Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art26Leitsatz
Streichung aus dem Wählerverzeichnis gem. §31 NRWO 1971; ausschlaggebend für einen Wohnsitz iSd §27 Abs2 sind nur die tatsächlichen Lebens- und Wohnverhältnisse des Wahlberechtigten; hiezu kein Ermittlungsverfahren und keine Möglichkeit für den Bf., zum Inhalt der (von einem Dritten erhobenen) Berufungsschrift und der Administrativakten als Beweismaterial Stellung zu nehmen; durch wesentliche Mängel im Ermittlungsverfahren Verletzung im Recht auf Teilnahme an der Nationalratswahl nach Art26 B-VGRechtssatz
Das in Art26 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Wahlrecht zum Nationalrat wird durch rechtswidrige Nichteintragung eines Wahlberechtigten in das Wählerverzeichnis verletzt. Das ist auch dann der Fall, wenn das zur Nichteintragung führende Verwaltungsverfahren an wesentlichen Mängeln leidet (vgl. zB VfSlg. 5148/1965, 6303/1970, 7017/1973, 7766/1976; sa. VfSlg. 8845/1980; VfGH 22.11.1985 B321/85).
Rechtswidrige Streichung des Beschwerdeführers aus dem Wählerverzeichnis für die Wahl zum Nationalrat vom 23.11.1986 mit dem angefochtenen Bescheid der Bezirkswahlbehörde Kufstein vom 12.11.1986. (iw. mit der Begründung, daß der Wahlberechtigte seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in Kufstein, sondern in der Gemeinde Thiersee habe).
Kraft geltender Rechtslage kann eine Person ungeachtet des Umstandes, daß für sie im Bereich der Wahlen zum Nationalrat (Art26 B-VG) nur jeweils ein einziger "ordentlicher Wohnsitz" maßgebende Bedeutung zu erlangen vermag, auch zwei oder mehrere (ordentliche) Wohnsitze - in verschiedenen Gemeinden - haben (so die Rechtsprechung des VfGH: VfSlg. 9598/1982). In solchen Fällen ist der Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis jener Gemeinde aufzunehmen, in der er am "Stichtag" (§1 Abs2 NationalratWO) "tatsächlich gewohnt hat" (§27 Abs2 NationalratWO). Die hier entscheidungswichtige Frage, ob Dr. P (auch) in Kufstein über einen (weiteren) ordentlichen Wohnsitz verfügte und dort am Stichtag auch tatsächlich wohnte (§27 Abs2 NationalratWO), verneinte die (hier zu Unrecht das WählerevidenzG heranziehende) belangte Behörde offensichtlich in erster Linie auf dem Boden ihrer - aus der Bescheidbegründung zu ersehenden - verfehlten Rechtsauffassung, daß es der (formalen) "Geltendmachung der Beibehaltung" eines Wohnsitzes in Kufstein bedurft hätte, als es zur Verlegung des Wohnsitzes nach Thiersee (gemeint wohl: der Begründung eines Wohnsitzes in diesem Ort) gekommen sei. Ausschlaggebend dafür, ob die Voraussetzungen des §27 Abs2 NationalratWO auf den Aufenthalt in Kufstein zutreffen, sind aber einzig und allein die tatsächlichen Lebens- und Wohnverhältnisse des Wahlberechtigten, worüber die belangte Behörde kein wie immer geartetes Ermittlungsverfahren abführte:
Sachverhaltsmäßig gab sich die belangte Wahlbehörde nämlich im wesentlichen mit der - Vorakten entnommenen und einen (weiteren) ordentlichen Wohnsitz in Kufstein nicht ausschließenden - Feststellung zufrieden, Dr. P habe einen melderechtlich beibehaltenen "Hauptwohnsitz" in der Wohnung seiner Eltern in Kufstein und seit 1980 einen "Zweitwohnsitz" in seinem Haus in V, wo er mit seiner Ehefrau und seinen Kindern in "Haushaltsgemeinschaft" lebe.
Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleistete Wahlrecht zum Nationalrat (Art26 B-VG).
Die als Feststellungsgrundlage herangezogenen Vorakten stammen jedoch aus der Zeit vor Mai 1986, vermögen also über den "tatsächlichen Aufenthalt" des Beschwerdeführers am nunmehr maßgebenden Stichtag (26.9.1986) nichts auszusagen. Zudem wurde dem Beschwerdeführer nicht die Möglichkeit gegeben, zum Inhalt der Berufungsschrift wie auch der als Beweismaterial dienenden Administrativakten Stellung zu nehmen (vgl. §35 Abs1 NationalratWO: ein an den Beschwerdeführer zu eigenen Handen gerichtetes Aufforderungsschreiben iS dieser Gesetzesstelle wurde nämlich in Verletzung der Vorschrift des §21 Abs1 ZustellG nicht dem Adressaten, sondern einer T P zugestellt).
Dies kennzeichnet aber die von der Bezirkswahlbehörde eingehaltene Prozedur - selbst unter gebührender Berücksichtigung der geringeren Anforderungen, die an das Ermittlungsverfahren vor Wahlbehörden schon angesichts der kurzen zur Verfügung stehenden Fristen zu stellen sind (VfSlg. 8845/1980) - unter dem Aspekt der hier zentralen Frage des ordentlichen Wohnsitzes als derart grob mangelhaft und ergänzungsbedürftig (siehe etwa auch: VfSlg. 6473/1971, 7017/1973, 7766/1976, 8845/1980), daß bereits von einer Verfassungswidrigkeit wegen wesentlicher Mangelhaftigkeit des zur Nichteintragung führenden Verwaltungsverfahrens (vgl. zB VfSlg. 5148/1965, 6303/1970, 7017/1973, 7766/1976; siehe auch VfSlg. 8845/1980; VfGH 22.11.1985 B321/85).
Schlagworte
Wahlen, Wahlrecht aktives, Wohnsitz, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, ParteiengehörEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B998.1986Dokumentnummer
JFR_10129774_86B00998_01