RS Vfgh 1987/3/4 B144/86

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Veröffentlicht am 04.03.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
StGG Art8
StGG Art9
FinStrG §85
FinStrG §85 Abs4
FinStrG §93 Abs1

Leitsatz

schriftlicher Hausdurchsuchungsbefehl nach §93 Abs1 FinStrG; Hausdurchsuchungsbefehl enthält Beschlagnahmebefehl; Zurückweisung der Beschwerde gegen die Beschlagnahme vertretbare Annahme von Verdunkelungsgefahr und Gefahr im Verzug iSd §85 Abs1 litc iVm. Abs3 litb FinStrG; Festnahme und nachfolgende Anhaltung im G gedeckt; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit, im Recht auf Freiheit und Sicherheit nach Art5 MRK und im Recht auf Gleichheit; keine Abtretung an den VwGH

Rechtssatz

Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme von Gegenständen des Beschwerdeführers in dessen sowie in der Wohnung seines Vaters.

Der Beschwerdeführer hat seinen ordentlichen Wohnsitz in Wien, Embelgasse. In der Wohnung seines Vaters in Klagenfurt, Dr. Franz Palla Gasse, hält sich der Beschwerdeführer nach seinem eigenen Vorbringen öfters auf, weshalb sich dort auch ein Teil ihm gehörender Gegenstände befindet. Der Beschwerdeführer ist daher durch die Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahmen, die in den beiden Wohnungen stattgefunden haben, in seinen Rechten berührt.

Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung (VfSlg. 9481/1983) die Auffassung, daß ein schriftlicher Hausdurchsuchungsbefehl nach §93 Abs1 FinStrG die Rechtslage des von der Hausdurchsuchung Betroffenen der Finanzbehörde gegenüber bindend gestaltet und als Bescheid anzusehen ist. Hiebei geht nach Auffassung des Gerichtshofes das Gesetz davon aus, daß der Hausdurchsuchungsbefehl einen Beschlagnahmebefehl enthält (VfSlg. 9917/1984).

Im Beschwerdefall bezeichnet der Hausdurchsuchungsbefehl im Spruch Räumlichkeiten, in denen die Hausdurchsuchungen durchzuführen sind, nicht aber Gegenstände, nach denen zu suchen sei. In der Begründung werden die Gegenstände zuerst allgemein als "Waren" bezeichnet, dann aber hinsichtlich Uhren und Schmuckwaren spezifiziert. Die Zollbeamten waren auf Grund des Hausdurchsuchungsbefehls berechtigt, nach allen Waren - die voraussichtlich dem Verfall unterliegen - nicht nur Uhren und Schmuckwaren - zu suchen.

Soweit sich die Beschwerde gegen die Beschlagnahme näher bezeichneter Waren richtet, war sie gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückzuweisen.

Nach §4 des Gesetzes vom 27.10.1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, dem gemäß Art8 StGG und Art149 B-VG Verfassungsrang zukommt, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen.

Hiezu zählt auch die Bestimmung des §85 Abs1 litc iVm Abs3 litb FinStrG.

Der Beschwerdeführer räumte schon im Geschäftslokal des J K ein, eine Rolex-Imitationsuhr im Dezember an J K um S 1.500,-- verkauft zu haben. Den Zollbeamten war bekannt, daß derartige Uhren von befugten Uhrenhändlern nicht eingeführt werden. Der Beschwerdeführer machte widersprüchliche Angaben hinsichtlich der Herkunft der Uhr. Den Zollbeamten war weiter bekannt, daß der Beschwerdeführer solche Uhren in Zeitungsinseraten zum Kauf angeboten hatte. Daher war schon im Geschäftslokal der Verdacht begründet, daß die Uhr unter Hinterziehung von Eingangsabgaben ins Inland eingeführt wurde. Die Zollbeamten haben daher mit Recht angenommen, daß der Beschwerdeführer versuchen werde, die Ermittlung der Wahrheit dadurch zu erschweren, daß er etwa weitere in seinem Besitz befindliche Uhren aus der Wohnung seines Vaters entfernen würde. Sie konnten daher zu Recht Verdunklungsgefahr und Gefahr im Verzug annehmen.

Im Beschwerdefall kommt es auch nicht darauf an, ob der Beschwerdeführer schon beim Verlassen des Geschäftslokales durch körperlichen Druck in seiner Freiheit beeinträchtigt wurde. Unter den gegebenen Umständen war nämlich in Anbetracht der vorliegenden Verdachtsgründe die Verhaftung ab dem Zeitpunkt gerechtfertigt, in dem sich der Beschwerdeführer weigerte, zur Vernehmung zum Zollamt mitzukommen.

Vertretbare Annahme der Festnahmegründe des §85 Abs1 litc iVm Abs3 litb FinStrG (Verdunklungsgefahr und Gefahr im Verzug).

Festnahme des Beschwerdeführers durch ein Organ der Finanzverwaltung gemäß §85 Abs1 litc iVm Abs3 litb FinStrG (Verdunklungsgefahr und Gefahr im Verzug).

Der Beschwerdeführer wurde im Zollamt Klagenfurt vernommen und im Anschluß daran in der Wohnung seines Vaters vor dem Beginn der Hausdurchsuchung enthaftet, weil der Grund der Festnahme, die Verdunklungsgefahr und Gefahr im Verzug, weggefallen waren. Damit war gemäß §85 Abs4 FinStrG kein Grund zu einer weiteren Verwahrung mehr gegeben.

Keine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit.

Abweisung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers richtet, als unbegründet.

In Anbetracht dieses Ergebnisses fallen die Voraussetzungen für das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend Schadenersatz und das Fehlen entsprechender gesetzlicher Bestimmungen hiefür weg, sodaß der Gerichtshof weder auf die Frage der Zulässigkeit der gestellten Anträge noch auf ihre sachliche Behandlung einzugehen hatte.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Hausrecht, Hausdurchsuchung, Beschlagnahme, Finanzstrafrecht, Bescheidbegriff, Festnehmung, VfGH / Sachentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B144.1986

Dokumentnummer

JFR_10129696_86B00144_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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