Entgelt hierfür zur Verfügung zu stellen und in diesem Zusammenhang insbesondere auch nicht verpflichtet ist, folgende Aufgaben unentgeltlich zu erfüllen:
1. die Ausstellung von ärztlichen Zeugnissen für Bewerber um Aufnahme in den Gemeindedienst und von ärztlichen Befunden und Gutachten für Gemeindebedienstete;
2. die Ausübung der Tätigkeit als medizinischer Sachverständiger im Bauverfahren;
3. die Ausübung der Tätigkeit als medizinischer Sachverständiger bei Angelegenheiten des NÖ Leichen- und Bestattungsgesetzes 1978, LGBl. 9480;
4. die Wahrnehmung der Aufgaben des Schularztes nach dem NÖ Pflichtschulgesetz, LGBl. 5000;
5. die Durchführung von Untersuchungen von Kindergartenkindern;
6. die Durchführung der Tauglichkeitsuntersuchungen für Feuerwehrmitglieder von Freiwilligen Feuerwehren.
In eventu wird beantragt, der Bürgermeister der Gemeinde Großweikersdorf in seiner Eigenschaft als Obmann der Sanitätsgemeinde Großweikersdorf als zuständige Dienstbehörde wolle feststellen, dass der Antragsteller in seiner Funktion als Gemeindearzt die in §15 Abs2 Z. 1 bis Z. 6 NÖ Gemeindeärztegesetz 1977, in der Fassung LGBl. 9400-7, genannten Aufgaben nur nach einvernehmlicher Festlegung und auch nur gegen im einzelnen einvernehmlich festgelegte, angemessene gesonderte Vergütung zu verrichten hat."
2. Im angefochtenen Bescheid führte die belangte Behörde dazu begründend Folgendes aus:
"Rechtliche Würdigung:
Mit dem genannten erstinstanzlichen Bescheid und in weiterer Folge mit dem bekämpften Berufungsbescheid wurde über den Antrag des nunmehrigen Vorstellungswerbers abgesprochen, dass u.a. festgestellt werden soll, dass den Antragsteller bei voller Aufrechterhaltung seiner bisherigen Bezüge und unter Anerkennung bestehender vertraglicher Vereinbarungen in seiner Funktion als Gemeindearzt der Sanitätsgemeinde Groß Weikersdorf keine weitergehenden Dienstpflichten treffen, als sie vor Inkrafttreten der Novelle zum NÖ Gemeindeärztegesetz, LGBl. 9400-7, bestanden haben.
Da über 'die Anerkennung bestehender vertraglicher Vereinbarungen' in diesem hoheitlichen Verfahren nicht abgesprochen werden kann, sondern vielmehr bezüglich vertraglicher Vereinbarungen der Zivilrechtsweg zu beschreiten ist, wurde der nunmehrige Vorstellungswerber durch den mit Vorstellung bekämpften zweitinstanzlichen Bescheid nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt und ist daher die Vorstellung als unbegründet abzuweisen."
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Rechtsverletzung infolge Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebende Rechtsvorschrift des Gemeindeärztegesetzes 1977, LGBl. 9400-8, lautet:
"§15
Pflichten
(1) ...
(2) Dem Gemeindearzt obliegen nach den Weisungen des Bürgermeisters die fachliche Beratung der Gemeindeorgane und die Erfüllung der Amtspflichten, die sich aus den von der Gemeinde zu besorgenden oder ihr übertragenen Aufgaben auf dem Gebiet des Gesundheitswesens ergeben. Der Gemeindearzt hat seine ärztliche Leistung im Ausmaß von insgesamt 28 Stunden pro Monat bei einem Durchrechnungszeitraum von einem Kalenderhalbjahr zur Verfügung zu stellen. Der Gemeindearzt ist verpflichtet, diese ärztliche Leistung sowohl in der Gemeinde (Sanitätsgemeinde), mit der er in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis steht als auch mit seinem Einvernehmen in anderen (Gemeinden) Sanitätsgemeinden zu erbringen.
Die Aufgaben eines Gemeindearztes sind insbesondere:
1. Die Ausstellung von ärztlichen Zeugnissen für Bewerber um Aufnahme in den Gemeindedienst und von ärztlichen Befunden und Gutachten für Gemeindebedienstete;
2. Die Ausübung der Tätigkeit als medizinischer Sachverständiger im Bauverfahren;
3. Die Ausübung der Tätigkeit als medizinischer Sachverständiger bei Angelegenheiten des NÖ Leichen- und Bestattungsgesetzes 1978, LGBl. 9480;
4. Die Wahrnehmung der Aufgaben des Schularztes nach dem NÖ Pflichtschulgesetz, LGBl. 5000;
5. Die Durchführung von Untersuchungen von Kindergartenkindern;
6. Die Durchführung der Tauglichkeitsuntersuchungen für Feuerwehrmitglieder von Freiwilligen Feuerwehren.
Vor Betrauung mit diesen Aufgaben ist der Gemeindearzt anzuhören. Darüber hinausgehende Aufgaben können nur im Einvernehmen übertragen werden."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) kann eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987). Darüber hinaus begründet das Unterlassen jeglicher Begründung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Willkür (VfSlg. 12.477/1990, 15.409/1999, 15.696/1999).
2. Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen. Vorauszuschicken ist, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg. 16.362/2001 Individualanträge auf Aufhebung von bestimmten Wortfolgen des NÖ Gemeindeärztegesetzes im Kern mit folgender Begründung zurückgewiesen hat:
"Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass §15 Abs2 leg.cit. die Aufgaben des Gemeindearztes bis zu einer maximalen Stundenzahl als Dienstpflichten normiert und in diesem Rahmen die aufgezählten Tätigkeiten als Gemeindearzt als abgegolten betrachtet; die Regelung sieht auch vor, dass der Bürgermeister - als Dienstbehörde - Weisungen zur Konkretisierung dieser Dienstpflichten erteilen kann. Es ist für den Verfassungsgerichtshof nun nicht ersichtlich, weshalb es dem Antragsteller nicht zumutbar sein sollte, einen bescheidmäßigen Abspruch über die konkrete Ausgestaltung seiner Dienstpflichten zu begehren (arg.: "Vor Betrauung mit diesen Aufgaben ..." in §15 Abs2 vorletzter Satz leg.cit.).
Sein Antrag auf Erwirkung eines entsprechenden Bescheides wäre ein taugliches Mittel der Rechtsverfolgung, er hätte Anspruch auf Erlassung eines solchen dienstrechtlichen Bescheides (vgl. VfSlg. 10.200/1984, 10.293/1984, 10.591/1985, 12.096/1989; VfGH 26.9.2000, G197/98)."
Im Lichte dessen ist nun auch der nunmehr erwirkte und vom Antragsteller bekämpfte Bescheid zu sehen; nach detailreicher Wiedergabe des Sachverhalts hat die Behörde die Abweisung des Feststellungsbegehrens damit begründet, dass:
"über 'die Anerkennung bestehender vertraglicher Vereinbarungen' in diesem hoheitlichen Verfahren nicht abgesprochen werden kann, sondern vielmehr bezüglich vertraglicher Vereinbarungen der Zivilrechtsweg zu beschreiten ist".
Sie unterließ hinsichtlich der übrigen - als einen maßgebenden Teil zu qualifizierenden - Feststellungsbegehren jede weitere rechtliche Begründung, und hat die Vorstellung ihrem gesamten Inhalt nach als unbegründet abgewiesen. Dass sichtlich doch in der Gegenschrift die vom Feststellungsbegehren erfasste Abgrenzung vorgenommen wurde, kann den Mangel in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht ersetzen.
3. Die Behörde erließ den Bescheid zwar unter Darstellung des gesamten Sachverhaltes, aber ohne jedwede differenzierende rechtliche Begründung hinsichtlich der Begehren (auch der verbleibenden Begehren, auf die keinesfalls das tragende Begründungselement zutrifft, vgl. dazu auch VfSlg. 16.362/2001). Der Gerichtshof bleibt bei seiner Rechtsprechung, dass ein solcher Fehler nicht weniger schwer wiegt als das als gravierend gewertete Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt (VfSlg. 10.758/1986).
4. Der angefochtene Bescheid war sohin schon aus diesem Grund wegen Verletzung des Gleichheitsrechtes aufzuheben.
IV. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; in den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- sowie die gemäß §17a VfGG entrichtete Eingabengebühr im Betrag von € 180,-- enthalten.
Schlagworte
Ärzte, Berufsrecht, Bescheidbegründung, Dienstrecht, DienstpflichtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:B1037.2003Dokumentnummer
JFT_09959776_03B01037_00