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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art15 Abs2Leitsatz
Eine präjudizielle Bestimmung kann in jeder Hinsicht (lostgelöst von Aspekten des Anlaßfalles) auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden; Art118 Abs2 B-VG verbietet, daß Gemeinden im Rahmen des eigenen Wirkungsbereiches Hoheitsakte bei Vorhaben setzen, die sich (örtlich) auch auf das Gebiet einer anderen Gemeinde erstrecken; nach dem Konzept der gemeindlichen Selbstverwaltung nach Art118 B-VG ist es ausgeschlossen, daß innerhalb des eigenen Wirkungsbereiches mehrere Gemeinden iSd. §4 AVG 1950 gleichzeitig örtlich zuständig sind; dadurch, daß infolge §117 Nö. BauO auch ein die Gemeindegrenzen überschreitendes Bauwerk in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt, Verstoß des §117 gegen Art118 Abs2 bzw. Abs3 Z9 B-VG - Sitz der Verfassungswidrigkeit ausschließlich in dieser Bestimmung, weil sie keine entsprechende Ausnahme von der Bezeichnung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde vorsiehtRechtssatz
Umfang der in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallenden Angelegenheiten.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Umfang der örtlichen Veranstaltungspolizei (s. VfSlg. 5415/1966) und der örtlichen Gesundheitspolizei (s. VfSlg. 6463/1971) ist darunter in analoger Anwendung der für die örtliche Sicherheitspolizei geltenden Legaldefinition des Art15 Abs2 B-VG (nur) jener Teil der Gefahrenabwehr zu verstehen, der im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden (vgl. hiezu auch VfSlg. 5823/1968, S 692).
§117 der Nö Bauordnung, LGBl. 8200 idF der ersten Novelle 100/81, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Selbst wenn die Auffassung der Niederösterreichischen Landesregierung zutrifft, daß die Beurteilung von Bauvorhaben, die sich auf das Gebiet von zwei oder mehreren Gemeinden erstrecken, zumindest im überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen ist und es sich insofern um einen Akt der örtlichen Gefahrenabwehr handelt, ist damit nur eine der Voraussetzungen für die Zuweisung einer Angelegenheit in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gegeben. Art118 Abs2 B-VG verlangt als weitere Voraussetzung, daß die Angelegenheit geeignet ist, "durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden". Abgesehen davon, daß aus dieser Bestimmung folgt, daß die Angelegenheit abstrakt geeignet sein muß, von Gemeindeorganen besorgt zu werden, folgt aus ihr weiters, daß sie mit Maßnahmen innerhalb des Gebietes einer Gemeinde geordnet können werden muß. Hiebei besteht kein Unterschied zwischen der Untersagung einer Bauführung und der Bewilligung eines Bauwerkes, das über die Gemeindegrenzen reicht, weil in beiden Fällen das Bauwerk als ganzes zu beurteilen ist. Das bedeutet, daß Art118 Abs2 B-VG es verbietet, daß Gemeinden im Rahmen des eigenen Wirkungsbereiches Hoheitsakte bei Vorhaben setzen, die sich (örtlich) auch auf das Gebiet einer anderen Gemeinde erstrecken (vgl. hiezu VfSlg. 5430/1966, S 829, zu Maßnahmen der örtlichen Straßenpolizei).
Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, §117 NÖ BauO sei wegen Verstoßes gegen Art118 Abs2 bzw Abs3 Z9 B-VG verfassungswidrig, treffen daher zu. Weiters hat sich die Annahme bestätigt, daß der Sitz dieser Verfassungswidrigkeit (ausschließlich) in dieser Vorschrift zu suchen ist, weil sie (ebenso wie in VfSlg. 9811/1983, S 181) keine entsprechende Ausnahme von der Bezeichnung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde vorsieht.
Art118 Abs2 B-VG verbietet es, daß Gemeinden im Rahmen des eigenen Wirkungsbereiches Hoheitsakte bei Vorhaben setzen, die sich (örtlich) auch auf das Gebiet einer anderen Gemeinde erstrecken (vgl. hiezu VfSlg. 5430/1966, S 829, zu Maßnahmen der örtlichen Straßenpolizei).
Mit dieser Auffassung weiß sich der Verfassungsgerichtshof auch im Einklang mit dem überwiegenden Teil der Lehre (vgl. die Zusammenfassung bei Fröhler/Oberndorfer in Fröhler/Oberndorfer,
Das Österreichische Gemeinderecht, 1983, Abschnitt 3.1, S 9f). Davon ist der Verfassungsgerichtshof auch in seiner bisherigen Rechtsprechung zum Begriff "örtliche Baupolizei" ausgegangen, wie etwa das (von der Niederösterreichischen Landesregierung zur Stützung ihrer gegenteiligen Rechtsansicht herangezogene) Erk. VfSlg. 5823/1968 (Schaffung von Bauplätzen gehört zur örtlichen Baupolizei, weil sie unter anderem "innerhalb der Grenzen eines Gemeindegebietes" zu besorgen ist) oder VfSlg. 7355/1974, S 35f, zeigt, wonach nicht nur Verfahren betreffend Bauvorhaben, die sich auf das Gebiet zweier oder mehrerer Gemeinden erstrecken, vom eigenen Wirkungsbereich ausgenommen sind, sondern auch jene Fälle, in welchen bei der Durchführung des Ermittlungsverfahrens benachbarte Grundflächen einzubeziehen sind, die in einer oder mehreren anderen Gemeinden gelegen sind.
Nach dem Konzept der in Art118 B-VG näher geregelten gemeindlichen Selbstverwaltung ist es ausgeschlossen, daß innerhalb des eigenen Wirkungsbereiches mehrere Gemeinden iSd §4 AVG gleichzeitig örtlich zuständig sind. Dies zeigt sich auch darin, daß - worauf die Niederösterreichischen Landesregierung selbst hinweist - das in §4 AVG vorausgesetzte Bestehen einer sachlich in Betracht kommenden gemeinsamen Oberbehörde über dem Selbstverwaltungskörper Gemeinde schon begrifflich ausgeschlossen ist.
Nach der ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann eine präjudizielle Bestimmung vom Verfassungsgerichtshof in jeder Hinsicht (losgelöst von Aspekten des Anlaßfalles) auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden (vgl. VfSlg. 9755/1983, S 611, VfGH 10.12.1986 G167/86 ua mit weiteren Judikaturnachweisen).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Gemeinderecht, Verwaltungsverfahren, Zuständigkeit örtliche, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:G16.1987Dokumentnummer
JFR_10129682_87G00016_01