Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art26 Abs1Leitsatz
Anfechtung der Wahl zum Nationalrat 1986; die Anfechtungslegitimation einer Wählergruppe, soweit die Gültigkeit des eingereichten Wahlvorschlages das Ergebnis der Wahlanfechtung mitbestimmt, hängt nicht zusätzlich davon ab, ob dieser Vorschlag rechtswirksam eingebracht wurde; maßgebender Zeitpunkt für den Beginn der Anfechtungsfrist; Wahlzahl ist mit dem Verhältniswahlsystem wesensnotwendig verknüpft; keine Bedenken gegen die Vorschriften der NRWO über die "Unterstützungserklärungen"; bei Gemeinden ohne großen Verwaltungsapparat kann ein Verzicht auf Ausdehnung der ortsüblichen und allgemein bekannten Amtsstunden (zur Erteilung der Amtsbestätigung einer Unterstützungserklärung gem. §45 Abs4) unterstützungswillige Wahlberechtigte nicht in Ausübung ihrer gesetzlichen Rechte nennenswert und unzumutbar behindern und einschränken; mangelnde Präjudizialität des §49 Abs1 letzter Satz; der VfGH hat in Wahlanfechtungsverfahren zu befinden, ob die in der Anfechtung selbst geltend gemachten Rechtswidrigkeiten zutreffen - nachgereichte Ausführungen sind unbeachtlich; Abweisung der Wahlanfechtung als unbegründetRechtssatz
Anfechtungslegitimation - rechtswirksame Einbringung des Wahlvorschlages nicht erforderlich.
Nach §67 Abs2 VfGG 1953 idF der Novelle BGBl. 1958/18 sind zur Anfechtung der Wahl grundsätzlich jene Wählergruppen berechtigt, die der Wahlbehörde rechtzeitig Wahlvorschläge vorlegten. Dazu nimmt der Verfassungsgerichtshof seit dem Erk. VfSlg. 4992/1965 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt ein, daß die Anfechtungslegitimation, jedenfalls soweit die Frage der Gültigkeit des eingereichten Wahlvorschlags das Ergebnis der Wahlanfechtung - wie hier - mitbestimmt, nicht zusätzlich davon abhängt, ob dieser Vorschlag rechtswirksam eingebracht wurde (so VfSlg. 7387/1974, 10217/1984; siehe auch VfSlg. 6087/1969, 10178/1984).
Keine Bedenken gegen jene Vorschriften der NRWO 1971, die die wirksame Einbringung eines Kreiswahlvorschlags an das Erfordernis einer bestimmten Zahl sog "Unterstützungserklärungen" knüpfen.
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erk. VfSlg. 10178/1984 aussprach, ist es für das Wesen des Verhältniswahlsystems charakteristisch, daß nach der Idee der Proportionalität möglichst allen politischen Parteien eine verhältnismäßige Vertretung gewährt werden soll, doch sind davon jene kleinen Gruppierungen ausgenommen, die nicht einmal die Mindestzahl an Stimmen, die sogenannte Wahlzahl, erreichen, über die eine Partei verfügen muß, um wenigstens einen Abgeordneten zu stellen; diese Wahlzahl nämlich ist nach herrschender Auffassung mit dem Proportionalwahlsystem wesensnotwendig verknüpft (vgl. die ständige Rechtsprechung: VfSlg. 1381/1931, 1382/1931, 3653/1959, 6087/1969). Angesichts der verfassungsgesetzlichen Verankerung des Verhältniswahlrechts im hier dargelegten Sinn kann es keineswegs verfassungswidrig sein, wenn eine Wahlordnung bestimmt, daß Wahlvorschläge der Unterstützung durch eine Mindestzahl von Wahlberechtigten (zwingend) bedürfen, denn auf solche Weise werden - sowohl im Interesse der Vereinfachung des Wahlverfahrens als auch zur Vermeidung einer unnötigen Stimmenauffächerung - all jene Kleinstgruppen von der Wahlwerbung ausgeschlossen, die in Wahrheit außerstande sind, einen nennenswerten Grundstock an Anhängern nachzuweisen, und darum nach allgemeiner Lebenserfahrung von vornherein keine Aussicht auf Erlangung eines Mandates haben. So gesehen hat die jeder wahlwerbenden Gruppe auferlegte Verpflichtung zur Beibringung einer gewissen Anzahl von Unterstützungserklärungen nur zur Folge, daß eine Stimmabgabe für gänzlich aussichtslose Bewerber vermieden wird, ein Ergebnis, das zur effektiven Gestaltung des Verhältniswahlrechts entscheidend beiträgt. Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser in zahlreichen Erkenntnissen vertretenen Rechtsauffassung weiterhin fest, vermag also die von der Anfechtungswerberin geäußerten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften der NRWO 1971 über die Einführung des Erfordernisses sogenannter Unterstützungserklärungen überhaupt - auch aus der Sicht dieser Rechtssache - nicht zu teilen (vgl. VfSlg. 2758/1954, 3653/1959, 3969/1961, 6087/1969, 6201/1970, 6207/1970, 7387/1974, 7821/1976, 8694/1979, 10065/1984, 10217/1984).
Anfechtung der Wahl zum Nationalrat vom 23.11.1986 durch die Wählergruppe "GAL", deren (Kreis-)Wahlvorschlag für den Wahlkreis 3 infolge Fehlens der gemäß §45 Abs2 NRWO 1971 erforderlichen Unterstützungserklärungen zurückgewiesen worden war.
Die Einrede, daß Unterstützungserklärungen in mehreren niederösterreichischen Gemeinden - konkret nennt die Anfechtungswerberin nur die Gemeinden Zeillern (Bezirk Amstetten) und Bergland (Bezirk Melk) - lediglich während der "normalen Arbeitszeit" gemeindeamtlich bestätigt worden seien, ist aus folgenden Erwägungen nicht zielführend:
Gemäß §45 Abs4 NRWO 1971 sind die Gemeinden verhalten, die gesetzlich notwendige amtliche Bestätigung einer Unterstützungserklärung "unverzüglich" zu erteilen. Bestimmte Amtsstunden werden in diesem Zusammenhang gesetzlich nicht vorgeschrieben, doch muß den Wahlberechtigten naturgem hinreichend Gelegenheit zur Einholung des erforderlichen Bestätigungsvermerks gegeben werden. Diese Verpflichtung kann aber nicht soweit gehen, daß jede Gemeinde vor Nationalratswahlen gleichsam einen Tag- und Nachtdienst zur Bearbeitung solcher Erklärungen einrichten müßte. Namentlich bei Gemeinden ohne großen Verwaltungsapparat - die beiden von der Anfechtungswerberin angeführten sind ausgesprochene Kleingemeindeen - kann keinesfalls mit Grund gesagt werden, daß der - behauptete - Verzicht auf eine Ausdehnung der ortsüblichen und allgemein bekannten Amtsstunden unterstützungswillige Wahlberechtigte in der Ausübung ihrer gesetzlichen Rechte nennenswert und unzumutbar behindere und einschränke (vgl. dazu: VfSlg. 9933/1984).
Öffnungszeiten der Gemeindeämter; Abgabe der Unterstützungserklärung iS des §45 NRWO 1971.
Der Verfassungsgerichtshof hat die in der Anfechtungsschrift als verfassungsrechtlich bedenklich eingestufte Vorschrift des §49 Abs1 letzter Satz NRWO 1971 (gar) nicht anzuwenden: Sie ist also in dieser Anfechtungssache nicht präjudiziell in der Bedeutung des Art140 Abs1 B-VG und kann darum - entgegen der Meinung der Anfechtungswerberin - bereits aus dieser Überlegung nicht Gegenstand eines hier einzuleitenden Normenkontrollverfahrens sein.
Gemäß §49 Abs1 Satz 1 NRWO 1971 muß die Kreiswahlbehörde nämlich
(zunächst) überprüfen, "ob die eingelangten Kreiswahlvorschläge
... von der gemäß §45 Abs2 (NRWO 1971) erforderlichen Zahl der
Wahlberechtigten des Wahlkreises (für den Wahlkreis
Niederösterreich je 500 Personen) unterstützt ... sind". Diese
primäre Zulässigkeitsvoraussetzung war aber im
Administrativerfahren nicht erfüllt.
In die Prüfung der - in der Anfechtungsschrift herausgestellten - Frage, ob die eine oder andere der insgesamt schon an sich zahlenmäßig unzureichenden Unterstützungen des Wahlvorschlags der GAL in Handhabung des §49 Abs1 letzter Satz NRWO 1971 "als nicht eingebracht" gelte, war angesichts der geschilderten Sach- und Rechtslage gar nicht mehr einzutreten.
Die in der Anfechtungsschrift enthaltene Ankündigung der Nachreichung "detaillierter Rechtsausführungen" in nächster Zeit mußte unbeachtet bleiben, weil der Verfassungsgerichtshof in Wahlanfechtungsverfahren zu befinden hat, ob die in der Anfechtung selbst geltend gemachten Rechtswidrigkeiten zutreffen (§67 Abs1 VfGG: "Die Anfechtung hat den begründeten Antrag auf Nichtigerklärung des Wahlverfahrens ... zu enthalten"; siehe VfSlg. 9093/1981, 10226/1984 ua).
Erfordernis einer bestimmten Zahl sogenannter "Unterstützungserklärungen" iS des §45 Abs2 NRWO 1971 für die wirksame Einbringung eines Kreiswahlvorschlages ist nicht verfassungswidrig; keine Verpflichtung der Gemeinden, zur Ausdehnung der ortsüblichen und allgemein bekannten Amtsstunden vor Nationalratswahlen, um unterstützungswilligen Wahlberechtigten Gelegenheit zur Einholung des erforderlichen Bestätigungsvermerks zu geben; behauptete Rechtswidrigkeit (behördlich verschuldete Verzögerung der Beibringung weiterer Unterstützungserklärungen) nicht gegeben.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Legitimation, Wahlen, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Parteienvorbringen, VfGH / WahlanfechtungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:WI15.1986Dokumentnummer
JFR_10129698_86W0I015_01