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10 VerfassungsrechtNorm
VfGG §33Leitsatz
Stattgabe eines Wiedereinsetzungsantrags; Nichteintragung der Frist zur Einbringung eines nachträglichen Abtretungsantrags durch die Kanzleileiterin des Rechtsvertreters minderer Grad des Versehens; Abtretung der Beschwerde an den VerwaltungsgerichtshofSpruch
1. Dem Wiedereinsetzungsantrag wird stattgegeben.
2. Die Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Begründung
Begründung:
I. 1. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Februar 2004, B1334/02-4, wurde die Behandlung der vom nunmehrigen Antragsteller eingebrachten Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom 12. Juli 2002, GZ RV 797/1-T7/01, abgelehnt. Der Beschluss wurde der Rechtsvertreterin des Antragstellers am 26. März 2004 zugestellt.
Die zweiwöchige Frist auf nachträgliche Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (s. §87 Abs3 VfGG) war somit am 9. April 2004 abgelaufen.
2. Der Antragsteller begehrt nunmehr mit einem am 20. April 2004 zur Post gegebenen Schriftsatz die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der genannten Frist. Unter einem wird der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gestellt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die versierte und bis dahin äußerst verlässliche Kanzleileiterin der Rechtsvertreterin, die sämtliche Arbeiten, insbesondere aber die Fristenverwaltung, mit größter Sorgfalt ausführe und in ihrer bislang vierjährigen Tätigkeit in der Kanzlei noch niemals die Eintragung eines Termines oder einer Frist übersehen habe, im gegenständlichen Fall die Frist zur Antragstellung gemäß §87 Abs3 VfGG nicht in das Fristenbuch eingetragen habe. Die Kanzleileiterin führe die Fristenverwaltung unter Aufsicht der Rechtsanwälte selbständig durch, vergewissere sich nachweislich über die Richtigkeit der einzutragenden Fristen und trage vorsorglich auch Vorfristen ein, um den einschreitenden Rechtsanwalt schon vorab auf eine zu erledigende Frist aufmerksam zu machen. Die Rechtsvertreterin des Antragstellers vergewissere sich regelmäßig über die Tatsache und Richtigkeit der Fristeneinträge; einen Fehler habe sie bis dato nicht feststellen können.
Auf Grund einer Nachfrage des nunmehrigen Antragstellers habe dessen Rechtsvertreterin den betreffenden Akt eingesehen und bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass die Frist zur Einbringung eines Abtretungsantrages an den Verwaltungsgerichtshof in Folge des oben beschriebenen Versehens versäumt worden war.
II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der in Rede stehenden Frist ist begründet.
1.1. Da das VfGG in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO sinngemäß anzuwenden: Danach ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Unter "minderem Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. zB VfSlg. 9817/1983, 11.706/1988, 14.157/1995).
1.2. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von 14 Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tag, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Offenbar verspätet eingebrachte Anträge sind ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen (§148 Abs3 ZPO).
Die Frist - sie begann am 15. April 2004 zu laufen - wurde im gegenständlichen Fall gewahrt.
1.3. Es kam nicht hervor, dass in der vorliegenden Sache Bevollmächtigte des Antragstellers - für welche die Verschuldensregel des §146 Abs1 ZPO gleichfalls gilt (§39 ZPO) - ein leichte Fahrlässigkeit übersteigender Verschuldensgrad trifft. Der Verfassungsgerichtshof sieht nach Lage des Falles keinen Grund, das - durch zwei Erklärungen an Eides Statt bescheinigte - Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag in Zweifel zu ziehen, dass es zu einem Versehen beim Vormerken der Frist durch die Kanzleileiterin der Rechtsvertreterin kam, die diese als stets verlässlich kannte und die sie auch entsprechend stichprobenartig kontrolliert hatte (vgl. VfSlg. 11.537/1987).
Das Versehen einer Kanzleikraft bei der Vormerkung des Termins für den Ablauf einer Frist wurde nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wiederholt als Nachlässigkeit qualifiziert, die gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht und die damit auf einem - die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht hindernden - minderen Grad des Versehens iSd. §146 Abs1 ZPO beruht (s. zB VfSlg. 10.771/1986, 11.427/1987, 11.537/1987, 13.970/1994).
2. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher - gemäß §33 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung - Folge zu geben.
3. Die Beschwerde war gemäß Art144 Abs3 B-VG iVm. §87 Abs3 VfGG an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
Schlagworte
VfGH / Fristen, VfGH / Abtretung, VfGH / WiedereinsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:B1334.2002Dokumentnummer
JFT_09959392_02B01334_2_00