TE Vfgh Erkenntnis 2004/3/1 G110/03 ua

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Veröffentlicht am 01.03.2004
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
EG Art56
Vlbg GVG 2000 §8 Abs1, Abs3

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung des Vorarlberger Grundverkehrsgesetzes über die Genehmigungspflicht des Rechtserwerbs an unbebauten Baugrundstücken als gleichheitswidrig wegen Schlechterstellung innerstaatlicher Sachverhalte infolge Anwendungsvorrangs des EU-Rechts (hier: Kapitalverkehrsfreiheit) vor nationalem Recht in Fällen mit Gemeinschaftsbezug

Spruch

I. §8 Abs3 des Gesetzes über den Verkehr mit Grundstücken (Grundverkehrsgesetz), Vorarlberger LGBl. Nr. 29/2000 sowie die Wortfolge "oder 3" in §8 Abs1 leg.cit. werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Juli 2004 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Landeshauptmann von Vorarlberg ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. Kosten werden der beteiligten Partei nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (kurz: UVS) stellte aus Anlaß von zwei bei ihm anhängigen Berufungsverfahren jeweils den Antrag folgende Bestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben:

§8 Abs3 (Vorarlberger) Grundverkehrsgesetz, LGBl. 29/2000, sowie die Wortfolge "oder 3" in §8 Abs1 leg.cit.;

in eventu

§8 Abs3 lita (Vorarlberger) Grundverkehrsgesetz, LGBl. 29/2000;

in eventu

§8 des (Vorarlberger) Grundverkehrsgesetzes, LGBl. 29/2000.

Diese Anträge sind beim Verfassungsgerichtshof zu G110/03 und zu G188/03 protokolliert.

2. §8 (Vorarlberger) Grundverkehrsgesetz LGBl. 29/2000 (kurz: VGVG) lautet wie folgt (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"§8

Genehmigungspflicht

(1) Ist der Rechtserwerb nicht gemäß §7 genehmigungsfrei, so bedarf ein Rechtserwerb an einem Baugrundstück der Genehmigung nach Abs2 oder 3.

(2) Rechtserwerbe an bebauten Baugrundstücken sind zu genehmigen, wenn der Erwerber glaubhaft macht, dass

a) der Erwerb nicht zu Ferienzwecken erfolgt oder

b) im Falle des Erwerbs zu Ferienzwecken die Nutzung als Ferienwohnung durch den Erwerber nach den raumplanungsrechtlichen Vorschriften zulässig ist.

(3) Rechtserwerbe an unbebauten Baugrundstücken sind zu genehmigen, wenn

a) der Erwerber glaubhaft macht, dass das Grundstück innerhalb angemessener Frist einer dem Flächenwidmungsplan entsprechenden Nutzung zugeführt oder zur Erfüllung öffentlicher, gemeinnütziger oder kultureller Aufgaben verwendet wird, wobei auch ein Bedarf des Erwerbers zu berücksichtigen ist, und

b) im Falle des Erwerbs zu Ferienzwecken auf dem Baugrundstück gemäß §16 Abs1 des Raumplanungsgesetzes Ferienwohnungen errichtet werden dürfen."

Die angefochtene Bestimmung steht im folgenden rechtlichen Zusammenhang:

"§1

Anwendungsbereich, Ziel

(1) Den Bestimmungen dieses Gesetzes unterliegt der Verkehr mit

a)

land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken,

b)

Baugrundstücken,

c)

Grundstücken, sofern an diesen Ausländer Rechte erwerben.

(2) Den Bestimmungen dieses Gesetzes unterliegen nicht Grundstücke, die in das Eisenbahnbuch eingetragen sind.

(3) Ziel des Gesetzes ist es,

a) land- und forstwirtschaftliche Grundstücke bäuerlichen Familienbetrieben im Interesse einer Verbesserung ihrer strukturellen Verhältnisse entsprechend den natürlichen Gegebenheiten des Landes zu erhalten,

b) im Hinblick auf die Bodenknappheit dem Bedarf nach Baugrundstücken für Wohn- und Betriebszwecke vor anderen Nutzungen, insbesondere jener zu Ferienzwecken, Vorrang zu geben,

c) eine möglichst breite, sozial erträgliche und der Größe des Landes entsprechende Streuung des Grundeigentums zu erhalten und

d) den Grunderwerb durch Ausländer, die nicht durch das Recht der Europäischen Union Inländern gleichgestellt sind, Beschränkungen zu unterwerfen.

§2

Begriffsbestimmungen

(1) ...

(2) Baugrundstücke sind Grundflächen, die im Flächenwidmungsplan als Bauflächen, Vorbehaltsflächen oder Sondergebiete, die für eine Bebauung mit Wohn- oder Betriebsgebäuden bestimmt sind, gewidmet sind ...

(3) Baugrundstücke gelten als bebaut, wenn sie Grundstücke im Sinne des Liegenschaftsteilungsgesetzes sind und auf ihnen Wohn- oder Betriebsgebäude errichtet sind. Bei einer Bauparzelle gehören zum bebauten Baugrundstück auch der anschließende Garten und Hofraum, wenn diese ein eigenes Grundstück im Sinne des Liegenschaftsteilungsgesetzes bilden.

(4) - (6) ...

§3

Gleichbehandlung mit Inländern

(1) Soweit sich dies aus dem Recht der Europäischen Union ergibt, gelten vorbehaltlich des Abs2 die Regelungen über den Grunderwerb durch Ausländer nicht für

a) Personen in Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer,

b) Personen und Gesellschaften in Ausübung der Niederlassungsfreiheit,

c) Personen und Gesellschaften in Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs,

d) Personen in Ausübung des Aufenthaltsrechtes,

e) Personen und Gesellschaften in Ausübung des freien Kapitalverkehrs soweit sie im Gebiet eines Mitgliedstaates der EU oder sonst im Geltungsbereich des EWR-Abkommens ansässig sind.

(2) Beim Erwerb zu Ferienzwecken ergibt sich aus der Kapitalverkehrsfreiheit nach dem EWR-Abkommen keine Ausnahme von den Regelungen über den Grundverkehr durch Ausländer.

(3) Der Nachweis, dass er Inländer ist oder die Ausnahme von den Regelungen über den Grundverkehr durch Ausländer vorliegt, obliegt dem Rechtserwerber.

Verkehr mit Baugrundstücken

§6

Gegenstand

(1) Gegenstand des Verkehrs mit Baugrundstücken sind der Erwerb

a) des Eigentums an Grundstücken oder an Bauwerken im Sinne des §435 ABGB,

b) des Baurechtes im Sinne des Baurechtsgesetzes sowie anderer Rechte, welche die Errichtung baulicher Anlagen auf fremdem Grund gestatten,

c) des Gebrauchsrechtes, Fruchtnießungsrechtes, Wohnungsrechtes und Bestandrechtes an Grundstücken sowie sonstiger Nutzungsrechte an Wohn- und Geschäftsräumen, insbesondere auch Beteiligungen an Gesellschaften, wenn damit Rechte zur Nutzung von Wohnräumen verbunden sind und der Erwerb zu Ferienzwecken erfolgt.

(2) ...

§7

Genehmigungsfreier Erwerb, Erklärung

(1) Rechtserwerbe gemäß §6 Abs1 an bebauten Baugrundstücken bedürfen keiner grundverkehrsbehördlichen Genehmigung, wenn der Rechtserwerber der Grundverkehrs- Landeskommission oder der Gemeinde, in der das Grundstück liegt, schriftlich eine Erklärung gemäß Abs2 bis 4 abgibt.

(2) Der Erwerber hat zu erklären, dass

a) das Grundstück bebaut ist,

b) er österreichischer Staatsbürger ist oder - falls er keine natürliche Person ist - nicht als Ausländer gemäß §2 Abs4 litb bis d gilt oder eine der Voraussetzungen des §3 Abs1 und 2 erfüllt, und

c) der Erwerb zu Ferienzwecken oder nicht zu Ferienzwecken erfolgt.

(3) Mit der Erklärung hat der Erwerber Angaben zu machen, aus denen sich seine Identität und Staatsbürgerschaft bzw. der Umstand, dass er nicht als Ausländer gemäß §2 Abs4 litb bis d gilt, bzw. seine Gleichstellung nach §3 ergibt. Soweit ein Nachweis durch Urkunden möglich ist, sind diese vorzulegen.

(4) - (6) ..."

3. Zum Sachverhalt führt der UVS aus:

3.1. zu G110/03:

Mit Bescheid der Landesgrundverkehrskommission für Vorarlberg vom 22. November 2002 wurde der WHS GmbH die grundverkehrsbehördliche Genehmigung zum Erwerb eines näher bezeichneten Grundstückes von S unter der Auflage erteilt, daß "die Antragstellerin das geplante Bauobjekt, nämlich die Errichtung eines Mehrfamilienhauses, innerhalb der nächsten vier Jahre realisiert".

Bei der gegenständlichen Fläche handle es sich um ein im rechtskräftigen Flächenwidmungsplan der Gemeinde Hard als Baufläche ausgewiesenes unbebautes Grundstück. Der Erwerb erfolge nicht zu Ferienzwecken.

Gegen den obigen Bescheid habe die Berufungswerberin Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg erhoben.

3.2. zu G188/03:

Mit Bescheid der Grundverkehrs-Landeskommission für Vorarlberg vom 27. Mai 2003 wurde der N GmbH die grundverkehrsbehördliche Genehmigung zum Erwerb eines näher bezeichneten Grundstückes im Gesamtausmaß von 1.922 m² versagt.

Gemäß §2 Abs2 des Grundverkehrsgesetzes seien Baugrundstücke Grundflächen, die im Flächenwidmungsplan als Bauflächen, Vorbehaltsflächen oder Sondergebiete, die für eine Bebauung mit Wohn- oder Betriebsgebäuden bestimmt seien, gewidmet seien.

Die Kaufliegenschaft sei im rechtskräftigen Flächenwidmungsplan der Gemeinde A als "Freiland Freifläche-Sondergebiet Gasthaus" eingetragen. Es sei somit davon auszugehen, daß es sich bei der Kaufliegenschaft um ein Sondergebiet handle, das für eine Bebauung mit einem Betriebsgebäude bestimmt sei. Die Kaufliegenschaft stelle somit ein Baugrundstück im Sinne des §2 Abs2 Grundverkehrsgesetz dar.

Der Erwerb der Kaufliegenschaft erfolge nicht zu Ferienzwecken. Weiters sei die Kaufliegenschaft unbebaut.

Gegen den oben erwähnten Bescheid habe die Berufungswerberin Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg erhoben.

4. Zur Präjudizialität bringt der Unabhängige Verwaltungssenat vor:

Mit dem bei ihm angefochtenen Bescheid im zu G110/03 protokollierten Verfahren sei die grundverkehrsbehördliche Genehmigung unter Vorschreibung einer Auflage erfolgt; mit dem bei ihm angefochtenen Bescheid im zu G188/03 protokollierten Verfahren sei die grundverkehrsbehördliche Genehmigung zum Erwerb des Grundstückes versagt worden. Da es sich um unbebaute Baugrundstücke handle, hätte er unter anderem §8 Abs3 des Grundverkehrsgesetzes anzuwenden.

5. Der Unabhängige Verwaltungssenat legt seine Bedenken wie folgt dar:

"Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 15.5.2003, Rs C-300/01, ua ausgesprochen, dass Art73b Abs1 EG-Vertrag (jetzt Art56 Abs1 EG) einem Verfahren der vorherigen behördlichen Genehmigung für den Erwerb von Grundstücken, wie es nach dem Vorarlberger Grundverkehrsgesetz vom 23. September 1993 in der im LGBl. Nr. 85/1997 veröffentlichten geänderten Fassung vorgesehen sei, entgegenstehe.

Der Europäische Gerichtshof hat in dem erwähnten Urteil weiters dargelegt, dass eine nationale Regelung wie die des Vorarlberger Grundverkehrsgesetzes, die unterschiedslos auf österreichische Staatsangehörige und Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union anwendbar sei, im Allgemeinen nur dann Vertragsbestimmungen über die Grundfreiheiten betreffen würde, wenn sie auf eine Sachlage anwendbar sei, die eine Verbindung zum innergemeinschaftlichen Handel aufweise (Rz 32).

Die vorliegende Rechtssache weist eine solche Verbindung zum innergemeinschaftlichen Handel nicht auf. Die gegenständliche Antragstellerin muss sich daher einem Genehmigungsverfahren unterziehen, während bei einer Verbindung zum innergemeinschaftlichen Handel - zufolge unmittelbar anwendbaren EU-Rechtes - ein solches Genehmigungsverfahren nicht zulässig wäre.

Nur der Umstand, dass eine gesetzliche Regelung - hier: der Entfall eines Genehmigungsverfahrens bei Vorliegen einer Verbindung zum innergemeinschaftlichen Handel - durch Gemeinschaftsrecht geboten ist, bildet für sich allein keinen ausreichenden Rechtfertigungsgrund für eine dadurch bewirkte Differenzierung (vgl. VfGH 9.12.1999, G42/99 ua.). Auch andere Gründe, die eine solche Differenzierung rechtfertigen würden, sind für den Verwaltungssenat nicht erkennbar.

Nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg liegt daher eine unzulässige Inländerdiskriminierung vor und bestehen somit Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §8 Abs3 des Vorarlberger Grundverkehrsgesetzes.

Aus diesem Grunde wird der oben ersichtliche Antrag gestellt.

Der erste Eventualantrag wird für den Fall gestellt, dass der Verfassungsgerichtshof entgegen der Annahme des Unabhängigen Verwaltungssenates davon ausgeht, bei einem Entfall des §8 Abs3 lita habe die verbleibende litb dieses Absatzes noch einen ausreichenden dem Gesetzgeber zusinnbaren Inhalt.

Der zweite Eventualantrag wird für den Fall gestellt, dass der Verfassungsgerichtshof die hier maßgebende Verfassungswidrigkeit schon im Absatz 2 des §8 erkennt. Gegen die Annahme einer solchen umfassenden Verfassungswidrigkeit spricht nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates, dass der §8 Abs2 für bebaute Baugrundstücke lediglich ein Genehmigungsverfahren zusätzlich bzw. alternativ zum Anzeigeverfahren nach §7 des Grundverkehrsgesetzes vorsieht. Der Rechtserwerber hat die Wahl, entweder eine Erklärung nach §7 abzugeben oder einen Antrag auf Genehmigung nach §8 Abs1 und 2 zu stellen. Das Inanspruchnehmen des Genehmigungsverfahrens eröffnet ihm die Möglichkeit des Erlangens einer erhöhten Rechtssicherheit sowie des Erlangens einer allenfalls bekämpfbaren bescheidmäßigen Erledigung."

6. Die Vorarlberger Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie zugesteht, es dürfte zutreffen, daß ein vorheriges Genehmigungsverfahren für den Erwerb von unbebauten Grundstücken eine verfassungsrechtlich unzulässige Inländerdiskriminierung darstelle. Sie weist darauf hin, daß eine Neuregelung des Baugrundstücksverkehrs beabsichtigt ist und beantragt für den Fall der Aufhebung die Frist frühestens mit 1. Jänner 2004 festzusetzen.

7. Die mitbeteiligte Partei im Verfahren zu G110/03 hat eine Äußerung erstattet, in der sie ua vorbringt, falls das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die Kapitalverkehrsfreiheit auf diesen Fall direkt anwendbar sein sollte, stehe nach dem Urteil Salzmann außer Frage, daß §8 VGVG gemeinschaftsrechtlich verdrängt und damit unanwendbar sei.

Aus der Sicht der Käuferin sei nicht mit letzter Sicherheit klar, ob der EuGH von der Verdrängungswirkung der Kapitalverkehrsfreiheit trotz Fehlens eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes ausgegangen sei oder ob er nur auf Grundlage des anerkannten Inländerdiskriminierungsverbotes dem vorliegenden Gericht eine Antwort gegeben habe. Unter diesen Umständen betreffe der Gesetzesprüfungsantrag die präjudizielle Norm und dürfte daher zulässig sein.

Nach ständiger Rechtsprechung sei der Verfassungsgerichtshof bei direkten Gesetzesprüfungsanträgen von Behörden und Gerichten auf die von diesen geltend gemachten Verfassungswidrigkeitsargumente begrenzt. Er sei allerdings nicht daran gehindert, aus Anlaß eines solchen Gesetzesprüfungsverfahrens Normen höheren Ranges von Amts wegen in Prüfung zu ziehen. Es werde daher angeregt aus Art10 Abs1 Z6 B-VG die Wortfolge "und den Verkehr der bebauten oder zur Bebauung bestimmten Grundstücken" wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben.

Nach Bereinigung der verfassungsrechtlichen Grundlagen wären die angegriffenen Normen eo ipso in Ermangelung einer kompetenzrechtlichen Grundlage verfassungswidrig und daher synchron zu beheben, da mit der Bereinigung der Kompetenzlage allein eine Bereinigung der Rechtslage nicht erreicht würde.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenat an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt dessen Entscheidung in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlaßfall bildet (vgl. VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989).

1.1. Auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens des Landesgerichtes Feldkirch befaßte sich der EuGH mit §8 VGVG, LGBl. 61/1993 idF LGBl. 85/1997.

Das Landesgericht Feldkirch hatte ua angefragt, ob sich Bürger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union für einen innerstaatlichen Vorgang auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen können, wenn das nationale Recht das Verbot der Inländerdiskriminierung vorsieht, andererseits aber Unionsbürgern die Kapitalverkehrsfreiheit nicht ausdrücklich im nationalen Gesetz garantiert, sowie, ob es mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar ist, daß für den Erwerb eines unbebauten Baugrundstückes eine konstitutive grundverkehrsbehördliche Genehmigung erforderlich ist.

Der EuGH hat mit Urteil vom 15.5.2003, Rs. C-300/01, Salzmann II, Slg. 2003, I-4899 für Recht erkannt:

"Art 73b Abs1 EG-Vertrag (jetzt Art56 Absatz 1 EG) steht einem Verfahren der vorherigen behördlichen Genehmigung für den Erwerb von Grundstücken, wie es nach dem Vorarlberger Grundverkehrsgesetz vom 23. September 1993 in der im LGBl. Nr. 85/1997 veröffentlichten geänderten Fassung vorgesehen ist, entgegen ..."

In seiner Begründung führt er unter anderem aus:

"41. §8 Absatz 3 VGVG enthält zwar seinem Wortlaut nach keine förmliche Diskriminierung zwischen den österreichischen und den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des EWR, doch beschränkt das durch diese Bestimmung eingeführte Verfahren der vorherigen Genehmigung bereits durch seinen Gegenstand den freien Kapitalverkehr (vgl. in diesem Sinne Urteil Reisch u.a., Randnr. 32). Dieses Verfahren fällt daher unter das in Artikel 73b Absatz 1 EG-Vertrag vorgesehene Verbot.

42. Eine solche Maßnahme kann gleichwohl zugelassen werden, wenn sie einem im Allgemeininteresse liegenden Ziel dient, in nicht diskriminierender Weise angewandt wird und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet, d.h. geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (Urteile Konle, Randnr. 40; vom 22. Januar 2002 in der Rechtssache C-390/99, Canal Satelite Digital, Slg. 2002, I-607, Randnr. 33, und Reisch u.a., Randnr. 33).

...

46. Es ist jedoch festzustellen, dass eine Maßnahme wie §8 Absatz 3 VGVG, da sie dem Erwerber den Beweis für die zukünftige Nutzung des zu erwerbenden Grundstücks auferlegt, den zuständigen Behörden einen weiten Beurteilungsspielraum lässt, der einem freien Ermessen sehr nahe kommen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Konle, Randnr. 41).

47. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass ein Verfahren der vorherigen Genehmigung wie das, um das es im Ausgangsrechtsstreit geht, diskriminierend angewandt wird."

1.2. §8 VGVG LGBl. 29/2000 stimmt inhaltlich im wesentlichen mit dem der Entscheidung Salzmann II zugrundeliegenden §8 VGVG LGBl. 61/1993 idF LGBl. 85/1997 überein, welcher lautete:

"§8

Genehmigungspflicht

(1) Ist der Rechtserwerb nicht gemäß §7 genehmigungsfrei, so bedürfen Rechtserwerbe an Baugrundstücken der Genehmigung nach den Abs2 bis 4.

(2) Rechtserwerbe an bebauten Baugrundstücken, ausgenommen zu Ferienzwecken, sind zu genehmigen, wenn der Erwerber glaubhaft macht, daß der Erwerb nicht zu Ferienzwecken erfolgt.

(3) Rechtserwerbe an unbebauten Baugrundstücken, ausgenommen zu Ferienzwecken, sind zu genehmigen, wenn

a) die im Abs2 angeführte Voraussetzung erfüllt ist und

b) der Erwerber glaubhaft macht, daß innerhalb angemessener Frist das Grundstück einer dem Flächenwidmungsplan entsprechenden Nutzung zugeführt oder zur Erfüllung öffentlicher, gemeinnütziger oder kultureller Aufgaben verwendet wird. Hiebei ist auch ein Bedarf des Erwerbers zu berücksichtigen.

(4) Rechtserwerbe an Baugrundstücken zu Ferienzwecken sind nur zu genehmigen, wenn

a) der Rechtserwerber eine natürliche Person ist und in Österreich seinen ständigen Wohnsitz hat oder früher seinen ständigen Wohnsitz in Österreich insgesamt fünf Jahre gehabt hat,

b) die Nutzung als Ferienwohnung nach raumplanungsrechtlichen Bestimmungen zulässig ist und

c) - bei unbebauten Grundstücken - auf diesen gemäß §14 Abs12 des Raumplanungsgesetzes Ferienwohnungen bzw. Ferienwohnhäuser errichtet werden dürfen.

(5) Sind nach raumplanungsrechtlichen Bestimmungen auch andere Nutzungen als zu Ferienzwecken zulässig, so gelten im Falle des Erwerbs zu anderen als zu Ferienzwecken die Bestimmungen des §7 sowie der Abs1 bis 3."

Auch der Sachverhalt ist vergleichbar: Frau Salzmann, eine österreichische Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Fussach kaufte von einem österreichischen Staatsbürger eben dort ein unbebautes Baugrundstück.

1.3. Die angefochtene Bestimmung ist offenkundig gemeinschaftsrechtswidrig (s auch EuGH 5.3.2001, Rs. C-515/99 ua, Reisch ua, Slg. 2003, I-4899; vgl. EuGH 1.6.1999, Rs. C-302/97 Konle, Slg. 1999, I-3099).

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH findet das Gemeinschaftsrecht auf rein innerstaatliche Sachverhalte, die keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, aber keine Anwendung (s Salzmann II, Rz 32; Reisch ua, Rz 24 mwH; vgl. EuGH, Schlussanträge des Generalanwaltes Lenz vom 15. Dezember 1994, Rs. C-29/94 bis C-35/94 [Aubertin ua], Slg. 1995, I-301, Z21 mwN; zu Art43 EGV vgl. auch Bröhmer in: Calliess/Ruffert [Hrsg.], Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft² [2002], 773, Rz 6; Haag in:

Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil [Hrsg.], Die Europäische Union5 [2001], 473, Rz 814; Baumgartner, EU-Mitgliedschaft und Grundrechtsschutz, Juristische Schriftenreihe 102 [1997], 208).

1.4. Der antragstellende Unabhängige Verwaltungssenat geht daher - offenkundig gestützt auf die Überlegung, daß einer Anwendung der angefochtenen Bestimmung auf den rein innerstaatlichen Sachverhalt der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts nicht entgegensteht - jedenfalls denkmöglich davon aus, daß er bei seiner Entscheidung die angefochtenen Bestimmungen anzuwenden hätte.

Der Antrag ist, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

2. Die Bedenken des antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenates gehen dahin, daß die angefochtenen Bestimmungen eine unzulässige Inländerdiskriminierung bewirken, sohin das verfassungsgesetzlich gewährleistete Gleichheitsrecht verletzen.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, daß eine Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger im Verhältnis zu Ausländern am Gleichheitssatz zu messen ist und daher einer sachlichen Rechtfertigung bedarf (vgl. VfSlg. 13084/1992, 14863/1997, 14963/1997).

Diesen Gedanken hat der Verfassungsgerichtshof - unter Hinweis auf die "doppelte Bindung" des Gesetzgebers bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht - auch auf die sogenannte "Inländerdiskriminierung" übertragen (VfSlg. 14863/1997, 14963/1997, 15683/1999). Wenn es dabei auch nicht um Diskriminierungen nach dem Kriterium der Staatsbürgerschaft geht, sondern um die Benachteiligung rein innerstaatlicher Sachverhalte im Verhältnis zu Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug, so sind inländische Staatsbürger davon doch meist besonders betroffen (in diesem Sinn insb. auch Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht², [2001], 82 ff; Holoubek, "Inländerdiskriminierung" im Wirtschaftsrecht, in:

Aicher/Holoubek/Korinek [Hrsg.], Gemeinschaftsrecht und Wirtschaftsrecht [2000], 159 ff; Baumgartner, EU-Mitgliedschaft und Grundrechtsschutz, 1997, 208 ff).

Die bisherige Judikatur bezog sich jeweils auf Fälle, in denen bereits die österreichischen Normen zwischen rein innerstaatlichen Sachverhalten und solchen mit Gemeinschaftsbezug differenzierten.

2.2. Nichts anderes kann aber gelten, wenn erst der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts die Differenzierung erkennen läßt (vgl. Knobl, Inländerdiskriminierung aus verfassungsrechtlicher Sicht, in Rill-FS [1995], 293 [318];

Kucsko-Stadlmayer, Der Vorrang des EU-Rechts vor österreichischem Recht, ecolex 1995, 338 [344]; Lienbacher, Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Zugang zu Wohnmöglichkeiten, wobl 1998, 321 [331];

Schneider, Die "Konle"-Entscheidung des EuGH und ihre Auswirkungen auf das österreichische Grundverkehrsrecht, ZfV 2000, 16 [25]).

2.3. Verstößt eine gesetzliche Bestimmung des nationalen Rechts gegen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht, dann wird sie in Fällen mit Gemeinschaftsbezug verdrängt. Die nationalen Normen sind dann so zu lesen, als ob die verdrängte Bestimmung nicht vorhanden wäre; es ist also der gemeinschaftsrechtskonforme nationale Regelungstorso anzuwenden. In allen anderen Fällen ist die nationale Norm in ihrer Gesamtheit anzuwenden.

Vergleicht man nun die nationale Norm mit dem (durch den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts entstandenen) nationalen Regelungstorso, wird eine Ungleichbehandlung ersichtlich und es ist zu prüfen, ob dabei nicht Sachverhalte ohne Gemeinschaftsbezug im Verhältnis zu jenen mit einem solchen Bezug diskriminiert werden.

2.4. In den den Gesetzesprüfungsanträgen zugrunde liegenden Fällen resultiert die Benachteiligung des rein innerstaatlichen Grundverkehrs mit unbebauten Baugrundstücken nicht unmittelbar aus der nationalen Norm. Sie ergibt sich vielmehr erst aus dem Anwendungsvorrang der Kapitalverkehrsfreiheit, die nach der vorzitierten Entscheidung des EuGH Salzmann II dem in §8 Abs3 VGVG normierten grundverkehrsbehördlichen Genehmigungsvorbehalt entgegensteht. Dies gilt aber nur in Fällen mit Gemeinschaftsbezug also im Wesentlichen für jene Rechtsgeschäfte, bei denen ein EU-Bürger oder ein Österreicher mit Kapital aus einem anderen EU-Mitgliedstaat österreichische Grundstücke erwirbt.

2.5. Der antragstellende UVS ist der Ansicht, daß das für den Rechtserwerb ohne Gemeinschaftsbezug nach wie vor zwingend vorgesehene Erfordernis einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung sachlich nicht gerechtfertigt sei.

Die Vorarlberger Landesregierung ist diesen Bedenken nicht entgegengetreten; vielmehr gesteht sie zu: "Das Vorbringen des Unabhängigen Verwaltungssenates dürfte nach Rechtsauffassung der Vorarlberger Landesregierung zutreffen." und weist darauf hin, daß eine Neuregelung des Baugrundstückverkehrs beabsichtigt sei.

Auch für den Verfassungsgerichtshof ist keine sachliche Rechtfertigung dafür ersichtlich, dass der Verkehr mit unbebauten Baugrundstücken bei rein innerstaatlichen Sachverhalten an die Einholung einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung gebunden ist, damit aber schlechter gestellt ist als ein vergleichbarer Grundstückserwerb mit Gemeinschaftsbezug.

Die angefochtene Bestimmung war daher wegen Verstoßes gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die Aufhebung erfolgt mit Setzung einer Frist, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben eine verfassungskonforme Regelung zu schaffen.

Dieser Ausspruch beruht auf Art140 Abs5 dritter Satz B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt erfließt aus Art140 Abs5 B-VG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

6. Der beteiligten Partei des zu G110/03 protokollierten Verfahrens waren die beantragten Kosten für ihre Äußerung nicht zuzusprechen, da in Fällen von - wie hier - auf Grund von UVS-Anträgen eingeleiteten Normprüfungsverfahren es die Aufgabe des antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenats ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für ihre Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (vgl. VfSlg. 15685/1999).

Schlagworte

EU-Recht, Grundverkehrsrecht, VfGH / Kosten, VfGH / Präjudizialität, Inländerdiskriminierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G110.2003

Dokumentnummer

JFT_09959699_03G00110_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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