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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Unter "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wird nicht nur das "Ob", sondern auch das "Wie", also die konkrete Gestaltung des jeweiligen Verwaltungsaktes, verstanden; vertretbare Annahme der ungebührlichen Lärmerregung iSd ArtVIII, 2. Begehungsfall EGVG; festnahme in §35 litc VStG 1950 gedeckt; Festnahme in der Nacht - Vernehmung hat in den Morgen- oder frühen Vormittagsstunden stattzufinden; keine ungerechtfertigte Verfahrensverzögerung; Anhaltung in §36 Abs1 VStG gedeckt; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit; Fesselung des Bf. mit Handschellen, ohne daß er sich zvor den Polizeiorganen zu widersetzen suchte, aus Anlaß bloßer (verbaler) Verwaltungsdelikte - Verstoß gegen Art3 MRK; kein Nachweis für weitere behauptete Mißhandlungen; die Verfahrenskosten werden gegeneinander aufgehobenRechtssatz
Die dem Beschwerdeführer den Umständen nach in erster Linie zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nach ArtVIII,
2. Begehungsfall, EGVG 1950 igF begeht, wer ungebührlicherweise störenden Lärm erregt.
Das Tatbild dieser Verwaltungsübertretung ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 8654/1979, 9919/1984, 10480/1985) und des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 25.3.1969 Z1614/68, 19.4.1982 Z81/10/0104) dadurch gekennzeichnet, daß (störender) Lärm dann "ungebührlicherweise" erregt wird, wenn das inkriminierte Verhalten jene Rücksichtnahme vermissen läßt, welche die Umwelt regelmäßig verlangen kann.
Vertretbare Annahme störender Lärmerregung; Festnahme gesetzmäßig.
Angesichts der Verfahrensergebnisse - so auch des Inhalts der Administrativakten - vermag der Verfassungsgerichtshof der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie die Auffassung verficht, daß der Sicherheitswachebeamte - nach der sich ihm damals darbietenden Situation - mit gutem Grund annehmen durfte, der Beschwerdeführer habe durch die in der Anzeige beschriebene Handlungsweise (lautstarkes Lärmen und Schimpfen in alkoholisiertem Zustand zur Nachtzeit auf offener Straße - siehe dazu die Einlassungen im Protokoll vom 23.11.1984) zumindest die Verwaltungsübertretung nach ArtVIII, 2. Begehungsfall, EGVG 1950 begangen. War aber - nach dem Gesagten - die Qualifikation des Verhaltens des Beschwerdeführers als Verwaltungsdelikt immerhin vertretbar und lag - wie hier - nach Betretung auf frischer Tat und Tatwiederholung trotz förmlicher Abmahnung der - von der Behörde herangezogene - Festnehmungsgrund des §35 litc VStG 1950 vor, entsprach die bekämpfte Festnehmung dem Gesetz.
Festnahme um 2 Uhr nachts, Vernehmung spätestens am darauffolgenden Vormittag.
Laut Anzeige wurde der Beschwerdeführer deshalb gefesselt, weil er mit der rechten Hand "auf N T (einmal) einzuschlagen versuchte"; zu einer Berührung des Beamten, der sich - wieder nach Darstellung in der Anzeige - zur Seite drehte, kam es danach gar nicht. Der Beschwerdeführer stellte jedwede - zur Fesselung Anlaß gebende - versuchte Gewalttätigkeit entschieden in Abrede; damit stimmt die Aussage des Zeugen, der den Vorgang beobachtet hatte, im wesentlichen überein. Die amtshandelnden Polizisten erwähnten im Zuge ihrer Einvernahme zur Sache (am 6.12.1984) eine als (versuchte) Gewaltanwendung zu wertende Handlungsweise des Beschwerdeführers überhaupt nicht. Der Verfassungsgerichtshof mißt unter diesen Umständen der einleitend umschriebenen Anzeigepassage keine Beweiskraft zu und geht davon aus, daß der Beschwerdeführer gefesselt wurde, ohne daß er sich zuvor den Polizeiorganen gewaltsam zu widersetzen suchte.
Angesichts dieses Sachverhalts war die bekämpfte Fesselung also nicht etwa deshalb notwendig und geboten, um eine Gefährdung der körperlichen Sicherheit der einschreitenden Polizeiorgane hintanzuhalten. Sie geschah darüber hinaus unter (Begleit-)Umständen, die eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person erkennen ließen (vgl. VfSlg. 9836/1983): (Mit-)maßgebend für diese Wertung war nicht zuletzt der Umstand, daß die - schon nach ihrer Beschaffenheit nur als ultima ratio geeignete - polizeiliche Zwangsmaßnahme in aller Öffentlichkeit aus Anlaß bloßer (verbaler) Verwaltungsdelikte auf deutlich demütigende Weise vor sich ging.
Kein Nachweis für angebliche Mißhandlungen mit Verletzungsfolgen.
Der Verfassungsgerichtshof übersandte eine Ausfertigung der - entsprechende Vorwürfe gegen die Inspektoren enthaltenden - Beschwerdeschrift gemäß §84 StPO der zuständigen Staatsanwaltschaft Wien. Diese Anklagebehörde leitete daraufhin gegen die beiden Verdächtigen vorerst polizeiliche, dann gerichtliche Vorerhebungen (zum AZ 23b Vr 2130/85 des Landesgerichts für Strafsachen Wien) wegen der Vergehen der Körperverletzung nach §83 Abs1 StGB unter Ausnützung einer Amtsstellung (§313 StGB) und der fahrlässigen Verletzung der Freiheit der Person nach §303 StGB in die Wege. Nach Abschluß dieser Erhebungen kam es zur Einstellung des Verfahrens gegen G G gemäß §90 Abs1 StPO und zur Stellung eines Strafantrags gegen N T. Diesem Beschuldigten wurde zur Last gelegt, er habe am 23.11.1984 in Wien den Beschwerdeführer durch Schläge am Körper verletzt und hiedurch das Vergehen nach §83 Abs1 StGB - strafbar nach §313 StGB - begangen. N T wurde von dieser wider ihn erhobenen Anklage mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3.6.1986, GZ 2eE Vr 2130/85-32, gemäß §259 Z3 StPO freigesprochen. Dieser Freispruch erwuchs in Rechtskraft. Angesichts dieser konkreten Sachlage, so vor allem im Blick auf das Schicksal der Strafanzeige gegen die verdächtigten Sicherheitswachebeamten, war - zusammenfassend gesehen - (auch) im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren eine hinreichende Klärung der maßgebenden Vorfälle und damit ein Nachweis der behaupteten Mißhandlungen nicht möglich.
Schlagworte
Festnehmung, Verwaltungsstrafverfahren, LärmerregungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B4.1985Dokumentnummer
JFR_10129388_85B00004_01