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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Wegnahme von Fotoapparaten gegen den Willen des Bf., Öffnen und Herausnahme von (teilweise belichteten) Filmen, was deren Zerstörung bewirkte - Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt; aus Art10 MRK erfließende Rechte stehen jedem zu; Verschaffen von Informationen als Teil der Kommunikationsfreiheit - Behinderung der Beschaffung und der Ermittlung öffentlich zugänglicher Informationen durch (aktives) Eingreifen von Staatsorganen nur unter den Voraussetzungen des Art10 Abs2 MRK zulässig; durch Zerstörung von Informationsmaterial Verletzung des Rechtes auf Informationsfreiheit nach Art10 MRKRechtssatz
Nach dem Beschwerdevorbringen haben Exekutivorgane dem Beschwerdeführer gegen dessen Willen zwei in seiner Verfügungsgewalt stehende Fotoapparate weggenommen, geöffnet und die Filme herausgenommen. Ein derartiges Verhalten stellt die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt gegen die Person des Beschwerdeführers iSd Art144 Abs1 B-VG dar.
Die in Beschwerde gezogene Amtshandlung ist der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich zuzurechnen (siehe hiezu VfGH 19.6.1986 B81/85 und Folgezahlen); dies gilt auch für die am 19.12.1984 zum Einsatz gelangten Beamten der BPD Wien (die, wie sich aus den Akten ergibt, vom Bundesminister für Inneres am 18.12.1984 der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich zur Dienstleistung zugeteilt worden waren).
Der Verfassungsgerichtshof hat in der jüngeren Judikatur (siehe VfGH 8.3.1985 B642/81 und 27.6.1986 B658/85) klargestellt, daß der Schutzumfang des Art10 MRK weiter als der des Art13 StGG ist, weil der Anspruch auf freie Meinungsäußerung nach Art10 Abs1 MRK ausdrücklich auch die Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten (to receive and impart information, de recevoir ou de communiquer des informations) ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksichtnahme auf Landesgrenzen einschließt (zu Art13 StGG siehe schon RGSlg. 524/1891, weiters grundlegend VfSlg. 2362/1952, siehe auch das bereits zitierte E v 8.3.1985, B642/81).
Über diese Judikatur hinausgehend wird in der Literatur die Auffassung vertreten, daß nicht nur der - in Art10 ausdrücklich genannte - Empfang von Nachrichten, sondern auch das Beschaffen von Informationen zum Zweck der Verbreitung von Art10 MRK umfaßt ist (siehe Frowein-Peukert, EMRK-Kommentar, 1985, S 228 f, RdZ 11 zu Art10, und van Dijk/van Hoof, Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 1984, S 311).
Auch das Schweizerische Bundesgericht hat dem Art10 MRK diesen weiteren Inhalt beigemessen und im Urteil vom 8.3.1978, veröffentlicht in EuGRZ 1979, S 3 ff, ausgeführt, der Schutzbereich der Informationsfreiheit sei nicht auf ein ausschließlich passives Verhalten einzuschränken und die aktive Erschließung von Informationsquellen könne vom Grundrechtsschutz nicht vollständig ausgenommen werden. Das Bundesgericht fügte dieser Interpretation des Art10 MRK hinzu, daß Informationsfreiheit nach der schweizerischen Bundesverfassung auch darin bestehe, daß der Staat die Presse in der Beschaffung des zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigten Materials nicht behindern dürfe.
In der österreichischen Literatur (Berka, Die Kommunikationsfreiheit in Österreich, EuGRZ 1982, S 413 ff, insbesondere S 418 f) wird Art10 MRK so verstanden, daß aus dieser Bestimmung zwar keine "Freiheit der Recherche" oder "aktive Informationsverschaffungsfreiheit" folge, daß die Informationsfreiheit aber jedenfalls die ungestörte Aufnahme von der Öffentlichkeit prinzipiell zugänglichen Informationen gewährleiste.
Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß die aus Art10 MRK erfließenden Rechte jedermann zustehen (siehe Berka aaO, S 420). Im Zusammenhang mit der Person des Beschwerdeführers und seinem Vorbringen räumt der Verfassungsgerichtshof allerdings ein, daß sich dieses Grundrecht im Hinblick auf den höheren Informationsbedarf der Presse im bes im Medienbereich auswirkt (siehe Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1968, S 146, Frowein/Peukert aaO, S 229, van Dijk/van Hoof aaO, S 311, sowie die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in den Fällen De Geillustreerde Pers, Decisions and Reports 8 (1977), S 13, RdZ 86, sowie Sunday Times, Publications of the European Court of Human Rights, Vol 30 (1979), S 40, RdZ 65), wobei jedoch die Informationsfreiheit dort den gleichen Inhalt und Umfang hat wie in jenen Fällen, bei denen die Informationsbeschaffung nicht dem Zweck der Verwertung für ein Massenmedium dient.
Eingriff in die durch Art10 MRK geschützten Rechte durch Öffnung zweier vom Beschwerdeführer (Journalist) verwendeter Fotoapparate und anschließende Herausnahme der darin befindlichen Filme durch Sicherheitswachebeamte am 19.12.1985 in der Stopfenreuther Au.
Der Verfassungsgerichtshof vertritt die Auffassung, daß aus Art10 MRK zwar keine Verpflichtung des Staates resultiert, den Zugang zu Informationen zu gewährleisten oder selbst Informationen bereitzustellen, daß aber eine Behinderung der Beschaffung und der Ermittlung öffentlich zugänglicher Informationen durch (aktives) Eingreifen von Staatsorganen ausschließlich unter den Voraussetzungen des Abs2 des Art10 MRK zulässig ist. Nur ein solches Verständnis dieser Verfassungsbestimmung berücksichtigt das Verschaffen von Informationen als Teil der Kommunikationsfreiheit (Berka aaO, S 415: "Sinneinheit kommunikativer Freiheit"); nur eine solche Interpretation gewährleistet es, das Recht der Meinungsäußerung aufgrund eines umfassenden Informationsstandes wirklich auszuüben. Die - weite - Auslegung des Schutzumfanges des Art10 MRK entspricht im wesentlichen auch dem sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung der jüngeren Zeit vertretenen Verständnis der durch diese Verfassungsbestimmung geschützten Rechte.
Die Vorgangsweise der Sicherheitswachebeamten (die zwei belichtete Filme unbrauchbar machten) hat in die von Art10 MRK geschützten Rechte eingegriffen. Dieser Eingriff hat aus folgenden Gründen zu einer Verletzung dieses Grundrechtes geführt:
Es liegt angesichts des festgestellten Sachverhaltes auf der Hand, daß der Beschwerdeführer durch die Zerstörung von Informationsmaterial (wozu fraglos auch Filme gehören) an der Beschaffung öffentlich zugänglicher Informationen über öffentlich stattfindende Vorgänge bewußt und gewollt gehindert wurde. Der Eingriff in das Grundrecht ist nicht durch eine der nach Abs2 des Art10 MRK zulässigen gesetzlichen Vorkehrungen gedeckt.
Schlagworte
Meinungsäußerungsfreiheit, PressefreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B154.1985Dokumentnummer
JFR_10129684_85B00154_01