TE Vfgh Erkenntnis 2004/2/24 B1845/02

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Veröffentlicht am 24.02.2004
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Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

B-VG Art144 Abs3
StGG Art12 / Versammlungsrecht
EMRK Art11 Abs2
VersammlungsG §5, §6

Leitsatz

Keine Verletzung des Versammlungsrechts durch die Untersagung einer gleichzeitig mit dem traditionellen Mai-Aufmarsch der SPÖ geplanten Versammlung aufgrund der Annahme möglicher Konfrontation zwischen den Teilnehmern der Maikundgebung und der vom Verein angezeigten Versammlung; Abweisung des Abtretungsantrags an den VwGH

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Eingabe vom 25. Jänner 2001 zeigte der beschwerdeführende Verein bei der Bundespolizeidirektion Wien, Büro für Vereins-, Versammlungs- und Medienrechtsangelegenheiten folgende Versammlungen an:

"Zeit aller Versammlungen: 1. Mai 2002, 07.00-16.00 Uhr

Orte:

1010 Wien, Rathausplatz

1010 Wien, Rathauspark

1010 Wien, Ecke Stadiongasse-Rathausplatz

1010 Wien, Ecke Felderstraße-Rathausplatz

1010 Wien, Dr. Karl Lueger Ring, vor Burgtheater

1010 Wien, Löwelstraße 18

1010 Wien, Dr. Karl Renner Ring-Schmerlingplatz

1010 Wien, Burgring-Bellariastraße

1010 Wien, Burgring-Babenberger Straße

1010 Wien, Opernring-Operngasse

1010 Wien, Dr. Karl Luegerring, vor Universität

1020 Wien, Praterstern

1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 86

1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 60b

1050 Wien, Kohlgasse 27-29

1060 Wien, Otto-Bauergasse 9

1070 Wien, Neubaugasse 25

1080 Wien, Albertgasse 23

1090 Wien, Marktgasse 2

1100 Wien, Laxenburger Straße 8-10

1110 Wien, Simmeringer Hauptstraße 96a

1120 Wien, Ruckergasse 40

1130 Wien, Kennedy-Brücke

1130 Wien, Wolkersbergenstraße 170

1140 Wien, Linzer Straße 297

1150 Wien, Schwendergasse 41

1160 Wien, Schuhmeierplatz 17-18

1170 Wien, Kalvarienberggasse 28a

1180 Wien, Gentzgasse 62

1190 Wien, Billrothstraße 34

1200 Wien, Raffaelgasse 11

1210 Wien, Franz Jonasplatz 8

1220 Wien, Donaufelder Straße 259

1230 Wien, Breitenfurter Straße 360

Anzahl der Teilnehmer: zwischen 10 und 1000, wird rechtzeitig vorher noch konkret bekanntgegeben

Hilfsmittel: Tonanlagen, Musik

Ansprechpartner vor Ort: wird rechtzeitig bekanntgegeben

Thema: Information der Bevölkerung über die politischen Versäumnisse der SPÖ in der Wiener Stadtregierung seit 1945."

1.2. Mit Bescheid vom 29. April 2002 untersagte die Bundespolizeidirektion Wien die Durchführung der für den Ort "1010 Wien, Rathausplatz" angezeigten Versammlung. (Nach den Feststellungen im Berufungsbescheid wurden auch die übrigen angezeigten Versammlungen - mit Ausnahme jener für die Orte "1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 86" und "1130 Wien, Kennedy-Brücke" - untersagt.)

1.3. Die dagegen erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom 11. November 2002 als unbegründet ab und führte dazu Folgendes aus:

Am 1. Mai finde seit Jahrzehnten der Maiaufmarsch der SPÖ statt, bei dem die Leistungen und Errungenschaften der Sozialdemokratischen Partei gefeiert werden. Der Ablauf des Aufmarsches folge regelmäßig einem vorgegebenen Ritual und orientiere sich traditionell an vorher festgelegten Plänen bezüglich des Treffpunkts der Teilnehmer und der Route. Auch für das Jahr 2002 sei bereits ein genauer Aufmarschplan vorgelegen, aus dem nicht nur die Treffpunkte der Teilnehmer, sondern auch die Route bis zum Rathausplatz hervorgegangen seien. Nach den Erhebungen der Erstbehörde haben am Maiaufmarsch der SPÖ im Jahr 2001 ca. 100.000 Personen, an der Schlusskundgebung am Rathausplatz ca. 20.000 Personen teilgenommen.

Das Thema der vom beschwerdeführenden Verein angezeigten Versammlungen - "die politischen Versäumnisse der SPÖ in der Wiener Stadtregierung seit 1945" - lasse darauf schließen, dass beabsichtigt sei, politisch in Opposition zu den Teilnehmern des Maiaufmarsches zu treten und eine Konfrontation mit diesen zu suchen. Dafür spreche auch der Umstand, dass der Verein - bis auf zwei Ausnahmen - für alle angezeigten Versammlungen Orte gewählt habe, die sich in unmittelbarer Nähe der geplanten Route des Maiaufmarsches bzw. der Treffpunkte der Teilnehmer befanden und auch zeitlich mit der Maikundgebung kollidiert hätten. Dies gelte auch für den vorliegenden Fall, da sich der vom Verein angezeigte Versammlungsort im unmittelbaren Nahebereich der Abschlusskundgebung des Maiaufmarsches befinde.

Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der Tatsache, dass vom Verein als Zeit aller Versammlungen 7.00 bis 16.00 Uhr angegeben wurde, bis zu 1.000 Teilnehmer angekündigt waren und mithilfe von Tonanlagen und Musik dem Versammlungszweck Nachdruck verliehen werden sollte, liege es auf der Hand, dass das vorrangige Ziel der Versammlung die Störung des traditionellen Maiaufmarsches gewesen sei. Es könne davon ausgegangen werden, dass es zu einer massiven Störung des Kundgebungszweckes des Maiaufmarsches gekommen wäre, auch seien tätliche Auseinandersetzungen nicht auszuschließen gewesen. Berücksichtige man weiters, dass der Verein weitere 33 Versammlungen in ganz Wien zur gleichen Zeit angemeldet habe, wäre die Behörde selbst bei angemessener Anstrengung nicht in der Lage gewesen, für den Schutz aller Teilnehmer zu sorgen. Die Untersagung der Versammlung sei daher gemäß Art11 Abs2 EMRK unbedingt erforderlich gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Versammlungsfreiheit und auf Freiheit der Meinungsäußerung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde oder die Ablehnung der Behandlung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 12.257/1990 und 15.109/1998 sowie die dort zitierte Vorjudikatur) ist jede Verletzung des Versammlungsgesetzes, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechts betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem österreichischen Staatsbürgern gegenüber die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das Gesetz unrichtig angewendet wurde. Dies gilt auch für Vereine (vgl. VfSlg. 6095/1969, 6305/1970, 6530/1971).

1.2. Die belangte Behörde hat den Bescheid, mit dem sie die angezeigte Versammlung untersagte, auf §6 VersammlungsG 1953 gestützt. Diese Bestimmung lautet:

"Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen."

Diese Bestimmung ist angesichts des materiellen Gesetzesvorbehalts in Art11 Abs2 EMRK im Einklang mit dieser Verfassungsnorm zu interpretieren. Die Behörde ist daher zur Untersagung nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der in Art11 Abs2 EMRK genannten Gründe notwendig ist (s. etwa VfSlg. 10.443/1985, 12.155/1989, 12.257/1990).

Dabei hat die Behörde bei ihrer Entscheidung die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Diese Entscheidung ist eine Prognoseentscheidung, die die Behörde auf Grundlage der von ihr festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen hat.

2.1. Im vorliegenden Fall hat die Behörde die Untersagung damit begründet, dass die angezeigte Versammlung mit dem von der SPÖ traditionell an diesem Tag veranstalteten und am 25. Februar 2002 konkret bekannt gegebenen Maiaufmarsch zeitlich und örtlich kollidiert hätte. Vom beschwerdeführenden Verein war die "Information der Bevölkerung über die politischen Versäumnisse der SPÖ in der Wiener Stadtregierung seit 1945" geplant gewesen; es sei nicht auszuschließen gewesen, dass es auch zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen wäre. Die Behörde wäre daher - auch aufgrund der Anzahl der Teilnehmer - selbst bei angemessener Anstrengung nicht in der Lage gewesen, für den Schutz sämtlicher Versammlungsteilnehmer zu sorgen.

2.2. In der Beschwerde wird zunächst vorgebracht, die Behörde sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Maiaufmarsch der SPÖ gemäß §5 VersammlungsG 1953 nicht den Bestimmungen dieses Gesetzes unterliege. Eine Anzeige sei jedoch unterblieben; die Untersagung der vom beschwerdeführenden Verein angezeigten Versammlung "auf Grund einer nicht legitimierten Versammlung" sei daher unzulässig gewesen.

Es sei dem beschwerdeführenden Verein auch unmöglich gewesen, an einen anderen Ort oder einen anderen Zeitpunkt auszuweichen, weil "an einer Kundgebung an einem Feiertag die Möglichkeit der Teilnahme einer Vielzahl von Personen gewährleistet ist und die zum Thema der Versammlung passende Örtlichkeit vor dem Wiener Rathaus geradezu prädestiniert ist".

2.3. Das Beschwerdevorbringen, die Behörde habe den Maiaufmarsch der SPÖ zu Unrecht unter §5 VersammlungsG 1953 subsumiert, geht von einer falschen Prämisse aus: Der Behörde lag nämlich eine Mitteilung samt genauem Aufmarschplan vor, aus der Zweck, Ort und Zeit des Maiaufmarsches ersichtlich waren. Daraus ging auch hervor, dass die verschiedenen Gruppen des Aufmarsches zwischen 9.00 und 10.00 Uhr am Rathausplatz zur Abschlusskundgebung (iSd. §2 VersammlungsG 1953) eintreffen würden; es war - wie auch der Inhalt der Verwaltungsakten nachträglich zeigt - zu Recht davon ausgegangen worden, dass an der Abschlusskundgebung mehr als 20.000 Personen teilnehmen würden. Die Frage, ob der Maiaufmarsch für sich §5 VersammlungsG 1953 unterfällt, war daher mit Blick darauf, dass die Anzeige ohnehin erfolgt ist, nicht zu prüfen.

Es ist auch der Annahme der Behörde nicht entgegenzutreten, dass aufgrund der selben Zeit und des selben Orts der vom beschwerdeführenden Verein angezeigten Versammlung in Zusammenhalt mit deren Thema nicht auszuschließen war, dass eine Konfrontation zwischen den Teilnehmern der Maikundgebung und der vom Verein angezeigten Versammlung dergestalt hätte entstehen können, dass die Sicherheit der Teilnehmer nicht hätte gewährleistet werden können; die belangte Behörde kam somit nachvollziehbar zum Ergebnis, dass im Fall der Nichtuntersagung mit Grund eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles zu befürchten gewesen wäre (vgl. auch VfSlg. 15.362/1998).

Die Behörde hat die angezeigte Versammlung somit zu Recht untersagt. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Versammlungsrechts ist daher nicht erfolgt.

Im Hinblick darauf, dass die Behörde rechtsrichtig entschieden hat und dass gegen die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, ist es ausgeschlossen, dass der beschwerdeführende Verein durch den bekämpften Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof konnte deshalb nicht Folge gegeben werden, weil das Versammlungswesen seine Regelung im gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz geltenden Art12 StGG findet, weshalb - da jede Rechtsverletzung auf diesem Gebiet unmittelbar die Verfassung trifft - für die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes kein Raum bleibt (zB VfSlg. 14.365/1995, 15.680/1999).

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Versammlungsrecht, VfGH / Abtretung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1845.2002

Dokumentnummer

JFT_09959776_02B01845_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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