TE Vfgh Erkenntnis 2004/6/9 B1384/03

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Veröffentlicht am 09.06.2004
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Index

72 Wissenschaft, Hochschulen
72/13 Studienförderung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StudFG 1992 §27
ZPO §63 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch verfassungswidrige Gesetzesauslegung bei Versagung der Höchststudienbeihilfe für Selbsterhalter; Vorliegen der Voraussetzung der erstmaligen Zuerkennung von Studienbeihilfe auch im vorliegenden Fall einer bereits vor Jahren gewährten, in der Folge zur Gänze wegen mangelnden Studienerfolgs zurückgezahlten Studienbeihilfe; verfassungskonforme Auslegung im Sinne der Gleichbehandlung von sich selbst erhaltenden Studierenden geboten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur) ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 1.962,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. Das Verfahren über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer studierte vom 24. September 1996 bis zum 6. Mai 1997 an der Universität Wien, wobei ihm für dieses Studium Studienbeihilfe zuerkannt wurde, die er allerdings mangels Studienerfolges wieder zurückzahlen mußte. Der Beschwerdeführer war dann ca. fünf Jahre hindurch berufstätig und begann im Wintersemester 2002/2003 das Studium der Fachtheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz. Für dieses Studium wurde ihm mit Bescheid der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 21. August 2003 Studienbeihilfe in bestimmter Höhe gewährt, die Höchststudienbeihilfe für Selbsterhalter gemäß §27 Studienförderungsgesetz 1992 (in der Folge: StudFG) wurde ihm jedoch nicht zuerkannt, da er sich vor der ersten Zuerkennung von Studienbeihilfe nicht mindestens vier Jahre selbst erhalten habe und somit die Voraussetzung des §27 Abs1 StudFG nicht erfülle. Die erste Zuerkennung der Studienbeihilfe sei nämlich für sein Studium an der Universität Wien 1996/1997 erfolgt, woran auch die spätere - gänzliche - Zurückzahlung der Studienbeihilfe nichts ändere.

2. Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage bietet folgendes Bild:

Der mit "Höchststudienbeihilfe für Selbsterhalter" überschriebene §27 StudFG, BGBl. 305/1992, idF BGBl. I 76/2000, lautet folgendermaßen:

"(1) Die Höchststudienbeihilfe beträgt monatlich 606 €

(jährlich 7 272 €) für Studierende, die sich vor der ersten Zuerkennung von Studienbeihilfe durch Einkünfte im Sinne dieses Bundesgesetzes mindestens vier Jahre zur Gänze selbst erhalten haben.

(2) Ein Selbsterhalt liegt nur dann vor, wenn das jährliche Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes während dieser Zeit wenigstens die Höhe der jährlichen Höchststudienbeihilfe gemäß Abs1 erreicht hat.

(3) Zeiten des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes sind für die Dauer des Selbsterhaltes jedenfalls zu berücksichtigen."

Gemäß §30 Abs3 StudFG ist für Selbsterhalter die Höchststudienbeihilfe nicht um die zumutbare Unterhaltsleistung der Eltern zu vermindern.

3. Gegen den oben genannten Bescheid der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 21. August 2003 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht werden und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, daß die Behörde die Studienbeihilfe, die ihm für das Studienjahr 1996/1997 zuerkannt worden war, die er aber in der Folge zur Gänze zurückbezahlt habe, nicht berücksichtigen hätte dürfen. Er hätte so gestellt werden müssen, als ob ihm Studienbeihilfe niemals zuerkannt worden wäre. Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer im Alter von achtzehn Jahren, in dem die Berufsentscheidung noch nicht eine derartig definitive gewesen sei, daß er sie zu Ende gebracht hätte, einmal Studienbeihilfe bezogen habe, könne nicht zur Verweigerung des Höchststipendiums nach §27 Abs1 StudFG führen.

4. Die belangte Behörde legte innerhalb der ihr gesetzten Frist die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Nach Ansicht der belangten Behörde ändere die Tatsache, daß ein Studierender die einmal bezogene Studienbeihilfe nicht auf Dauer behalten dürfe, nichts daran, daß ihm durch einen Bescheid die Studienbeihilfe bereits zuerkannt worden sei. Daher sei die Zuerkennung von Studienbeihilfe für den Beschwerdeführer anläßlich seines Studiums an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz nicht die erste Zuerkennung von Studienbeihilfe gewesen, sondern bereits die zweite. Der Wortlaut der Gesetzesbestimmung sei insoweit eindeutig.

Der Gesetzgeber habe bewußt auf den Zeitpunkt der erstmaligen faktischen Auszahlung von Studienbeihilfe als Zeitpunkt abgestellt, vor dem die Selbsterhalterzeiträume liegen müssen. Die Zielgruppe der Selbsterhalter seien jene Studierenden, die vor dem Zugang zum Studium längere Zeit berufstätig gewesen seien, Hintergrund der Maßnahme sei es, Studierenden, die sich auf Grund ihrer sozialen Herkunft oder ihrer Vorbildung zunächst nicht in der Lage sehen würden, ein Studium direkt anzustreben und aufzunehmen, und die daher zunächst einem Beruf nachgingen, ein Stipendium unabhängig von den Eltern zu gewähren.

Die belangte Behörde verweist in diesem Zusammenhang auf die Entstehungsgeschichte der vorliegenden Bestimmung und führt wörtlich folgendes aus:

"Diese Absicht des Gesetzgebers kommt insbesondere dann zum Ausdruck, wenn die historische Entwicklung des Selbsterhalterstipendiums überprüft wird. Im Vorgängergesetz des Studienförderungsgesetzes 1992, dem Studienförderungsgesetz 1983, lautete die entsprechende Bestimmung des §13 Abs2 litb als Voraussetzung für die erhöhte Studienbeihilfe bis zur Novelle durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 304/1989, dass eine erhöhte Studienbeihilfe zustünde, wenn 'der Studierende sich vor Aufnahme des Studiums durch eigene Einkünfte im Sinne dieses Bundesgesetzes vier Jahre zur Gänze selbst erhalten hat'. Erst durch die genannte Novelle wurde nicht mehr auf den Zeitpunkt der Aufnahme des Studiums, sondern im Sinne einer für Studierende günstigeren Version darauf abgestellt, dass die Selbsterhalterzeiträume vor der ersten Zuerkennung der Studienbeihilfe liegen müssten.

Erkennbare Absicht des Gesetzgebers bei Schaffung des Selbsterhalterstipendiums war jedenfalls eine Differenzierung zwischen Personen, die ihr Studium bei bestehender Unterhaltsverpflichtung der Eltern aufnahmen, und solchen, bei denen die Aufnahme des Studiums erst zu einem Zeitpunkt erfolgte, als jedenfalls eine mehrjährige Berufstätigkeit vorlag, die in vielen Fällen zu einem Erlöschen der Unterhaltsverpflichtung der Eltern geführt hat. Durch die Novelle 1989 wurde diese Bestimmung im Sinne der Beihilfenbezieher noch dadurch gemildert, dass nicht bereits die Aufnahme eines früheren Studiums für sich allein, sondern lediglich der frühere Bezug eines Stipendiums unter Einbeziehung der elterlichen Unterhaltsleistungen die spätere Zuerkennung eines Selbsterhalterstipendiums ausschließt."

Diese sachliche Differenzierung begründe auch die rechtliche Differenzierung, sodaß keine denkunmögliche oder gleichheitswidrige Anwendung des Gesetzes vorliege, auch sei §27 Abs1 StudFG nicht verfassungswidrig.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

Die Beschwerde ist gerechtfertigt.

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

2. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt.

2.1. Die belangte Behörde geht davon aus, daß die Wortfolge "vor der ersten Zuerkennung von Studienbeihilfe" in §27 Abs1 StudFG so zu verstehen sei, daß damit jegliche einmal erfolgte Zuerkennung von Studienbeihilfe gemeint sei. Zur Unterstützung ihrer Argumentation führt sie die Materialien (473 BlgNR, 18. GP, 34) zu dieser Bestimmung an; dort heißt es wörtlich:

"Diese Bestimmung regelt den Sonderfall der Selbsterhalter; das sind Studierende, die sich durch eine bestimmte Zeit aus eigenen Einkünften selbst erhalten und häufig die Studienzugangsvoraussetzungen erst im zweiten Bildungsweg erworben haben.

Die Zeiten des Selbsterhaltes (mindesten vier Jahre) müssen vor der ersten Zuerkennung von Studienbeihilfe vorliegen. Unter diesem Zeitpunkt ist der erste Tag jenes Monats zu verstehen, für den erstmals innerhalb eines Semesters generell Studienbeihilfe ausbezahlt wird ..."

Als Zweck der Begünstigung wird ausdrücklich angeführt, daß die bei Selbsterhaltern anzunehmenden erhöhten Lebenshaltungskosten (z.B. eigene Wohnung) abgedeckt werden sollen.

Die Vorgängerbestimmung des §27 StudFG 1992 - §13 StudFG 1983 - regelte die Höhe der Studienbeihilfe und normierte idF vor BGBl. 304/1989 auszugsweise folgendes:

"(2) Dieser Grundbetrag erhöht sich um insgesamt 16 500 S, wenn

...

b) der Studierende sich vor Aufnahme des Studiums durch eigene Einkünfte im Sinne dieses Bundesgesetzes vier Jahre zur Gänze selbst erhalten hat oder

..."

§13 Abs2 litb StudFG 1983 wurde durch BGBl. 304/1989 so geändert, daß die Worte "vor Aufnahme des Studiums" durch die Worte "vor der ersten Zuerkennung von Studienbeihilfe" ersetzt wurden.

2.2.1. Der Verfassungsgerichtshof kann es aus Anlaß des vorliegenden Falles dahingestellt sein lassen, ob eine Rechtslage, derzufolge der einmal erfolgte Bezug einer Studienbeihilfe die spätere Zuerkennung eines Selbsterhalterstipendiums schlechthin ausschließt, verfassungskonform wäre. Keinesfalls verfassungskonform wäre jedenfalls eine Rechtslage, die dazu zwingen würde, den Anspruch auf ein Selbsterhalterstipendium deswegen zu verneinen, weil es in der Vergangenheit zu einer Zuerkennung von Studienbeihilfe kam, die jedoch - wie hier - zur Gänze zurückgezahlt wurde. Hätte die Norm diesen Inhalt, verstieße sie gegen den Gleichheitssatz: Es ist nämlich kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, einen Studierenden, dem zwar Studienbeihilfe zuerkannt wurde, die er aber im Ergebnis wieder vollständig zurückbezahlt hat, anders zu behandeln als einen Studierenden, dem von vornherein Studienbeihilfe nicht zuerkannt wurde oder der eine solche gar nicht beantragt hat. Im Hinblick auf den Zweck der Regelung, die erhöhten Lebenshaltungskosten von Selbsterhaltern bei der Gewährung von Studienbeihilfe zu berücksichtigen, besteht zwischen diesen beiden Gruppen kein Unterschied, der eine solche Differenzierung tragen könnte.

Nun ist weder den Materialien noch der Entstehungsgeschichte des §27 Abs1 StudFG zu entnehmen, daß der Gesetzgeber eine solche Rechtslage verwirklichen wollte. Auch der Wortlaut zwingt nicht zu einer solchen Interpretation. Die Wortfolge "vor der ersten Zuerkennung von Studienbeihilfe" läßt sich jedenfalls so interpretieren, daß damit nur eine Studienbeihilfe gemeint ist, die dem Studierenden auch endgültig verblieben ist, nicht jedoch eine solche, die er zur Gänze zurückgezahlt hat.

3. Die Behörde hat daher den Beschwerdeführer dadurch, daß sie dem §27 Abs1 StudFG einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

4. Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.

III. Da der Beschwerdeführer seinen (gleichzeitig mit der Beschwerde) am 10. Oktober 2003 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe mit beim Gerichtshof am 21. Oktober 2003 eingelangten Schreiben zurückgezogen hat, war das Verfahren diesbezüglich einzustellen.

IV. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den - im beantragten Ausmaß - zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer iHv € 327,-- enthalten.

V. Diese Entscheidungen konnten gemäß §19 Abs3 Z3 und Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Hochschulen, Studienbeihilfen, VfGH / Verfahrenshilfe, VfGH / Zurücknahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1384.2003

Dokumentnummer

JFT_09959391_03B01384_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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