TE Vfgh Erkenntnis 2008/6/25 B225/08

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Veröffentlicht am 25.06.2008
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs1, §66 Abs1

Leitsatz

Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht aufGleichbehandlung von Fremden untereinander durch Ausweisung einestürkischen Staatsangehörigen ohne weitere Ermittlungen zur aktuellenLebenssituation des Beschwerdeführers hinsichtlich seines Privat- undFamilienlebens nach Aufforderung zu einer Stellungnahme diesbezüglichvor drei Jahren; Unterlassung eines Ermittlungsverfahrens daher ineinem entscheidungswesentlichen Punkt

Spruch

I. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung wird stattgegeben.römisch eins. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung wird stattgegeben.

II. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. römisch II. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

III. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.160,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.römisch III. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.160,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger,römisch eins. 1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger,

reiste am 19. Juni 2001 illegal in das Bundesgebiet ein. Sein am selben Tag gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. September 2001 gemäß §6 Z2 AsylG 1997 abgewiesen und darüber hinaus gemäß §8 AsylG 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig ist. Infolge der dagegen erhobenen Berufung wurde der Bescheid aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde I. Instanz zurückverwiesen. Der Asylantrag wurde sodann neuerlich mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. September 2002 gemäß §7 AsylG 1997 abgewiesen. Der abermals mit Berufung angerufene Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) wies die Berufung nach zwischenzeitig verfügter Einstellung gemäß §30 AsylG 1997 schließlich mit Bescheid vom 10. Dezember 2004 gemäß §§7 und 8 AsylG 1997 ab. Seit dem rechtskräftigen negativen Abschluss des Asylverfahrens am 15. Dezember 2004 hält sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich auf. Am 24. Jänner 2005 erfolgte schriftlich seitens der belangten Behörde die Aufforderung an den Beschwerdeführer zur Stellungnahme zur beabsichtigten Ausweisung.reiste am 19. Juni 2001 illegal in das Bundesgebiet ein. Sein am selben Tag gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. September 2001 gemäß §6 Z2 AsylG 1997 abgewiesen und darüber hinaus gemäß §8 AsylG 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig ist. Infolge der dagegen erhobenen Berufung wurde der Bescheid aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde römisch eins. Instanz zurückverwiesen. Der Asylantrag wurde sodann neuerlich mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. September 2002 gemäß §7 AsylG 1997 abgewiesen. Der abermals mit Berufung angerufene Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) wies die Berufung nach zwischenzeitig verfügter Einstellung gemäß §30 AsylG 1997 schließlich mit Bescheid vom 10. Dezember 2004 gemäß §§7 und 8 AsylG 1997 ab. Seit dem rechtskräftigen negativen Abschluss des Asylverfahrens am 15. Dezember 2004 hält sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich auf. Am 24. Jänner 2005 erfolgte schriftlich seitens der belangten Behörde die Aufforderung an den Beschwerdeführer zur Stellungnahme zur beabsichtigten Ausweisung.

Der Beschwerdeführer lebt mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die er am 9. August 2005 ehelichte, im gemeinsamen Haushalt; das Ehepaar erwartet laut Beschwerdevorbringen ein gemeinsames Kind. Im Bundesgebiet halten sich außerdem ein Bruder sowie eine Schwester des Beschwerdeführers auf.

2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 19. Dezember 2007 wurde der Beschwerdeführer gemäß §53 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 17. Jänner 2008 keine Folge.

Die belangte Behörde führt insbesondere aus, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ abgeschlossen sei und sich der Beschwerdeführer seit 15. Dezember 2004 rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte. Es sei ihm zwar ein gewisses Maß an Integration (mehrjähriger Aufenthalt, Erlernen der deutschen Sprache, befristete Arbeitserlaubnis) zuzugestehen, allerdings stehe dem eine schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung gegenüber, da der Beschwerdeführer sich unerlaubt nach Österreich begab und nach Auslaufen der Aufenthaltsbewilligung das Bundesgebiet nicht freiwillig verlassen habe. Die belangte Behörde betont, dass die Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich unter Einsatz erheblicher Geldmittel schlepperunterstützt unter Umgehung der Grenzkontrollen erzwungen worden sei. Es sei im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens unumgänglich, dass auch gegen Personen vorgegangen werde, die bei ihrer Einreise die Dienste von Schlepperorganisationen bloß in Anspruch nähmen. Des Weiteren sei die Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsangehörigen zu einem Zeitpunkt geschlossen worden, in dem das Asylverfahren bereits in zweiter Instanz rechtskräftig negativ entschieden war. Die familiären Bindungen seien unzureichend - bis auf einen Bruder seien die Eltern und die übrigen drei Geschwister in der Türkei aufhältig -, sodass die Maßnahme keinen unzulässigen Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers darstelle. Die Ausweisung sei erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Beschwerdeführer gesetzestreu verhalten hätte.

3. Die Beschwerde behauptet die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens iSd Art8 EMRK sowie die Verletzung des Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde habe eine völlig unzureichende Abwägung iSd Art8 EMRK vorgenommen: Der Beschwerdeführer lebe bereits seit mehr als 6 ½ Jahren in Österreich. Die fehlende Aufenthaltsberechtigung sei darauf zurückzuführen, dass es seine seinerzeitige Rechtsvertreterin unterlassen habe, bei Erhebung der Beschwerde gegen den letztinstanzlichen Asylbescheid an den Verwaltungsgerichtshof einen Antrag auf aufschiebende Wirkung zu stellen. Dieser sei nunmehr am 6. Februar 2008 nachgereicht worden.

Weiters sei die Argumentation der belangten Behörde hinsichtlich des tatsächlich bestehenden Familienlebens "lebensfremd", wenn sie auf den Tag der Eheschließung abstelle und den Anschein erwecke, der Beschwerdeführer habe seine Ehefrau erst am Standesamt kennengelernt. Damit übergehe sie den Zeitraum des intensiven Kontaktes zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Gattin bevor sie eine Ehe eingingen. Der mangelnde Zugang zur Beschäftigung sei nicht auf die Arbeitsunwilligkeit des Beschwerdeführers, sondern auf die mit dem Fremdenrechtspaket 2005 eingetretene Änderung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zurückzuführen, wonach eine Niederlassungsbewilligung nach Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz auch von Angehörigen von Österreichern vorausgesetzt wird, die der Beschwerdeführer als Asylwerber naturgemäß nicht vorweisen kann. Im Übrigen sei der Beschwerdeführer unbescholten.

In der Zeit seines Aufenthalts im Bundesgebiet sei eine Bindung des Beschwerdeführers zu Österreich entstanden, der ein Verlust der Bindungen zur Türkei gegenübersteht. Er habe im Zuge dieser Zeit die deutsche Sprache gelernt, viele österreichische Freunde und Bekannte gewonnen und insbesondere regelmäßigen Kontakt zu seinem in Österreich lebenden Bruder. Seine Ehefrau erwarte ein Kind von ihm, wodurch er im Falle einer Abschiebung weder bei der Geburt des Kindes dabei sein noch seine Ehegattin bei der Pflege des Neugeborenen unterstützen könne. Außerdem wurde von der belangten Behörde nicht berücksichtigt, dass auch die Schwester des Beschwerdeführers mit ihrem Mann und ihren Kindern in Österreich lebt. Die Behörde habe kein oder nur ein äußerst unzureichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Zwischen der Aufforderung zur Stellungnahme zur beabsichtigten Ausweisung am 24. Jänner 2005 und der tatsächlichen Erlassung des Ausweisungsbescheides liege ein Zeitraum von drei Jahren, innerhalb dessen die Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -römisch II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

1. Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der §§53 Abs1 und 66 Abs1 FPG wurden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind aus Anlass der vorliegenden Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof auch nicht entstanden.

2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. 2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, Bundesgesetzblatt 390 aus 1973,, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet ein Bescheid, wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist der belangten Behörde im vorliegenden Beschwerdefall unterlaufen:

Der Beschwerdeführer wurde am 24. Jänner 2005 von der belangten Behörde aufgefordert, zur beabsichtigten Ausweisung Stellung zu nehmen; den die Ausweisung verfügenden Bescheid hat sie allerdings erst ca. drei Jahre später erlassen, ohne dass weitere Ermittlungen zur aktuellen Lebenssituation des Beschwerdeführers hinsichtlich seines Privat- und Familienlebens angestellt wurden. Da solche Ermittlungen aber zur Beurteilung der Zulässigkeit der Ausweisung unabdingbar sind, die belangte Behörde diese jedoch in einem entscheidungswesentlichen Punkt unterlassen hat, wurde der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- enthalten.römisch III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Fremdenpolizei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:B225.2008

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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