RS Vfgh 1987/3/3 B682/86

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Veröffentlicht am 03.03.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
VerbotsG §§3 ff
VersammlungsG
ParteienG §1 Abs3 erster Satz
ParteienG §1 Abs4
VerbotsG §3a

Leitsatz

Zurückweisung einer Berufung gegen die Untersagung einer Versammlung, da die Veranstalterin keine Rechtspersönlichkeit besitze; wenn als Veranstalter einer Versammlung ein Verein oder eine politische Partei auftritt, kommt nur dieser, nicht aber einem Funktionär oder Mitglied Parteistellung zu; alle Behörden sind verpflichtet; im anhängigen Verfahren zu untersuchen, ob eine Vereinigung durch Hinterlegung ihrer Satzung als politische Partei Rechtspersönlichkeit erlangt hat; die §§3 ff VerbotsG sind auch bei der Bildung politischer Parteien zu beachten; jede Behörde (auch der VfGH) hat gegebenenfalls als Vorfrage zu beurteilen, ob die Hinterlegung der Satzung einer politischen Partei mit dem Ziel, daß sie Rechtspersönlichkeit erlangt, eine nationalsozialistische Wiederbetätigung darstellt; sie hat mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln diese Frage zu beantworten; hiebei ist auch das tatsächliche Geschehen seit Satzungshinterlegung zu berücksichtigen; zur Qualifikation eines Verhaltens als Wiederbetätigung; versuchte Bildung der "Nationalen Front" stellte - insbesondere vor dem Hintergrund ihres "provisorischen Programms" - eine Wiederbetätigung dar; Hinterlegung der Satzung bewirkte daher nicht, daß die "Nationale Front" Rechtspersönlichkeit erlangte; Zurückweisung der von der "Nationalen Front" (durch den Bf.) erhobenen Beschwerde mangels Legitimation

Rechtssatz

Beschwerde gegen den Bescheid des BMJ vom 28.5.1986, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers, die dieser "als Vorsitzender der Nationalen Front und als deren Proponent namens der Partei" gegen die Untersagung einer Versammlung erhoben hatte, als unzulässig zurückgewiesen worden war.

Wenn als Veranstalter einer Versammlung ein Verein (vgl. hiezu zB VfSlg. 2910/1955) oder eine politische Partei auftritt, kommt nur dieser, nicht aber einem Funktionär oder einem Mitglied Parteistellung zu.

Als Veranstalter trat hier die "Nationale Front" auf, die den Status einer politischen Partei beansprucht hat.

Hätte also G H die vorliegende Verfassungsgerichtshof-Beschwerde im eigenen Namen erhoben, so wäre sie von vornherein wegen Fehlens der Legitimation unzulässig und deshalb zurückzuweisen.

Die Beschwerde kann aber - im Hinblick auf das vorangegangene Verwaltungsgeschehen - auch anders gedeutet werden, nämlich dahin, daß G H sie in seiner Eigenschaft als nach außen vertretungsbefugtes Organ der "Nationalen Front", also in deren Namen, erhebt. In diesem Fall - und diese Deutung ist im Sinne einer rechtsschutzfreundlichen Auslegung von Verfassungsgerichtshof-Beschwerden vorzuziehen - wäre Beschwerdeführer die "Nationale Front", die auch als Versammlungsveranstalter auftrat und an die auch der angefochtene Bescheid adressiert ist. Sie wäre beschwerdelegitimiert; dies allerdings nur unter der Voraussetzung, daß sie überhaupt rechtlich existent ist (vgl. zB VfSlg. 6697/1972, S 287 f), was die belangte Behörde verneint.

Prüfung der Rechtspersönlichkeit einer Vereinigung nach dem ParteienG - Wiederbetätigung iSd VerbotsG.

Aus der Judikatur (VfSlg. 9648/1983) ergibt sich, daß alle Behörden gegebenenfalls verpflichtet sind, in den bei ihnen anhängigen Verfahren zu untersuchen, ob eine Vereinigung durch Hinterlegung ihrer Satzung als politische Partei Rechtspersönlichkeit erlangt hat. Hier ist also der Verfassungsgerichtshof verhalten zu klären, ob die "Nationale Front" als politische Partei Rechtspersönlichkeit besitzt. So hat sich der Verfassungsgerichtshof schon bei Prüfung der Frage, ob die "Nationale Front" beschwerdeberechtigt ist, damit auseinanderzusetzen, ob der Versuch ihrer Gründung etwa gegen §3 VerbotsG (wonach es jedermann untersagt ist, sich für die NSDAP oder ihre Ziele irgendwie zu betätigen) oder gegen §3a leg.cit. (der eine bestimmte Form der Wiederbetätigung, nämlich die Gründung nationalsozialistischer Verbindungen, unter Strafe stellt) verstößt.

(Hinweis: Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der §§3 ff VerbotsG: E v 29.11.1985, G175/84).

Im Hinblick auf den ausdrücklichen Vorbehalt des §1 Abs3 erster Satz des ParteienG (der auf Verfassungsstufe steht) sind die §§3 ff VerbotsG auch bei der Bildung politischer Parteien zu beachten.

Jede Behörde (so auch der Verfassungsgerichtshof) hat also - wenn dies für das Verfahren relevant ist - als Vorfrage zu beurteilen, ob die Hinterlegung der Satzung einer politischen Partei mit dem Ziel, daß sie Rechtspersönlichkeit erlangt, eine nationalsozialistische Wiederbetätigung darstellt. Sie hat mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln diese (Vor-)Frage zu beantworten; bei der zu treffenden Prognose ist auch das tatsächliche Geschehen seit Satzungshinterlegung zu berücksichtigen.

Die Frage, ob eine Wiederbetätigung iS des VerbotsG vorliegt, läßt sich - wie schon der OGH (mit Bezugnahme auf frühere Judikatur) im Urteil vom 25.6.1986, 9 Os 132/85, zutreffend dartut - nicht durch eine abschließende Beschreibung der denkbaren Betätigungsakte beantworten, waren doch die Ziele der NSDAP und ihrer Gliederungen allzu vielfältig und mannigfaltig. Jedenfalls aber stellt etwa eine Rechtfertigung oder Verharmlosung der (verbrecherischen) Maßnahmen des NS-Regimes und die Verherrlichung der Annexion Österreichs im Jahre 1938 ebenso wie jede sonstige völlig einseitige, propagandistisch vorteilhafte Darstellung nationalsozialistischer Maßnahmen und Ziele eine Wiederbetätigung nach dem VerbotsG dar.

Bei der Beurteilung, ob ein Verhalten als Wiederbetätigung zu qualifizieren ist, kommt es nicht darauf an, ob einzelne Formulierungen schon bei isolierter Betrachtung bereits als typischer Ausdruck nationalsozialistischer Ideologie anzusehen sind oder ob manche Ideen in der Vergangenheit von anderen politischen Gruppierungen ebenfalls vertreten wurden und einzelne davon auch heute noch in Programmen demokratischer Parteien enthalten sind. Denn neben Einzelhandlungen, die schon bei isolierter Betrachtungsweise als typische Betätigung iSd Nationalsozialismus zu erkennen sind, kann auch ein komplexes Handeln eine Wiederbetätigung darstellen, selbst wenn einzelne Teilakte des betreffenden Gesamtverhaltens für sich allein noch nicht als typisch nationalsozialistische Handlungen angesehen werden können. Bei dieser Gesamtschau kommt es auf den Inhalt der geäußerten Gedanken, aber auch darauf an, ob sie in einer dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten deutlich angenäherten Form geäußert werden.

Zurückweisung einer gegen die Untersagung einer Versammlung gerichteten Beschwerde, die vom Beschwerdeführer "als Vorsitzenden der Nationalen Front und als deren Proponent namens der Partei" erhoben worden war, mangels rechtlicher Existenz der "Nationalen Front" - Hinterlegung der Satzung der "Nationalen Front" beim BMJ war auf Wiederbetätigung iS des VerbotsG gerichtet.

Das "Provisorische Programm der Nationalen Front! Vorschläge zur Beseitigung des bestehenden Systems" (abgedruckt in der Zeitschrift "Halt" Nr. 23 vom November 1984) zeigt deutlich, daß die versuchte Bildung der "Nationalen Front" eine Wiederbetätigung darstellte.

Wenngleich einerseits manche Punkte des "Vorläufigen Programms" der "Nationalen Front" isoliert betrachtet nicht als für den Nationalsozialismus signifikant bezeichnet werden können, andererseits im Programm Ziele nicht aufscheinen, die der Nationalsozialismus typischerweise verfolgte, zeigt doch das Gesamtbild des "Vorläufigen Programmes" insgesamt eine geradezu ins Auge springende inhaltliche und sprachliche Ähnlichkeit mit NS-Thesen. Eine ins einzelne gehende Betrachtung und Erörterung eines jedes Satzes dieses Programmes ist nicht am Platze.

Zusammenfassend ist - in Übereinstimmung mit dem zum VerbotsG ergangenen Urteil des OGH vom 25.6.1986, 9 Os 132/85 - festzuhalten, daß die Hinterlegung der Satzung der Nationalen Front beim BMI auf eine Wiederbetätigung iS des VerbotsG gerichtet war.

Die Hinterlegung der Satzung bewirkte daher nicht, daß die "Nationale Front" Rechtspersönlichkeit erlangte. Die "Nationale Front" war und ist demnach keine juristische Person.

Ein rechtlich nicht existentes Gebilde kann am Rechtsleben nicht teilnehmen, so auch nicht vor dem Verfassungsgerichtshof Beschwerde führen.

Die von der "Nationalen Front" (durch G H) erhobene Verfassungsgerichtshof-Beschwerde war sohin mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

Entscheidungstexte

  • B 682/86
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 03.03.1987 B 682/86

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Versammlungsrecht, Partei politische, Verwaltungsverfahren, Nationalsozialistengesetzgebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B682.1986

Dokumentnummer

JFR_10129697_86B00682_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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