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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litaLeitsatz
Anfechtung der Wahl zum Nationalrat 1986; die NRWO iVm. dem VerfGG sehen zwei völlig verschieden gestaltete Anfechtungswege vor: (Wahl-)Anfechtung mit administrativem Einspruch und anschließender Anrufung des VfGH (nur hinsichtlich "ziffernmäßifer Ermittlungen") und die unmittelbare Anrufung des VfGH nach Kundmachung des Wahlergebnisses (hinsichtlich "sonstiger Rechtswidrigkeiten" des Wahlverfahrens); Zustellung des Bescheides bzw. Verlautbarung der Entscheidung über einen Einspruch kann nicht die zu unmittelbaren Anfechtung der Wahl verlängern oder neu in Gang setzen; Verspätung der Wahlanfechtung, insoweit sie nicht ziffernmäßige Ermittlungen rügt; insoweit die Wahlanfechtung "ziffernmäßige Ermittlungen" rügt, ist - trotz Erhebung eines (jedoch nicht die nunmehr bekämpfte Wahlkartenzählung betreffenden) administrativen Einspruchs nach §105 NRWO - der zwingend vorgesehene Instanzenzug hinsichtlich des hier entscheidenden Punktes nicht erschöpft; Zuückweisung der WahlanfechtungRechtssatz
Beginn der Anfechtungsfrist iSd §68 Abs1 VfGG.
Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Anfechtungsfrist iS des ersten Teilsatzes des §68 Abs1 VfGG 1953 ist die Beendigung des Wahlverfahrens (siehe VfSlg. 9085/1981, 9940/1984), das ist hier bei der Wahl zum Nationalrat - insofern es nicht um die Anfechtung ziffernmäßiger Ermittlungen geht - die der jeweiligen Verbandswahlbehörde obliegende Kundmachung (Verlautbarung) des Ergebnisses des zweiten Ermittlungsverfahrens durch Anschlag an der Amtstafel jenes Amtes, dem der Vorsitzende der betreffenden (Verbands-)Wahlbehörde angehört (§103 NRWO 1971; VfSlg. 9940/1984).
Aus den vorgelegten Wahlakten ergibt sich, daß die Verbandswahlbehörde des Wahlkreisverbandes I (für die Wahlkreise Burgenland, Niederösterreich und Wien) das (Wahl-)Ergebnis iSd §103 NRWO 1971 am 1.12.1986 an der Amtstafel des MA der Stadt Wien anschlagen ließ.
Die am 31.12.1986 zur Post beförderte Wahlanfechtung ist daher - soweit sie nicht dem Bereich der ziffernmäßigen Ermittlungen zuzuzählende Rechtswidrigkeiten rügt - verspätet.
Anfechtung der Wahl zum Nationalrat vom 23.11.1986 (die Anfechtungswerberin strebt einerseits die Nachprüfung ziffernmäßiger Ermittlungen einer Wahlbehörde, andererseits die Feststellung von Unregelmäßigkeiten des Wahlverfahrens, die in den Bereich "sonstiger Rechtswidrigkeiten" fallen, an - zwei völlig verschieden gestaltete Anfechtungswege).
Daran vermag es nichts zu ändern, daß die Anfechtungswerberin inzwischen (auch) einen administrativen Einspruch gegen ziffernmäßige Ermittlungen der Wahlbehörden nach §105 NRWO 1971 ergriffen hatte, weil die NRWO 1971 iVm dem VfGG 1953 zwei völlig verschieden gestaltete Anfechtungswege vorsieht, nämlich die (Wahl-)Anfechtung mit administrativem Einspruch und anschließender Bekämpfung eines (ablehnenden) Administrativbescheides vor dem Verfassungsgerichtshof, wenn es nur um ziffernmäßige Ermittlungen geht, und die unmittelbare Anrufung des Gerichtshofs nach Kundmachung des Wahlergebnisses, wenn "sonstige Rechtswidrigkeiten" des Wahlverfahrens bekämpft werden:
Da die Anfechtungsgründe in jedem der beiden Anfechtungsverfahrens voneinander unabhängig umschrieben (und geltend zu machen) sind, kann die Zustellung des Bescheides bzw die Verlautbarung der Entscheidung über einen Einspruch gegen ziffernmäßige Ermittlungen (§105 NRWO 1971) keinesfalls die bereits ab Kundmachung des Wahlergebnisses iSd §103 NRWO 1971 laufende Frist zur unmittelbaren Anfechtung der Wahl vor dem Verfassungsgerichtshof, soweit "sonstige Rechtswidrigkeiten" behauptet werden, verlängern oder neu in Gang setzen. (Wie weit die Rechtspositionen der wahlwerbenden Parteien ändernde - nachträgliche - Maßnahmen der Hauptwahlbehörde nach §12 Abs4 NRWO 1971 den Beginn des Laufs der Anfechtungsfrist vor dem Verfassungsgerichtshof iSd ersten Teilsatzes des §68 Abs1 VfGG 1953 berühren, bedurfte hier keiner näheren Untersuchung, weil derartige administrative Verfügungen gar nicht getroffen wurden.)
Aus der Bestimmung des §68 Abs1 VfGG 1953 im Zusammenhalt mit §67 Abs1 und Abs2 Satz 2 VfGG 1953 folgt - wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat - zwingend, daß ein wahlgesetzlich eingerichteter (administrativer) Instanzenzug durchlaufen sein muß, ehe der Verfassungsgerichtshof ("binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides") angerufen werden darf: Wer also die ihm eingeräumte Befugnis, administrative Rechtsmittel (gegen ziffernmäßige Ermittlungen) zu ergreifen, ungenützt läßt, ist zur - nachträglichen - Wahlanfechtung beim Verfassungsgerichtshof nicht berechtigt, es sei denn, daß das zunächst unangefochten gelassene (ursprüngliche) Wahlergebnis infolge eines von anderer Seite angestrengten (administrativen) Rechtsmittelverfahrens - durch Behebung ziffernmäßiger Ermittlungen der Wahlbehörden niederer Stufe - verändert wird (siehe dazu: 6.3.1986 WI-10/85, WI-11/85).
Im vorliegenden Fall hatte die Anfechtungswerberin zwar einen administrativen Einspruch nach §105 NRWO 1971 ergriffen - der dazu führte, daß die Hauptwahlbehörde beim BMI die Wahlergebnisse der Kreiswahlbehörde 3 und der Verbandswahlbehörde I richtigstellte -, jedoch (behauptete Rechtswidrigkeiten im Bereich der damals allein relevanten ziffernmäßigen Ermittlungen hinlänglich und wirksam substantiierend - §105 Abs2 NRWO 1971) im wesentlichen nur mit der Begründung, die Gemeindewahlbehörde V (Land Niederösterreich) habe eine Anzahl von Stimmen, die für die GRÜNEN abgegeben worden seien, zu Unrecht der KPÖ zugezählt.
Mit den übrigen ziffernmäßigen Ermittlungen der Wahlbehörden, namentlich mit den (bundesweiten) Ergebnissen der Zählung der Wahlkartenstimmen aber hatte sich die Einschreiterin damals abgefunden, obwohl ihr auch zur Geltendmachung aller die Wahlkartenzählung betreffenden Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens (in substantiierter Formel) die - nach dem schon Gesagten eine unmittelbare Anrufung des Verfassungsgerichtshofes ausschließende - Befugnis zur Ergreifung des administrativen Rechtsmittels des Einspruchs (§105 NRWO 1971) zukam, sodaß sie nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof zur (erstmaligen) Geltendmachung von Rechtswidrigkeiten im Verlauf der Wahlkartenzählung - mangels Erschöpfung des (administrativen) Instanzenzuges in diesem Punkt - nicht (mehr) berechtigt ist.
Administrative Wahlanfechtung (gegen ziffernmäßige Ermittlungen) - Wahlanfechtung beim Verfassungsgerichtshof.
Geltendmachung aller die Wahlkartenzählung betreffenden Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens erst in der verfassungsgerichtlichen Wahlanfechtung, obwohl die Anfechtungswerberin einen administrativen Einspruch nach §105 NRWO 1971 ergriffen hatte.
Zurückweisung der Wahlanfechtung - soweit sie sich gegen "ziffernmäßige Ermittlungen" richtet - mangels Erschöpfung des (administrativen) Instanzenzuges in diesem Punkt.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Wahlanfechtung, Wahlen, Wahlanfechtung administrativeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:WI1.1987Dokumentnummer
JFR_10129698_87W00I01_01