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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Gewaltanwendung im Zuge des Auflösens einer Versammlung nicht rechtswidrigRechtssatz
Versetzen von Schlägen mit dem Gummiknüppel durch einen (unbekannt gebliebenen) Sicherheitswachebeamten (insbesondere gegen die Beine der Beschwerdeführerin) im Zuge der Auflösung einer Versammlung in der Stopfenreuther Au - keine Verletzung des Art3 MRK.
Die Beschwerdeführerin lag - nach ihren eigenen Angaben - am Boden und machte keine Anstalten, sich zu entfernen, als sich der Sicherheitswachebeamte ihr näherte. Wenn der Beamte unter diesen Umständen (offenkundig in der Meinung, die Beschwerdeführerin wolle sich nicht vom Versammlungsort entfernen) von der mindergefährlichen Waffe des Gummiknüppels vor allem gegen die Beine der Beschwerdeführerin Gebrauch machte, dann kann davon ausgegangen werden, daß diese Vorgangsweise auf den Zweck der Amtshandlung (Auflösung der Versammlung), nicht aber gegen die Menschenwürde der Beschwerdeführerin gerichtet war. In Anbetracht der damals gegebenen Situation kann auch nicht gesagt werden, daß das Versetzen von Schlägen mit dem Gummiknüppel gegen minder gefährdete Körperteile nicht erforderlich oder nicht maßhaltend iS der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art3 MRK war (anders jedoch bei Schlägen auf den Kopf, vgl. hiezu VfGH 28.11.1986 B88/85, betreffend ebenfalls Vorfälle in der Stopfenreuther Au am 19.12.1984).
Im Zuge der (rechtmäßig erfolgten) Auflösung einer Versammlung am 19.12.1984 in der Stopfenreuther Au wurden der Beschwerdeführerin von einem Sicherheitswachebeamten mehrere Tritte gegen den Unterkörper versetzt - Verletzung des Art3 MRK.
Die festgestellten Tritte gegen die Beschwerdeführerin können weder als erforderlich noch als maßhaltend qualifiziert werden. Tritte mit dem Fuß sind an sich für den Betroffenen jedenfalls nicht nur schmerzhaft, sondern - ähnlich dem Versetzen von Ohrfeigen (VfSlg. 8296/1978) - nach allgemeinem Empfinden von betont erniedrigender Wirkung. Der Verfassungsgerichtshof hat dies in seiner Judikatur bereits zum Ausdruck gebracht (siehe VfSlg. 10250/1984 betreffend das absichtliche Versetzen von Fußtritten sowie VfGH 3.12.1986 B90/85 betreffend einen Fußtritt in das Gesicht). Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob das Versetzen von Tritten unter allen Umständen und in jeder denkbaren Situation einen Verstoß gegen Art3 MRK mit sich bringt. Hier ist jedoch überhaupt nicht erkennbar, daß - über die ohnehin erfolgten Schläge mit dem Gummiknüppel hinaus - Fußtritte noch mit dem Zweck der Amtshandlung (Auflösung der Versammlung) in Zusammenhang standen. Sicherlich war - wie bereits oben ausgeführt - schon im Hinblick auf die große Anzahl von Versammlungsteilnehmern einerseits und die begrenzte Zahl der zur Verfügung stehenden Exekutivbeamten andererseits der Einsatz des Gummiknüppels erforderlich und (gegen minder gefährdete Körperteile) auch maßhaltend, um Versammlungsteilnehmer zum Verlassen des Versammlungsortes zu bewegen, welche dies selbst dann nicht taten, als sie ein Stück weggetragen worden waren. Daß zur Erreichung dieses Ziels Tritte erforderlich gewesen sein sollten, behauptet auch die belangte Behörde keineswegs. Es liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, daß die Tritte der Beschwerdeführerin in einer solch extremen Ausnahmesituation versetzt worden sind, bei der mit Rücksicht auf ein nur so und nicht anders von der Behörde legitimerweise zu erreichendes Ziel der grundsätzlich erniedrigende Charakter von Tritten wegfallen oder zumindest in den Hintergrund gedrängt würde.
Gebrauch des Gummiknüppels durch Sicherheitswachebeamte im Zuge der Auflösung einer Versammlung stellt einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar.
Anwendung körperlicher Gewalt im Zuge der Auflösung einer Versammlung.
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im E v 16.10.1986, B91/85 darauf hingewiesen, daß es für die Beamten sehr schwierig war, die Auflösung der Versammlung in der Stopfenreuther Au am 19.12.1984 durchzusetzen und daß in Anbetracht der gesamten damaligen Situation sowie der beharrlichen Haltung einer großen Anzahl von Manifestanten, der sich die Beamten gegenüber sahen, die Anwendung eines gewissen Ausmaßes körperlicher Gewalt (im Falle der zu B91/85 entschiedenen Beschwerde des Hinabstoßens vom Damm) an sich maßhaltend war, um so die Befolgung der behördlichen Anordnung zu erreichen.
Schlagworte
Waffengebrauch, VersammlungsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B87.1985Dokumentnummer
JFR_10129773_85B00087_01