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41 Innere AngelegenheitenNorm
EMRK Art5Leitsatz
Verletzung im Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) durch grobe Verkennung der Rechtslage bei Abweisung einer Schubhaftbeschwerde infolge irriger Annahme des Fehlens eines Anspruchs auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung vor Rechtskraft der letztinstanzlichen Abweisung eines AsylantragesSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 1.962,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, ist am 18.8.2002 aus der Slowakei kommend illegal in das Bundesgebiet eingereist. Sein am selben Tag gegenüber den Grenzüberwachungsorganen gestellter und beim Bundesasylamt am 20.8.2002 protokollierter Asylantrag wurde mit Bescheid vom 4.9.2002 gemäß §7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG) abgewiesen; gleichzeitig stellte das Bundesasylamt gemäß §8 AsylG die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Förderation fest.
Bereits am 18.8.2002 hatte die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See über den Beschwerdeführer gemäß §61 Abs1 Fremdengesetz 1997 (im Folgenden: FrG) die Schubhaft zur Sicherung der Zurückschiebung verhängt. Mit Schriftsatz vom 12.9.2002 erhob der Beschwerdeführer Berufung gegen die Abweisung seines Asylantrags; am 13.9.2002 wurde er aus der Schubhaft entlassen.
2. Die (ebenfalls) am 12.9.2002 eingebrachte (Schubhaft-)Beschwerde gemäß §72 FrG wies der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland mit Bescheid vom 3.3.2003 als unbegründet ab.
Begründend wird in dem die Schubhaftbeschwerde abweisenden Bescheid ausgeführt, dass die Zurückschiebung eines Asylwerbers zwar unzulässig sei, ein Asylantrag jedoch nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Verhängung der Schubhaft nicht hindere. Anderes gelte nur für Asylwerber, die ihren Asylantrag iSd §21 Abs1 Z1 oder Z2 AsylG gestellt haben, ein solcher Fall liege jedoch nicht vor.
Da eine Entscheidung über die Berufung gegen den negativen Asylbescheid "jedenfalls nicht aktenkundig" sei und "sohin eine rechtskräftige Anweisung iSd vom Beschwerdeführer angezogenen §15 Abs1 Asylgesetz" fehle, könne "auch nicht erkannt werden, inwieweit diese Vorschrift dem Beschwerdeführer helfen könnte und seine Inschubhafthaltung als rechtswidrig erscheinen ließe". Die Schubhaft habe der Zurückschiebung des Beschwerdeführers in die Slowakische Republik gedient. Seine Zurückweisung in die Russische Förderation sei nie beabsichtigter oder erklärter Zweck der Schubhaft gewesen; es sei daher "egal …, was das Bundesasylamt in seinem Bescheid vom 04.09.2002 diesbezüglich ausgesprochen hat".
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit und Sicherheit sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde - wie hier des UVS -, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes, wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist; ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg. 13.708/1994).
2. Gemäß §15 AsylG ist Fremden, deren Asylantrag aus anderen Gründen als den Asylausschlussgründen (§13) abgewiesen wurde und die sich ohne rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet befinden, eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, wenn gemäß §8 leg. cit. von der Asylbehörde festgestellt wurde, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung unzulässig ist. Auf die Rechtskraft der Abweisung des Asylantrages kommt es bei der Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nicht an (s. VfSlg. 16.192/2001; VwGH 17.9.2003, Zl. 2002/20/0399).
Gemäß §20 AsylG sind u.a. die §§61 bis 63 FrG (Festnahme und Anhaltung in Schubhaft) auf Fremde, die im Besitz einer befristeten Aufenthaltsberechtigung sind, nicht anzuwenden.
3. Im Hinblick darauf, dass das Bundesasylamt bereits in seinem Bescheid vom 4.9.2002 gemäß §8 AsylG die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Förderation festgestellt hat, konnte die belangte Behörde zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung vom 3.3.2003 nicht mehr davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer keine befristete Aufenthaltsberechtigung habe.
Die belangte Behörde ist in ihrem Bescheid aber noch entgegen der oben unter Pkt. 2. zitierten Judikatur davon ausgegangen, dass dem Beschwerdeführer vor Rechtskraft der (letztinstanzlichen) Abweisung des Asylantrages jedenfalls kein Anspruch auf Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß §15 AsylG zukomme. Ausgehend von dieser irrigen Rechtsauffassung hat sie schließlich die Anwendbarkeit der §§61 bis 63 FrG begründet.
Dadurch hat sie die Rechtslage jedoch grob verkannt und den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; in den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Asylrecht, FremdenrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:B544.2003Dokumentnummer
JFT_09959776_03B00544_00