TE Vfgh Erkenntnis 2004/2/26 G48/03

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Veröffentlicht am 26.02.2004
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
Nö GRWO 1994 §30 Abs3, Abs4

Leitsatz

Verstoß der Regelungen der Nö Gemeinderatswahlordnung 1994 über den Austausch des zustellungsbevollmächtigten Vertreters einer (Gemeinderats-)Wahlpartei gegen das Determinierungsgebot; Verletzung des demokratischen Grundprinzips im Hinblick auf die notwendige Eindeutigkeit wahlrechtlicher Regelungen; Gleichheitswidrigkeit der Regelung über die Befugnis einer Landesorganisation einer im Landtag vertretenen Partei zum Austausch des Zustellungsbevollmächtigten

Spruch

§30 Abs3 und 4 der NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994, LGBl. 0350-3, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Landeshauptmann von Niederösterreich ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Aus Anlass einer beim Verfassungsgerichtshof zur Zl. B1399/02 anhängigen Beschwerde der im NÖ Landtag vertretenen Partei "DIE GRÜNEN - DIE GRÜNE ALTERNATIVE" gegen einen Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde beschloss der Verfassungsgerichtshof am 27. Februar 2003, gemäß Art140 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §30 Abs3 und 4 NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994 (GRWO), LGBl. 0350-3, einzuleiten.

2. Die im genannten Beschwerdeverfahren maßgeblichen §§29, 30 und 31 GRWO lauten wie folgt (die in Prüfung gezogenen Absätze sind hervorgehoben):

"§29

Wahlvorschläge

(1) Wählergruppen, die sich an der Wahlwerbung beteiligen wollen (Wahlparteien), müssen ihre Wahlvorschläge spätestens um 12.00 Uhr des einunddreißigsten Tages vor dem Wahltag im Gemeindeamt einbringen. Das Datum und die Uhrzeit des Einlangens muß auf dem Wahlvorschlag vermerkt werden.

(2) Ein Wahlvorschlag muß enthalten:

a) eine unterscheidende Parteibezeichnung, die - einschließlich einer allfälligen Kurzbezeichnung - nicht mehr als sechs Worte umfassen darf; eine Kurzbezeichnung gilt dabei als ein Wort,

b) die Liste der Wahlwerber; d.i. ein Verzeichnis von höchstens doppelt sovielen Bewerbern, als Gemeinderäte zu wählen sind, in mit arabischen Ziffern bezeichneter Reihenfolge. Die Bewerber müssen unter Angabe des Vor- und Nachnamens, der Staatsangehörigkeit, des Berufes, des Geburtsjahres und der Adresse angegeben werden,

c) die Zustimmung der Wahlwerber zur Aufnahme in den Wahlvorschlag und deren Erklärung, sich nicht auf einem Wahlvorschlag einer anderen Wahlpartei in der Gemeinde um das Amt eines Gemeinderates zu bewerben,

d) die Bezeichnung eines zustellungsbevollmächtigten Vertreters und dessen Stellvertreters. Dieser ist Vertreter der Wahlpartei im Verkehr mit den Behörden und

e) in Gemeinden mit mehr als 1.000 Einwohnern die Unterstützung von mindestens zehn aktiv Wahlberechtigten der betreffenden Gemeinde, in Gemeinden mit mehr als 2.000 Einwohnern von soviel, als der Zahl der in den Gemeinderat zu wählenden Gemeinderatsmitglieder, und in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern, als der doppelten Zahl der in den Gemeinderat zu wählenden Gemeinderatsmitglieder entspricht. Für die Einwohnergrenzen ist jeweils die am Tag der Wahlausschreibung vorausgegangene Volkszählung maßgeblich. Wahlwerber, die ihre Zustimmung zur Aufnahme in den Wahlvorschlag erklärt haben, werden in die Zahl eingerechnet. Jene Wahlparteien, die im zuletzt gewählten Gemeinderat vertreten waren, bedürfen keiner Unterstützungserklärungen. Gleiches gilt, wenn der Zustellungsbevollmächtigte einer Wahlpartei, die im zuletzt gewählten Gemeinderat vertreten war, der Gemeindewahlbehörde gegenüber schriftlich erklärt hat, daß diese Wahlpartei lediglich ihre Parteibezeichnung geändert hat, ansonsten aber Identität der Wahlpartei vorliegt.

(3) Die Unterstützer dürfen in einer Gemeinde nur eine Unterstützungserklärung für eine Wahlpartei leisten. Die Unterstützungserklärung muß die Aussage enthalten, daß der Unterstützer keine andere Wahlpartei in dieser Gemeinde unterstützt.

(4) Einzelne Unterstützungserklärungen dürfen nur bis zum Einlangen des Wahlvorschlages im Gemeindeamt zurückgezogen werden.

(5) Die Wahlbehörden sind zur Geheimhaltung der Unterstützungserklärungen nicht verpflichtet.

(6) Die Wahlvorschläge müssen der Verordnung der Landesregierung über die Gestaltung von Drucksorten zur Vollziehung dieses Gesetzes entsprechen.

§30

Wahlvorschläge ohne Parteienbezeichnung

Zustellungsbevollmächtigte Vertreter

(1) Wahlvorschläge ohne Parteienbezeichnung tragen den Namen des erstvorgeschlagenen Bewerbers (z.B. Wahlvorschlag Holzinger).

(2) Wenn ein Wahlvorschlag keinen zustellungsbevollmächtigten Vertreter und keinen Stellvertreter anführt, so gelten als zustellungsbevollmächtigter Vertreter und dessen Stellvertreter die Wahlwerber in der Reihenfolge des Wahlvorschlages. Fehlt nur der Stellvertreter, so gilt der erstangeführte Wahlwerber als Stellvertreter.

(3) Die wahlwerbende Partei kann den zustellungsbevollmächtigten Vertreter (Stellvertreter) jederzeit durch einen anderen Vertreter (Stellvertreter) ersetzen. Solche an die Gemeindewahlbehörde zu richtenden Erklärungen bedürfen nur der Unterschrift des letzten zustellungsbevollmächtigten Vertreters. Stimmt dieser nicht zu oder ist er nach Ansicht der Gemeindewahlbehörde nicht mehr in der Lage, die Wahlpartei zu vertreten, so muß die Erklärung von mindestens der Hälfte der auf dem Wahlvorschlag angeführten Wahlwerber unterschrieben sein. Die Unterfertigten müssen nach Ansicht der Gemeindewahlbehörde im Zeitpunkt der Erklärung die Wahlpartei noch vertreten können. Können diese Unterschriften nicht beigebracht werden, so genügt die Unterschrift auch eines Wahlwerbers des Wahlvorschlages, der die Partei nach Ansicht der Gemeindewahlbehörde vertreten kann.

(4) Wenn ein Wahlvorschlag einer im Landtag vertretenen politischen Partei zugerechnet werden kann, kann der Austausch auch durch die Landesorganisation dieser Partei erfolgen.

§31

Parteibezeichnungen

(1) Die Parteibezeichnung muß gestrichen werden, wenn

a) diese mit der Parteibezeichnung (Kurzbezeichnung) einer im Landtag vertretenen Partei ident oder schwer unterscheidbar ist und die im Landtag vertretene Partei (durch ihre Landesorganisation) der Verwendung dieser Parteibezeichnung nicht zugestimmt hat oder

b) diese entgegen §29 Abs2 lita mehr als sechs Worte umfaßt.

Bestehen Zweifel am Vorliegen der Zustimmung nach lita, dann muß die Gemeindewahlbehörde diese Frage bei der Landesorganisation der jeweiligen Partei klären. Der Wahlvorschlag ist bei Streichung so zu behandeln, als ob er ohne ausdrückliche Parteibezeichnung eingebracht worden wäre (§30 Abs1). Der zustellungsbevollmächtigte Vertreter muss von der Streichung der Parteibezeichnung sofort verständigt werden. Diese Verständigung ist gesondert nicht bekämpfbar.

(2) Wenn mehrere Wahlvorschläge dieselbe oder schwer unterscheidbare Parteibezeichnungen tragen, muß der Vorsitzende der Gemeindewahlbehörde die zustellungsbevollmächtigten Vertreter dieser Wahlparteien zu einer Besprechung einladen und versuchen, ein Einvernehmen über die Unterscheidung der Parteibezeichnungen zu erreichen. Gelingt dies nicht, so müssen Parteibezeichnungen, die schon auf veröffentlichten Wahlvorschlägen bei der letzten Gemeinderatswahl enthalten waren, belassen werden. Die übrigen Wahlvorschläge müssen so behandelt werden, als ob sie ohne ausdrückliche Parteibezeichnung eingebracht worden wären."

2.3. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Prüfungsbeschluss davon aus, dass die Beschwerde zulässig sein dürfte und er bei ihrer Erledigung die in Prüfung gezogenen Rechtsvorschriften anzuwenden haben würde, weil sich der bekämpfte Bescheid ausdrücklich und der Sache nach auf sie stützt.

2.4. In der Sache äußerte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen widersprächen dem aus Art18 B-VG abzuleitenden Determinierungsgebot und würden daher auch den Anforderungen nicht genügen, die aus dem demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung für die notwendige Eindeutigkeit wahlrechtlicher Regelungen abzuleiten sind; darüber hinaus scheine §30 Abs4 GRWO gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art7 B-VG) zu verstoßen.

2.5. Die NÖ Landesregierung erstattete dazu eine Äußerung, in der sie für die Verfassungskonformität der in Prüfung gezogenen landesgesetzlichen Regelungen eintritt und beantragt, diese nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit

Im Verfahren ist weder vorgebracht worden noch sonst hervorgekommen, dass die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes zur Zulässigkeit der Beschwerde und zur Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Rechtsvorschriften unzutreffend wären. Da auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. In der Sache

2.1.1. Im Prüfungsbeschluss äußerte der Verfassungsgerichtshof zum einen das folgende Bedenken:

"Schon die Frage, wessen Erklärung im Falle unterschiedlicher Erklärungen einer wahlwerbenden Partei (iSd §30 Abs3 erster Satz GRWO) und der Landesorganisation jener im Landtag vertretenen (politischen) Partei, der der Wahlvorschlag dieser wahlwerbenden Partei zuzurechnen ist, (iSd §30 Abs4 GRWO) maßgeblich sein soll, ist auf Grund der genannten gesetzlichen Bestimmungen nicht mit der durch Art18 B-VG gebotenen Eindeutigkeit zu beantworten. Dass sich diese Frage auf Grund des Wortlautes der in Rede stehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht eindeutig beantworten lässt, scheint evident zu sein; die Verwendung des Wortes 'auch' in §30 Abs4 GRWO dürfte daran nichts ändern. Gegen die von der Landes-Hauptwahlbehörde auf Grund gesetzessystematischer Überlegungen angenommene 'Prävalenz' der Erklärung der wahlwerbenden Partei (iSd §30 Abs3 erster Satz GRWO) könnte sprechen, dass eine wahlwerbende Partei ihre Parteibezeichnung gegebenenfalls nur mit Zustimmung der betreffenden, im Landtag vertretenen politischen Partei iSd §30 Abs4 GRWO tragen darf - was deren Ingerenz beim Austausch des zustellungsbevollmächtigten Vertreters der wahlwerbenden (Gemeinderats-)Partei sehr wohl plausibel erscheinen lässt."

2.1.2.1. Dem hält die NÖ Landesregierung in ihrer im Gesetzesprüfungsverfahren erstatteten Äußerung im Wesentlichen Folgendes entgegen:

"Der Verfassungsgerichtshof vertritt vorläufig die Ansicht, dass §30 Abs3 und 4 NÖ GRWO 1994 offen lässt, wessen Erklärung im Fall unterschiedlicher Erklärungen einer wahlwerbenden Partei und der Landesorganisation jener im Landtag vertretenen Partei, der der Wahlvorschlag dieser wahlwerbenden Partei zuzurechnen ist, maßgeblich sein soll.

Zu diesem Interpretationsergebnis gelangt der Verfassungsgerichtshof wohl bei Anwendung der wörtlichen Auslegung, weil §30 Abs4 NÖ GRWO 1994 durch die Verwendung des Wortes 'auch' zum Ausdruck zu bringen scheint, dass zwei gleichberechtigte Erklärungsvarianten vorliegen.

...

Nach Anwendung der wörtlichen bzw. grammatikalischen Auslegungsmethode soll die systematisch-logische Auslegungsmethode zur Hand genommen werden.

Die Landes-Hauptwahlbehörde hat in ihrem Bescheid vom 26. Juli 2002 dargelegt, dass dem Recht einer Landesorganisation nach §30 Abs4 NÖ GRWO 1994 nur subsidiärer Charakter zukommt.

Diese Auslegung aufgrund der Gesetzessystematik wird von der NÖ Landesregierung geteilt. Soweit der Verfassungsgerichtshof zu diesem Auslegungsergebnis festhält, dass eine Ingerenz der betreffenden im Landtag vertretenen politischen Partei beim Austausch des zustellungsbevollmächtigten Vertreters der wahlwerbenden (Gemeinderats-)Partei sehr wohl plausibel erscheint, weil die wahlwerbende Partei ihre Parteibezeichnung gegebenenfalls nur mit Zustimmung der im Landtag vertretenen politischen Partei tragen darf, kann dem Verfassungsgerichtshof nur zugestimmt werden.

[Aus d]ieser Rechtsansicht folgt jedoch nicht zwingend, dass die Ingerenz der im Landtag vertretenen politischen Partei beim Austausch des zustellungsbevollmächtigten Vertreters ebenso stark sein muss, wie jene der wahlwerbenden Partei selbst.

Wie die Landes-Hauptwahlbehörde in ihrer Bescheidbegründung darlegt, ist dem System des Gesetzes zu entnehmen, dass die Eingriffe von Landesorganisationen im Landtag vertretener politischer Parteien einschränkend zu interpretieren sind. Daraus folgt, dass aufgrund des subsidiären Charakters der Erklärung der Landesorganisation der im Landtag vertretenen politischen Partei die Erklärung der wahlwerbenden Partei im Sinne des §30 Abs3 NÖ GRWO 1994 im Falle der Widersprüchlichkeit vorgeht.

Da dieses systematisch-logische Interpretationsergebnis mangels entsprechender Materialien nicht durch eine historische Auslegung untermauert werden kann, soll durch objektiv-teleologische Auslegung dargelegt werden, dass dieses Interpretationsergebnis zutreffend ist.

Bei der objektiv-teleologischen Auslegung soll versucht werden, die 'ratio legis' aufgrund allgemeinerer Erfahrung zu ermitteln. Denn man kann auch bei Fehlen historischen Materials immer noch fragen, welche Ziele Menschen im Allgemeinen wohl verfolgen, die unter den vorliegenden Umständen eine rechtliche Anordnung wie die auszulegende Norm erlassen. Es soll daher aus Erfahrungswissen heraus das Verhältnis des §30 Abs3 zu

§30 Abs4 NÖ GRWO 1994 geklärt werden.

Einleitend kann festgehalten werden, dass dem Gesetzgeber wohl bewusst war, dass der Fall unterschiedlicher Erklärungen einer wahlwerbenden Partei und der Landesorganisation der im Landtag vertretenen politischen Partei eintreten kann. Der Gesetzgeber, der die Rechtsordnung an den Kriterien der Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit ausrichtet, wird im Lichte des freien Wahlrechtes dem Willen der wahlwerbenden Partei den Vorrang einräumen.

Im Zusammenhang mit dem freien Wahlrecht soll zuletzt eine verfassungskonforme Auslegung des §30 Abs3 und Abs4 NÖ GRWO 1994 durchgeführt werden. Ermacora weist darauf hin, dass man an der Freiheit der Wahlwerbung den Grad an Toleranz in einem Staat ermisst, ja man ermisst, ob ein Staat eine freiheitlich-demokratische Rechtsordnung hat oder nicht. Der Verfassungsgerichtshof vertritt die Auffassung, dass durch die Bundesverfassung ganz allgemein die Freiheit der Wahl gewährleistet ist und dass ein der Verfassung entsprechendes Wahlverfahren die Freiheit der Wahlwerbung einschließt [VfSlg. 4527/1963]. Die Freiheit der Wahl und damit die Freiheit der Wahlwerbung sind verfassungsrechtlich in Art3 erstes Zusatzprotokoll MRK verankert [VfSlg. 10.178/1984].

Die verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit der Wahlwerbung ist im Rahmen der verfassungskonformen Interpretation als inhaltliches Leitprinzip der in Prüfung gezogenen Bestimmungen der NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994 zu behandeln. Zweck des §30 Abs3 und 4 NÖ GRWO 1994 ist daher auch die Sicherstellung der Freiheit der Wahlwerbung.

Im Sinne dieser Maxime gelangt man daher zu dem Interpretationsergebnis, dass die Freiheit der Wahlwerbung dann nicht beschränkt wird, wenn dem Willen der wahlwerbenden Partei der Vorrang eingeräumt wird. Daraus folgt, dass man auch bei verfassungskonformer Interpretation zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Recht einer Landesorganisation nach §30 Abs4 NÖ GRWO 1994 nur subsidiärer Charakter zukommt.

Daher ist die Frage, wessen Erklärung im Falle unterschiedlicher Erklärungen maßgeblich ist, bei Anwendung der systematisch-logischen, der objektiv-teleologischen sowie der verfassungskonformen Auslegung so zu beantworten, dass die Erklärung der wahlwerbenden Partei im Sinne des §30 Abs3 erster Satz NÖ GRWO 1994 maßgeblich ist. Eine andere Interpretation, die eine Erschwerung der Wahlwerbung zur Folge hätte, verbietet sich im Hinblick auf das Verfassungsprinzip der Freiheit der Wahlwerbung [VfSlg. 13.004/1992]."

2.1.2.2. Die Begründung des im anlassgebenden Beschwerdeverfahren bekämpften Bescheides der Landes-Hauptwahlbehörde, auf die die Äußerung der NÖ Landesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren verweist, lautet im hier maßgeblichen Zusammenhang wie folgt:

"Da es sich um Wahlen auf lokal-kommunaler Ebene und hiemit in Zusammenhang stehende Vorgänge handelt, sieht das Gesetz Eingriffe von Landesorganisationen im Landtag vertretener politischer Parteien nur ausnahmsweise vor. Folglich entspricht es dieser Systematik, dass dem Recht einer Landesorganisation nach §30 Abs4 NÖ GRWO 1994 im besonderen dann subsidiärer Charakter zukommt, wenn die Hälfte der auf dem Wahlvorschlag angeführten Wahlwerber abweichend von der Landesorganisation die in §30 Abs3 leg. cit. vorgesehene Erklärung abgeben."

2.1.3. Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die unter Punkt 2.1.1. wiedergegebenen Bedenken zu zerstreuen.

Schon die Auffassung, "das Gesetz [sehe] Eingriffe von Landesorganisationen im Landtag vertretener politischer Parteien nur ausnahmsweise vor" bzw. "dem Recht einer Landesorganisation gemäß §30 Abs4 GRWO [komme nur] subsidiärer Charakter zu", die die Landes-Hauptwahlbehörde in der Begründung des im anlassgebenden Beschwerdeverfahren bekämpften Bescheides und ihr folgend die NÖ Landesregierung in der im Gesetzesprüfungsverfahren erstatteten Äußerung vertritt, lässt sich durch nichts belegen: Der Wortlaut der Regelung kommt dafür - wie auch die NÖ Landesregierung einräumt - nicht in Betracht. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich - worauf NÖ Landesregierung gleichfalls hinweist - nichts. Dass die (Gesetzes-)Systematik bzw. die systematisch-logische Interpretation für diese Auffassung sprächen, ist nicht erkennbar. Offen bleibt insbesondere, welche Auswirkung die behauptete Subsidiarität einer derartigen Erklärung der Landesorganisation dann hätte, wenn die (Gemeinderats-)Wahlpartei gar keinen Austausch des zustellungsbevollmächtigten Vertreters will. Abgesehen davon wären aber die in Rede stehenden Bedenken des Verfassungsgerichtshofes auch dann nicht zerstreut, wenn die oben genannte Auffassung zuträfe, weil es selbst dann an einer dem Art18 B-VG entsprechenden Regelung jener Kriterien mangelte, die für den ausnahmsweisen bzw. subsidiären Charakter der der Landesorganisation einer im Landtag vertretenen politischen Partei gemäß §30 Abs4 GRWO eingeräumten Befugnis maßgeblich sein sollen. Schon angesichts dessen lässt sich für die von der NÖ Landesregierung vertretene Auffassung aber auch aus dem Grundsatz des freien Wahlrechts nichts gewinnen.

2.2.1. Darüber hinaus äußerte der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss auch das folgende Bedenken:

"Gänzlich unbestimmt scheint weiters zu sein, worauf die Gemeindewahlbehörde jeweils die 'Ansicht' stützen können sollte, dass der letzte zustellungsbevollmächtigte Vertreter bzw. ein oder mehrere Wahlwerber zu einem bestimmten Zeitpunkt die Wahlpartei (noch) vertreten können oder dass dies nicht (mehr) der Fall sei (§30 Abs3 dritter bis fünfter Satz GRWO). Dabei geht der Verfassungsgerichtshof - vorläufig - davon aus, dass unter der 'Wahlpartei' iSd §30 Abs3 GRWO die Summe jener Wahlwerber zu verstehen ist, die (seinerzeit) auf einer bestimmten Parteiliste kandidiert haben.

Gleichartige Bedenken bestehen schließlich auch gegen die Bestimmung des §30 Abs3, letzter Satz, erster Halbsatz GRWO, insoferne danach völlig offen bleiben dürfte, unter welchen Voraussetzungen die Behörde davon ausgehen kann, dass die Unterschriften von mindestens der Hälfte der auf dem Wahlvorschlag angeführten Wahlwerber nicht (mehr) beigebracht werden können. Gänzlich unbestimmt dürfte in diesem Zusammenhang weiters das Verhältnis zwischen den Regelungen des §30 Abs3 dritter und vierter Satz einerseits und des fünften Satzes andererseits sein: Während die erstgenannte Regelung für den Austausch des zustellungsbevollmächtigten Vertreters eine diesbezügliche Willenserklärung mindestens der Hälfte der auf dem Wahlvorschlag angeführten Wahlwerber verlangt, lässt die zweitgenannte Regelung die Erklärung bloß eines dieser Wahlwerber genügen. Abgesehen davon werfen beide Regelungen wieder die Frage der 'Prävalenz' bei Vorliegen zweier (jeweils von 'mindestens der Hälfte' der in Betracht kommenden Wahlwerber stammender) oder mehrerer (jeweils von einem einzelnen Wahlwerber stammender), inhaltlich unterschiedlicher Erklärungen auf."

2.2.2. Dem hält die NÖ Landesregierung im Wesentlichen

Folgendes entgegen:

"Zur Regelung des §30 Abs3 NÖ GRWO 1994 wird grundsätzlich

Folgendes ausgeführt:

Der Regelungsinhalt des §30 Abs3 NÖ GRWO 1994 fand erstmals durch die Neufassung der Gemeinderatswahlordnung in der NÖ GRWO 1994 in das Gemeindewahlrecht Eingang. Aus dem Motivenbericht zur Regierungsvorlage [II/1-1012/299-94 vom 7. Juni 1994, S 6] ergibt sich, dass die Bestimmung über den Austausch des zustellungsbevollmächtigten Vertreters an die diesbezüglichen Regelungen der Landtagswahlordnung angepasst werden soll.

Tatsächlich beinhaltet §44 Abs2 der NÖ Landtagswahlordnung 1992, LGBl. 0300, eine im Wesentlichen wortgleiche Bestimmung über den Austausch des zustellungsbevollmächtigten Vertreters.

Erstmals findet sich eine derartige Regelung in §36 Abs2 der Landtagswahlordnung 1959. Aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage [L.A.I./3-28/5-a-1959 vom 11. März 1959, S 2 f] ergibt sich, dass durch die Landtagswahlordnung 1959 die durch die Nationalrats-Wahlordnungsnovelle, BGBl. Nr. 25/1957, vorgenommenen Neuerungen im Wahlrecht im Lichte der bisherigen Praxis und der Verwaltungsvereinfachung auch in die Landtagswahlordnung übernommen werden sollten.

Durch die Nationalrats-Wahlordnungsnovelle wurde eine im Wesentlichen mit §30 Abs3 NÖ GRWO 1994 gleich lautende Bestimmung in die Nationalrats-Wahlordnung aufgenommen. Diese Bestimmung findet sich nunmehr mit nahezu gleichem Inhalt in §45 Abs2 der Nationalrats-Wahlordnung 1992.

Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass der Regelungsinhalt des §30 Abs3 NÖ GRWO 1994 ... letztlich auf §51 der Nationalrats-Wahlordnung, BGBl. Nr. 129/1929 in der Fassung BGBl. Nr. 25/1957, zurückzuführen ist. Daraus kann wiederum der Schluss gezogen werden, dass auch die Materialien zur entsprechenden Nationalrats-Wahlordnungsnovelle, BGBl. Nr. 25/1957, zur Auslegung des §30 Abs3 NÖ GRWO 1994 ergänzend herangezogen werden können.

Im vorliegenden Zusammenhang fällt auf, dass zahlreiche Länder die Regelungstechnik des Landes Niederösterreich teilen, d.h. Regelungen der Nationalrats-Wahlordnung in ihr Wahlrecht übernehmen. Insbesondere wurde die mit der in Prüfung gezogenen Bestimmung des §30 Abs3 NÖ GRWO 1994 nahezu wortgleiche Bestimmung der Nationalrats-Wahlordnung (1992) von zahlreichen Ländern in ihr Wahlrecht übernommen.

...

In der Folge soll nunmehr auf die einzelnen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes betreffend die Unbestimmtheit des §30 Abs3 NÖ GRWO 1994 eingegangen werden:

...

§30 Abs3 dritter bis fünfter Satz NÖ GRWO 1994 (Beurteilungskriterien für die Vertretung der Wahlpartei):

...

Gemäß §30 Abs3 dritter bis fünfter Satz NÖ GRWO 1994 hat die Gemeindewahlbehörde zu prüfen, ob der bzw. die Erklärende/n in der Lage ist/sind, die Wahlpartei zu vertreten.

Die Gemeindewahlbehörde hat daher die Fähigkeit zur Abgabe einer rechtlich relevanten Erklärung für die Wahlpartei zu beurteilen.

Ebenso wie die Rechtsordnung festlegt, wem überhaupt Rechtssubjektivität in welchem Ausmaß zukommt, legt sie auch fest, wer, wer für wen, in welchem Umfang und für welche Lebenssachverhalte rechtsverbindliche Handlungen setzen kann. Derartige Regelungen finden sich im Zivilrecht aber auch im öffentlichen Recht.

Im vorliegenden Fall kommt zunächst die Handlungsfähigkeit im Allgemeinen im Sinne des Privatrechtes in Betracht.

Verliert ein Wahlwerber seine Handlungsfähigkeit, aber natürlich auch seine Rechtsfähigkeit durch Tod, kann er nicht mehr für die Wahlpartei handeln und diese nicht mehr vertreten. Gerade an den letztgenannten Fall hat der Gesetzgeber der Nationalrats-Wahlordnungsnovelle, BGBl. Nr. 25/1957, gedacht.

Die NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994 normiert neben dem Privatrecht weitere Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit in Wahlangelegenheiten. Gemäß §20 NÖ GRWO 1994 kann nur Wahlwerber sein, wer wahlberechtigt ist und vor dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das 19. Lebensjahr vollendet hat.

Die Voraussetzungen der Wahlberechtigung werden in §17 leg. cit. geregelt. Gemäß §17 Abs1 leg. cit. ist jeder österreichische Staatsbürger und jeder Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union ab einem bestimmten Alter wahlberechtigt.

Gemäß §19 leg. cit. ist jedoch vom Wahlrecht ausgeschlossen, wer durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist.

Die Bestimmungen über das Wahlrecht und die Wählbarkeit sind auch für die Frage von Bedeutung, ob der (seinerzeitige) Wahlwerber in der Lage ist, die Wahlpartei zu vertreten. Verliert ein (seinerzeitiger) Wahlwerber z.B. seine Wählbarkeit, kann er folglich auch nicht die Wahlpartei vertreten. Das bedeutet, dass neben dem Verlust der Geschäftsfähigkeit im Sinne des Zivilrechtes auch der Verlust des Wahlrechtes und der Wählbarkeit von der Gemeindewahlbehörde zu prüfen ist.

Verliert daher beispielsweise ein (seinerzeitiger) Wahlwerber die österreichische Staatsbürgerschaft ohne die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union zu erwerben, oder verliert er die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union ohne die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben, kann er die Wahlpartei ebenso wenig vertreten, wie in jenem Fall, dass er vom Wahlrecht ausgeschlossen ist. Dieses Interpretationsergebnis wird auch durch den Motivenbericht zur Regierungsvorlage untermauert [II/1-1012/299-94, vom 7. Juni 1994, S 6f].

Darin wird Folgendes ausgeführt:

'Personen, die z.B. durch gerichtliche Verurteilung das passive Wahlrecht verloren haben, sollen dazu (Anmerkung: Abberufung des zustellungsbevollmächtigten Vertreters) nicht berechtigt sein und werden auch zur Ermittlung der Mehrheit nicht herangezogen.'

Die Gemeindewahlbehörde muss die Fähigkeit, die Wahlpartei zu vertreten, jedoch auch bei jenem Wahlwerber negieren, der der Wahlpartei zum Zeitpunkt der Erklärung nicht mehr angehört. Neben jenen Fällen, die auch unter die vorgenannten Fallkonstellationen subsumiert werden können, kommt hier der Verzicht des Wahlwerbers in Betracht. Der Verzicht stellt jenen Fall dar, in dem Wahlwerber 'offensichtlich nicht mehr zur Wahlpartei stehen' [vgl. Regierungsvorlage 132 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VIII. GP, S 23].

Zusammenfassend vertritt die NÖ Landesregierung daher die Auffassung, dass der Rechtsordnung durchaus entnommen werden kann, in welchen Fällen ein Wahlwerber fähig ist, die Wahlpartei zu vertreten, und wann er diese Fähigkeit verliert. Als Beurteilungsmaßstab dienen dabei die Regelungen des Zivilrechtes über die Rechts- und Geschäftsfähigkeit, die Bestimmungen über das Wahlrecht und die Wählbarkeit sowie die Bestimmungen über das Ausscheiden aus der Wahlpartei.

...

§30 Abs3 dritter bis fünfter Satz NÖ GRWO 1994 (Verhältnis zwischen den Regelungen, Prävalenz):

...

Wie bereits oben ausgeführt, kann die Regelung des §30 Abs3 NÖ GRWO 1994 letztlich auf ArtI Z. 47 der Nationalrats-Wahlordnungsnovelle, BGBl. Nr. 25/1957, zurückgeführt werden. In der Regierungsvorlage [132 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates VIII. GP] wird zu dieser Bestimmung auf Seite 23 u.a. Folgendes ausgeführt:

'Schwierig wird die Frage dann, wenn die Wahlpartei zum Beispiel nicht auf vereinsrechtlicher Basis aufgebaut ist, sondern nur durch die hundert Wähler, die den Wahlvorschlag gemäß §49 Abs2 unterschrieben haben, repräsentiert wird. Es wäre praktisch wohl kaum möglich, die Auswechslung des zustellungsbevollmächtigten Vertreters von einem Mehrheitsbeschluß dieser hundert Wähler abhängig zu machen, umsomehr, als er erst nach sehr geraumer Zeit nach der Einbringung des Wahlvorschlages aktuell werden könnte. Die Regierungsvorlage sieht für diesen Fall drei Abstufungen vor. Zunächst muß es dem jeweiligen zustellungsbevollmächtigten Vertreter wohl allein möglich sein, namens der Wahlpartei einen anderen Vertreter namhaft zu machen, da er ja im Normalfalle weit wichtigere Kompetenzen hat. ... Nun könnte aber der Fall eintreten, daß der zustellungsbevollmächtigte Vertreter selbst nicht mehr das Vertrauen der Wahlpartei hat. Dann kann man ihm aber auch nicht mehr die Legitimation einräumen, namens der Wahlpartei Erklärungen abzugeben. ... Für diese Fälle sieht die Regierungsvorlage vor, daß die Erklärung durch die der Vertreter ausgewechselt werden soll, von mindestens der Hälfte der (im Zeitpunkt der Erklärung noch lebenden) Bewerber des Wahlvorschlages unterschrieben sein muß, die aber ebenfalls - nach Ansicht der Kreiswahlbehörde - noch in der Lage sind, die Wahlpartei zu vertreten. Bewerber, die im Zeitpunkt der Erklärung offensichtlich nicht mehr zur Wahlpartei stehen, können bei der Berechnung der Hälfte naturgemäß nicht mitzählen. Die dritte Abstufung wäre die, daß es nicht möglich wäre, so viele Unterschriften von Bewerbern aufzubringen, zum Beispiel deshalb, weil am Wahlvorschlag überhaupt nur mehr ein Bewerber steht, der, gleichgültig ob er ein Mandat inne hat oder nicht, im Zeitpunkt der Erklärung noch lebt. In diesem Falle, somit wenn alle vorhergehenden Varianten nicht durchführbar sind, genügt es, wenn auch nur dieser eine Bewerber die Auswechslungserklärung unterfertigt.'

Diesen Ausführungen der Regierungsvorlage ist zu entnehmen, dass das Verhältnis zwischen den Regelungen des §30 Abs3 dritter bis fünfter Satz NÖ GRWO 1994 nur so verstanden werden kann, dass diese Regelungen zwingend aufeinander folgende Fallkonstellationen beinhalten, die niemals gleichzeitig auftreten können. Die Regelung bezweckt die Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der Wahlpartei im Lichte der Freiheit der Wahlwerbung für das gesamte Wahlverfahren, aber insbesondere auch für die gesamte daran anschließende Funktionsperiode.

Aufgrund des Regelungssystems kann aber nicht der Fall eintreten, dass mehrere jeweils von einem einzelnen Wahlwerber stammende inhaltlich unterschiedliche Erklärungen vorliegen. Der Fall, dass zwei jeweils von mindestens der Hälfte der in Betracht kommenden Wahlwerber stammende inhaltlich unterschiedliche Erklärungen vorliegen, ist so zu lösen, dass jeweils der letzte gültige 'Mehrheitsbeschluss' relevant ist. Dieser Fallkonstellation kann im Übrigen keine Besonderheit zugemessen werden, weil die Erfahrung zeigt, dass Willenserklärungen und Beschlüsse immer wieder durch neue Erklärungen bzw. Beschlüsse abgeändert werden. Klar zeigt sich dieses Problem beispielsweise bei der Tätigkeit der gesetzgebenden Organe. Auch diese ändern laufend ihre früheren Beschlüsse ab, und es steht wohl außer Zweifel, dass im Normalfall der letzte gültige und in Kraft getretene Beschluss rechtlich relevant ist."

2.2.3. Dem ist Folgendes zu erwidern:

Gerade der Hinweis auf die Materialien zu §51 der Nationalrats-Wahlordnung, BGBl. 1929/129, idF BGBl. 1957/25 (vgl. nunmehr §45 Abs2 NRWO 1992) - welche Regelung mit §30 Abs3 GRWO in allen wesentlichen Belangen vergleichbar ist - macht deutlich, dass es gemäß §30 Abs3 dritter bis fünfter Satz GRWO für die Maßgeblichkeit einer Erklärung des zustellungsbevollmächtigten Vertreters oder eines Wahlwerbers darauf ankommt, ob dieser nach Ansicht der Gemeindewahlbehörde in dem Sinne "in der Lage ist, die Wahlpartei zu vertreten", als er (noch) deren "Vertrauen hat" bzw. (noch) "zur Wahlpartei steht", und zwar ohne dass (näher) geregelt wäre, wovon die Behörde dabei im Einzelnen auszugehen hat. Eine derartige Vorschrift entspricht aber dem Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG keinesfalls (idS etwa auch Matzka, Kommentar zur Nationalrats-Wahlordnung, 2. Auflage, 1990, §48 Anm. 2; Neisser/Handstanger/Schick [Hrsg.], Das Bundeswahlrecht, 1994, §45 Anm. 4; Fischer/Berger/Stein [Hrsg.], Nationalrats-Wahlordnung,

2. Auflage, 1999, §45 Anm. 1).

Angesichts dessen ist es entbehrlich, der Frage nachzugehen, ob auch die weiteren der oben unter Pkt. 2.2.1. wiedergegebenen Bedenken zutreffen.

In dieser Hinsicht erweist sich darüber hinaus auch das Bedenken als zutreffend, dass die in Prüfung gezogenen gesetzlichen Bestimmungen weiters auch den Anforderungen nicht genügen, die aus dem demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung für die notwendige Eindeutigkeit wahlrechtlicher Regelungen (vgl. dazu die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der zu Folge die Wahlbehörden durch die Formalvorschriften der Wahlordnung streng gebunden sind und dem gemäß die Bestimmungen der Wahlordnung strikt nach ihrem Wortlaut ausgelegt werden müssen, soll nicht der Willkür Tür und Tor geöffnet werden [zB VfSlg. 15.375/1998 mwN]), hier also jener über den zustellungsbevollmächtigten Vertreter einer (Gemeinderats-)Wahlpartei, abzuleiten sind.

2.3.1. Schließlich äußerte der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss auch noch das folgende Bedenken:

"Darüber hinaus scheint §30 Abs4 GRWO insoferne eine differenzierende Regelung für den Austausch des zustellungsbevollmächtigten Vertreters von (Gemeinderats-)Wahlparteien zu treffen, als dieser Austausch bei einer Wahlpartei, die einer im Landtag vertretenen politischen Partei zuzurechnen ist, auch dieser politischen Partei zukommt, während für eine Wahlpartei, auf die dieses Tatbestandselement nicht zutrifft, eine derartige Ingerenz einer übergemeindlichen Parteiorganisation nicht in Betracht kommt. Für den Verfassungsgerichtshof sind - unter dem Blickwinkel des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatzes (Art7 Abs1 B-VG) - vorläufig keine sachlichen Gründe zu erkennen, die eine derart unterscheidende Regelung rechtfertigen könnten."

2.3.2. Dem hält die NÖ Landesregierung im Wesentlichen Folgendes entgegen:

"Den nachfolgenden Ausführungen liegt die Rechtsansicht zugrunde, dass §30 Abs4 NÖ GRWO 1994 nur dann Anwendung findet, wenn die Parteibezeichnung einer im Landtag vertretenen politischen Partei mit der Parteibezeichnung einer wahlwerbenden (Gemeinderats-)Wahlpartei ident oder schwer unterscheidbar ist. ...

Die NÖ Landesregierung vertritt die Ansicht, dass der Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluss von zwei unterschiedlichen Tatbeständen ausgeht.

Ein Tatbestand betrifft die Einflussnahme jener im Landtag vertretenen politischen Partei, welche die Zustimmung zur Verwendung einer identen oder schwer unterscheidbaren Parteibezeichnung durch die wahlwerbende (Gemeinderats-)Wahlpartei erteilt hat.

Der zweite davon zu unterscheidende Tatbestand ist jener einer übergemeindlichen Parteiorganisation, die keine Zustimmung zur Verwendung ihrer Parteibezeichnung erteilt hat und auch nicht zu erteilen braucht.

Da somit zwei unterschiedliche Tatbestände vorliegen, müssen nicht gleiche Rechtsfolgen an diese geknüpft werden. Daher kann keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes eintreten.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass in dem vom Verfassungsgerichtshof aufgezeigten Fall zwei gleiche Tatbestände vorliegen, ist die vorliegende unterscheidende Regelung sachlich aus folgenden Gründen gerechtfertigt:

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrmals judiziert hat, ist die Bezeichnung der Wählergruppe ein bei der Bildung des Wählerwillens mitbestimmender Umstand [VfSlg. 6196 und 8848]. Der Verfassungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass sich die Wähler bei der Wahl neben anderen Rücksichten auch von ihrer Neigung zu einer Partei leiten lassen [VfSlg. 6207 und 8848].

Diese Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, die sich mit der allgemeinen Lebenserfahrung deckt, bringt zum Ausdruck, dass die Bezeichnung der Wahlpartei im Wähler Assoziationen hinsichtlich bestimmter weltanschaulicher und politischer Vorstellungen und Wertungen aber auch Sympathien zu Persönlichkeiten der Partei erweckt.

Vor diesem Hintergrund schützt der Landesgesetzgeber die Reinheit des Wahlverfahrens [z.B. VfSlg. 13.371] insofern, als im Landtag vertretene Parteien der Verwendung einer Parteibezeichnung durch eine (Gemeinderats-)Wahlpartei zustimmen müssen, wenn die Parteibezeichnungen ident oder schwer unterscheidbar sind.

Dadurch soll verhindert werden, dass der Wähler durch die Verwendung der Parteibezeichnung einer im Landtag vertretenen Partei durch eine (Gemeinderats-)Wahlpartei insofern getäuscht wird, als die (Gemeinderats-)Wahlpartei andere politische Ziele verfolgt als die im Landtag vertretene Partei.

Es kann nämlich davon ausgegangen werden, dass eine im Landtag vertretene Partei nur dann der Verwendung 'ihrer' Parteibezeichnung zustimmt, wenn die politische Orientierung der (Gemeinderats-)Wahlpartei und ihre eigene im Wesentlichen übereinstimmen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Regelungsinhalt des §30 Abs4 NÖ GRWO 1994 an sich sachlich gerechtfertigt ist. Auch der Verfassungsgerichtshof erachtet in seinem Einleitungsbeschluss die in dieser Bestimmung normierte Ingerenz der im Landtag vertretenen politischen Partei als 'sehr wohl plausibel'.

Die 'fehlende' Berücksichtigung anderer übergemeindlicher Parteiorganisation[en] in §30 Abs4 bzw. §31 Abs1 NÖ GRWO 1994 lässt sich sachlich wie folgt begründen:

Ebenso wie es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass sich der Wähler bei der Wahl auch von seiner Neigung zu einer Partei leiten lässt, entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der durchschnittliche Wähler nur jene Parteien kennt und daher Wertvorstellungen und Sympathien zu diesen entwickelt und ihnen politische Zielrichtungen zuspricht, die in den gesetzgebenden Körperschaften vertreten sind.

Es stellt sich nunmehr die Frage, warum §30 Abs4 NÖ GRWO 1994 'nur' auf im Landtag vertretene politische Parteien abstellt.

Aufgrund der bei der Landtagswahl niedrigeren Wahlzahl im Vergleich zur Nationalratswahl, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass eine Wahlpartei im NÖ Landtag vertreten ist. So betrug beispielsweise die Wahlzahl für Niederösterreich bei der letzten Nationalratswahl im Jahr 2002 28.186, die Wahlzahl bei der NÖ Landtagswahl im Jahr 2003 jedoch 15.840.

Folgerichtig wird in §30 Abs4 NÖ GRWO auf im Landtag vertretene Parteien abgestellt. Weiters lässt sich diese Entscheidung des Gesetzgebers damit begründen, dass der Bürger dem lokalen allgemeinen Vertretungskörper näher ist als dem zentralen."

2.3.3. Soweit sich diese Ausführungen überhaupt auf die oben unter Pkt. 2.3.1. wiedergegebenen Bedenken beziehen, ist dazu Folgendes zu bemerken:

Es ist nicht nachvollziehbar, warum es für die Frage, ob die Landesorganisation einer politischen Partei befugt sein soll, den zustellungsbevollmächtigten Vertreter einer (Gemeinderats-)Wahlpartei auszutauschen oder nicht, darauf ankommen soll, ob es sich dabei um die Landesorganisation einer im Landtag vertretenen Partei handelt oder nicht. Weder der Umstand, "dass der durchschnittliche Wähler nur jene Parteien kennt und daher Wertvorstellungen und Sympathien zu diesen entwickelt und ihnen politische Zielrichtungen zuspricht, die in den gesetzgebenden Körperschaften vertreten sind", noch der Umstand, "dass der Bürger dem lokalen allgemeinen Vertretungskörper näher ist als dem zentralen", haben für die hier allein maßgebliche Frage der Ingerenz der Landesorganisation einer politischen Partei auf die Person des zustellungsbevollmächtigten Vertreters einer (Gemeinderats-)Wahlpartei irgend eine Relevanz.

3. Die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken haben sich aus den in Pkt. 2. angestellten Erwägungen als zutreffend erwiesen. Daher war §30 Abs3 und 4 GRWO als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Der Ausspruch über die Kundmachung stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG.

5. Dieser Beschluss konnte in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefasst werden.

Schlagworte

Grundprinzipien der Verfassung, demokratisches Grundprinzip, Wahlen, Wahlvorschlag, Zustellung, Zustellungsbevollmächtigter, Determinierungsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G48.2003

Dokumentnummer

JFT_09959774_03G00048_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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