RS Vfgh 1987/6/13 B158/86

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 13.06.1987
beobachten
merken

Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
StGG Art6 Abs1
StGB §§57 ff
StPO
DSt 1872 §2
DSt 1872 §12
StGB §28
DSt 1872 §29
DSt 1872 §2a
VStG §31

Leitsatz

Schuldspruch wegen Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes durch leichtfertige Erstattung von Anzeigen; ausreichende Konkretisierung der Anschuldigungen - keine Entscheidung der Disziplinarbehörde ohne Anschuldigung; kein Entzug des gesetzlichen Richters; vertretbare Annahme, des Verstoßes gegen die Berufspflichten und gegen Ehre und Ansehen des Standes durch leichtfertige Anwendung der Verjährungsbestimmungen aus dem Strafrecht oder dem Verwaltungsstrafrecht; analoge Anwendung der Bestimmungen des StGB über das Absorptionsprinzip vertretbar; keine Verletzung in der Erwerbsausübungsfreiheit nach Art6 StGG; keine Willkür

Rechtssatz

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird unter anderem auch dann verletzt, wenn die Behörde eine Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Sache in Anspruch nimmt, die ihr nicht zusteht. Mit Rücksicht auf die allgemein gehaltene Fassung des §2 des Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, RGBl. 1872/40 (DSt), ist Sache nur die im Einleitungsbeschluß konkret umschriebene Tat (vgl. VfSlg. 5523/1967). Spricht die Behörde über Anschuldigungen ab, die nicht Gegenstand des Einleitungsbeschlusses waren, so wird eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die der Behörde nicht zukommt.

Dies trifft jedoch nicht zu, da die für eine disziplinäre Ahndung vorausgesetzte Konkretisierung der gegen den Beschwerdeführer erhobenen Anschuldigung jedenfalls vorlag, sodaß im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Disziplinarbehörde nicht ohne entsprechende Anschuldigung entschieden hat. Daraus folgt, daß - entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - selbst bei Zutreffen der Behauptung, daß in der Rechtssache D 25/75 die Disziplinarbehörde bei Fassung des Einleitungsbeschlusses vom 29.5.1978 unrichtig zusammengesetzt gewesen sei, kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorliegt.

Kein Entzug des gesetzlichen Richters in einem Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt.

Der Beschwerdeführer bringt vor, in der Disziplinarsache D 25/75 sei Rechtsanwalt Dr. F bei der Fassung des Einleitungsbeschlusses und eines - später aufgehobenen - Disziplinarerkenntnisses Mitglied des Disziplinarsenates gewesen, im nachfolgenden Rechtsgang sei er jedoch bei der Disziplinarverhandlung am 29.10.1984 als Kammeranwalt eingeschritten. Daraus ist für den Beschwerdeführer verfassungsrechtlich nichts zu gewinnen; ob diese Vorgangsweise dem Gesetz entspricht, kann dahingestellt bleiben, eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wird hiedurch nicht bewirkt.

Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, daß Rechtsanwalt Dr. B im Disziplinarverfahren D 24/82 Mitglied des Disziplinarsenates gewesen sei, obwohl er im Disziplinarverfahren D 25/75 bei der Disziplinarverhandlung am 27.10.1980 als Zeuge vernommen wurde, kann darin kein Verfassungsverstoß erblickt werden, weil es sich um verschiedene Verfahren handelte, ungeachtet des Umstandes, daß in weiterer Folge die belangte Behörde die Berufungsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen diese Verbindung wendet, ist darin ebenfalls kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler erkennbar.

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht und in der Erwerbsausübungsfreiheit durch Verhängung einer Disziplinarstrafe; weder Willkür noch denkunmögliche Gesetzesanwendung.

Was den Disziplinarfall D 24/82 betrifft, sind die Ausführungen der belangte Behörde, der Beschwerdeführer hätte die Strafanzeige gegen J G leichtfertig erstattet, zumindest vertretbar. Der Beschwerdeführer hätte aus dem Urteil im zu Grunde liegenden Vaterschaftsprozeß bereits ersehen müssen, daß eine zeugenschaftliche Einvernahme der eben Genannten nicht stattfand, sodaß die Anlastung einer falschen Zeugenaussage bei gehöriger Aufmerksamkeit unterbleiben hätte müssen. Es ist keineswegs unvertretbar, wenn die belangte Behörde die leichtfertige Erstattung einer Strafanzeige durch einen Rechtsanwalt als disziplinären Verstoß gegen die Berufspflichten und gegen Ehre und Ansehen des Standes qualifiziert. Die vorgelegten Verwaltungsakten geben auch keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß die Behörde den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt, sein Vorbringen ignoriert oder den konkreten Sachverhalt außer acht gelassen hätte.

Keine Gleichheitsverletzung durch Nichtanwendung der Verjährungsbestimmungen des StGB bzw des VStG.

Soweit der Beschwerdeführer hinsichtlich des Verfahren D 25/75 meint, daß in "analoger Anwendung der Bestimmungen des StGB allenfalls der verwaltungsrechtlichen Bestimmungen, Verfahrenolgungsverjährung" eingetreten sei und daß der Gleichheitssatz ein solches Vorgehen der Behörde geboten hätte, weil das ihm angelastete Verhalten bereits mehr als zehn Jahre zurückliege, ist ihm ebenfalls nicht zu folgen. Schon die Unterschiedlichkeit der Regelungsgegenstände schließt es aus, eine analoge Anwendung der - unterschiedlichen - Verjährungsbestimmungen, wie sie sich im Strafrecht einerseits und im Verwaltungsstrafrecht andererseits finden, als auch für Disziplinarverfahren verfassungsrechtlich geboten zu erachten.

Sofern "eine einheitliche Bestrafung" in den verbundenen Disziplinarverfahren bekämpft wird, ist dem Beschwerdeführer schließlich entgegenzuhalten, daß eine analoge Anwendung der Bestimmungen des StGB über das Absorptionsprinzip jedenfalls nicht unvertretbar ist (vgl. hiezu Rechtsanwaltsordnung3, hrsg. von Heller/Jahoda/Schuppich, S 54), sodaß die Verbindung der Rechtssachen schon aus dieser Sicht die behaupteten Grundrechtsverletzungen nicht bewirken konnte.

Völlig unverständlich ist dem Verfassungsgerichtshof, wieso der Beschwerdeführer die geltend gemachte Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte aus dem Umstand ableitet, daß die belangte Behörde einer von der Generalprokuratur vorgebrachten Anregung zur Strafhöhe nicht gefolgt ist; sollte der Beschwerdeführer meinen, daß das zu verhängende Strafmaß durch derartige Anregungen begrenzt wäre, ist ihm entgegenzuhalten, daß sich im positiven Recht - insbesondere in der StPO - hiefür keine Grundlage findet. Auch insoferne ist der belangten Behörde somit weder eine denkunmögliche Gesetzesanwendung noch Willkür vorzuwerfen.

Keine rechtliche Grundlage dafür, daß die belangte Behörde einer von der Generalprokuratur vorgebrachten Anregung zur Strafhöhe folgen müßte.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Verjährung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B158.1986

Dokumentnummer

JFR_10129387_86B00158_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten