TE Vfgh Erkenntnis 2004/6/9 B360/04

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Veröffentlicht am 09.06.2004
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ÄrzteG 1998 §2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht bei Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Facharzt für Psychiatrie und Neurologie mangels ausreichender Begründung für das Vorliegen ärztlicher Tätigkeiten bei bestimmten Praktiken, wie zB "Handauflegen"; ansonsten keine in die Verfassungssphäre reichenden Fehler

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in Tirol.

1.2. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Tirol, vom 3.6.2002 wurde über ihn gemäß §136 Abs1 Z1 und 2 und Abs2 Z1 iVm. §139 Abs1 Z4 und Abs4 Ärztegesetz 1998 die Disziplinarstrafe der Streichung aus der Ärzteliste verhängt.

Den Schuldsprüchen zufolge hat er

1.) in der Zeit von 8.1.1999 - 26.3.1999 und von 1.8.1999 - 13.5.2000 in seiner bisherigen Ordinationsstätte sowie in seinem Wohnort zumindest in Zeiten der Abwesenheit seines Vertreters Dr. E., jedenfalls aber regelmäßig ab 20.30 Uhr durch ärztliche Beratungsgespräche, Handauflegungen sowie durch Überprüfung, Berichtigung und Ergänzung von Rezepten, die von dem bei ihm beschäftigten - zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufes nicht berechtigten - Dr. M. ausgestellt worden waren, den ärztlichen Beruf ausgeübt, obwohl er rechtskräftig zur Disziplinarstrafe der auf ein Jahr befristeten Untersagung der Berufsausübung verurteilt worden war, und

2.) in den Jahren 1992 - 1996 unter Verletzung der Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht Umsatz-, Einkommen- und Kapitalertragsteuer um insgesamt 32,411.425,-- Schilling verkürzt, indem er Erlöse aus Medikamentenverkauf, Verkauf eines Personenkraftwagens, aus der Veranstaltung "Weltkongress des geistigen Heilens", aus Leistungen des Versicherers Austria Collegialität sowie Krankengelder der Ärztekammer und Vermietungserlöse nicht richtig und vollständig erklärte und überdies Privataufwendungen zu Unrecht als Betriebsaufwand geltend machte, wofür er mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23.2.2001 rechtskräftig wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach §33 Abs1 Finanzstrafgesetz zu einer Geldstrafe von

11,000.000,-- Schilling, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde.

Er habe dadurch das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft beeinträchtigt und Berufspflichten verletzt, zu deren Einhaltung er gesetzlich verpflichtet ist.

1.3. Der dagegen erhobenen Berufung gab der Disziplinarsenat der Österreichischen Ärztekammer beim (damaligen) Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen mit Bescheid vom 20.1.2003 keine Folge.

1.4. Diesen Bescheid hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23.9.2003, B761/03, wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz auf. Zur Wertung der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Handauflegungen als Teilakte ärztlicher Berufsausübung führte der Gerichtshof aus, die Behörde habe verkannt, dass nicht jede von einem Arzt durchgeführte Tätigkeit unter den Begriff der "Ausübung des ärztlichen Berufes" zu subsumieren sei und die von Ärzten im Rahmen eines Gewerbes rechtmäßig ausgeübten Tätigkeiten nicht dem Anwendungsbereich des Ärztegesetzes unterliegen. Da eine Gesamtstrafe verhängt worden war, wurde der Bescheid zur Gänze aufgehoben, obwohl er nur hinsichtlich eines (geringfügigen) Teils des Schuldspruchs mit Verfassungswidrigkeit belastet war.

1.5. Mit dem nunmehr bekämpften Ersatzbescheid des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen vom 12.1.2004 wurde der Berufung des Beschwerdeführers teilweise Folge gegeben. Der Beschwerdeführer wurde vom Vorwurf, er habe in der Zeit von 8.1.1999 - 26.3.1999 und von 1.8.1999 - 13.5.2000 in seiner bisherigen Ordinationsstätte sowie in seinem Wohnort zumindest in Zeiten der Abwesenheit seines Vertreters Dr. E., jedenfalls aber regelmäßig ab 20.30 Uhr (auch) durch Handauflegungen den ärztlichen Beruf ausgeübt, obwohl er rechtskräftig zur Disziplinarstrafe der auf ein Jahr befristeten Untersagung der Berufsausübung verurteilt worden war, freigesprochen. Im Übrigen wurde der Berufung gegen den Schuldspruch keine Folge gegeben. Für das verbleibende Disziplinarvergehen wurde über den Beschwerdeführer (erneut) die Disziplinarstrafe der Streichung aus der Ärzteliste verhängt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums sowie auf Freiheit der Erwerbsausübung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Der Beschwerdeführer bringt gegen die den Bescheid tragenden Rechtsvorschriften keine Bedenken vor; solche sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass der Beschwerde auch nicht entstanden. Der Beschwerdeführer kann demgemäß nur dann in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden sein, wenn die belangte Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhalts (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987).

1.2. Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die Abweisung seiner Beweisanträge auf Einvernahme einerseits seines Vertreters Dr. E. und des in der Ordination beschäftigten Dr. M. zur Frage, welche ärztlichen Tätigkeiten er während der Zeit seines Berufsausübungsverbotes ausgeübt habe, sowie andererseits seines Masseverwalters Dr. D. zum Beweis darüber, dass er und seine Firmen sich im Konkurs befinden, dass ein Zwangsausgleich angestrebt werde und dass zu dessen Finanzierung und insbesondere zur Befriedigung der Gläubiger die Einnahmen aus seiner ärztlichen Tätigkeit unentbehrlich seien.

Im bekämpften Bescheid wurde die Abweisung des Antrags auf Einvernahme von Dr. E. und Dr. M. damit begründet, dass es an der gebotenen Darlegung der Gründe fehle, aus denen durch die beantragte zusätzliche Beweisaufnahme eine für den Beschwerdeführer vorteilhaftere Ergänzung der Beurteilungsgrundlagen zu erwarten gewesen wäre, zumal Dr. E. sich in den Abendstunden nicht in den Ordinationsräumlichkeiten aufgehalten hatte und insoweit keine unmittelbaren Wahrnehmungen zu den auf diese Zeiträume entfallenden Patientenkontakten des Beschwerdeführers hätte machen können; den aktenkundigen Angaben des Dr. M. seien hingegen nur solche Tatsachenwahrnehmungen zu entnehmen, die den Beschwerdeführer schuldspruchkonform belasten. Was die beantragte Einvernahme des Masseverwalters Dr. D. betrifft, konnte diese nach Auffassung der belangten Behörde schon deshalb unterbleiben, weil das unter Beweis gestellte Thema ohnedies als erwiesen angenommen worden sei.

Der belangten Behörde ist - auch unter Bedachtnahme auf die Ausführungen in der Beschwerde - bei ihrer Beurteilung der Entscheidungsrelevanz der Beweisaufnahme aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten (in diesem Sinne bereits VfGH 23.9.2003, B761/03; vgl. auch VfSlg. 16.268/2001 mwN).

1.3. Das Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe "die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshof[es] zum Nachteil des Beschwerdeführers umgedeutet", weil sie im Bescheid ausführte, dass es sich bei Handauflegungen unter bestimmten Voraussetzungen um einen Akt der ärztlichen Berufsausübung iSd. §2 Abs2 Z3 ÄrzteG 1998 handeln könne, geht schon deshalb ins Leere, weil sie sich im vorliegenden Fall der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen und den Beschwerdeführer vom Vorwurf der Ausübung des ärztlichen Berufes durch Handauflegungen freigesprochen hat.

1.4. Weiters wird in der Beschwerde vorgebracht, im Verfahren sei nur hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer während der Dauer seines Berufsverbotes auch am Ort seiner Ordination anwesend war; zu den übrigen Vorwürfen würden gesicherte Beweisergebnisse fehlen.

Wie sich aber aus den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, hat die Behörde ein aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandendes Ermittlungsverfahren durchgeführt, aufgrund dessen sie in jedenfalls vertretbarer Weise zu den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen gelangte.

1.5. Schließlich rügt der Beschwerdeführer, dass die belangte Behörde sich mit dem Berufungsvorbringen bezüglich des zweiten Schuldspruchkomplexes (Beeinträchtigung des Ansehens der in Österreich tätigen Ärzteschaft aufgrund der finanzstrafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers) überhaupt nicht auseinandergesetzt habe.

Auch dieses Vorbringen geht - wie schon aus dem bekämpften Bescheid deutlich wird - ins Leere; der belangten Behörde ist keine denkunmögliche Gesetzesanwendung vorzuwerfen, wenn sie zur Auffassung gelangte, dass bezüglich dieses Schuldspruchkomplexes die Verhängung einer bloßen Zusatzstrafe zu der mit Bescheid vom 20.2.1998 verhängten Disziplinarstrafe schon deshalb nicht möglich gewesen sei, weil auch der erste Schuldspruchkomplex zu berücksichtigen war.

2. Die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Freiheit der Erwerbsbetätigung würden bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides durch diesen nur verletzt werden, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte (zB VfSlg. 10.370/1985, 11.470/1987; VfSlg. 10.413/1985).

Diese Voraussetzungen liegen jedoch - wie bereits oben dargetan - nicht vor. Der Beschwerdeführer wurde daher in den genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt.

3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde. Ob der angefochtene Bescheid aber in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 9454/1982, 12.697/1991, 15.473/1999).

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Ärzte, Disziplinarrecht, Bescheidbegründung, Ersatzbescheid

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B360.2004

Dokumentnummer

JFT_09959391_04B00360_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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