RS Vfgh 1987/7/2 B334/86

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 02.07.1987
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
StGG Art13 Abs1
DSt 1872 §2
MRK Art3
MRK Art6
MRK Art7 Abs1
MRK Art10
DSt 1872 §12 Abs1 litc
DSt 1872 §12 Abs1 und Abs2

Leitsatz

Schuldspruch der OBOK wegen Berufspflichtenverletzungen und Beeinträchtigungen von Ehre und Ansehen des Standes durch leichtfertigen Vorwurf des Mißbrauches der Amtsgewalt, leichtfertige Verdächtigungen wegen krimineller Handlungen, beleidigender Schreibweise bzw. durch Nichtabgabe der Beitragserklärungen; offenkundig beleidigende Ausdrucksweise; keine Willkür; kein Anhaltspunkt für eine Verletzung des Art3 MRK; keine Bedenken gegen §2 DSt; keine Verletzung im Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art13 Abs1 StGG und Art10 Abs1 MRK; jedoch denkunmögliche Annahme, daß die Nichtabgabe der Beitragserklärungen eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes darstelle - Verletzung im Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung nach Art6 StGG; hier Aufhebung des ganzen Bescheides

Rechtssatz

Die Beschwerde macht im wesentlichen geltend, daß die belangte Behörde ihre Ansicht, daß die im Schuldspruch wiedergegebenen schriftlichen Äußerungen des Beschwerdeführers als Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu werten seien, "überhaupt nicht begründet hat". Hiezu genügt es jedoch, die vom Beschwerdeführer verwendeten Formulierungen hervorzuheben, nämlich die in bezug auf Sicherheitsbeamte gebrauchten Wendungen, es sei "zu Körperverletzungen gekommen, die eindeutig als kriminell anzusehen sind", weiters die in bezug auf eine Standesbehörde abgegebene Erklärung des Beschwerdeführers, er empfinde "Ihr Schreiben ... als bedenklich. Der Verdacht einer willkürlichen Vorgangsweise (§302 StGB) scheint nicht völlig denkunmöglich" und die genannte Standesbehörde habe das in Frage stehende Schreiben dem Disziplinarrat "gleichsam unter der Hand zugespielt", sowie schließlich die in bezug auf einen Kollegen verwendeten Ausdrücke "in nicht mehr zu überbietender Unverfrorenheit" und "ein plumpes Überrumplungs- und Einschüchterungsmanöver" sowie "es entspringt aber einer mir äußerst widerwärtigen Gangstermentalität ...". Es ist festzuhalten, daß es an Mutwillen grenzt, den völlig eindeutigen Sinn derartiger Auslassungen in Frage zu stellen und an ihrer Eignung zu zweifeln, Ehre und Ansehen des Rechtsanwaltsstandes zu beeinträchtigen (vgl. VfGH 28.2.1986 B115/84). Schon das verwendete Vokabular sowie der hiebei in anwaltlichen Schriftsätzen verwendete Wortsinn unterstellt den Adressaten ein kraß rücksichtsloses, rechtswidriges, ja strafbares Vorgehen. Es ist nicht unschlüssig, den Gebrauch solcher Wendungen sowohl als Berufspflichtenverletzung als auch als eine Beeinträchtigung des Standesansehens zu werten; selbst wenn diese Wertung verfehlt wäre, hätte dies der Verfassungsgerichtshof im Rahmen der ihm zukommenden Beurteilung des angefochtenen Bescheides nicht aufzugreifen (VfGH 28.2.1986 B566/83). Damit erübrigte es sich, auf die weiteren Ausführungen des Beschwerdeführers im gegebenen Zusammenhang einzugehen.

Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen beleidigender Äußerungen in bezug auf Sicherheitswachebeamte, auf eine Standesbehörde und einen Kollegen.

Es ist nicht unschlüssig, den Gebrauch solcher Wendungen sowohl als Berufspflichtenverletzung als auch als eine Beeinträchtigung des Standesansehens zu werten.

Verhängung der Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von zwei Monaten und der anteiligen Tragung der Kosten des Disziplinarverfahrens wegen der Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes und der Berufspflichtenverletzung.

Gemäß Art3 MRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Dem Verfassungsgerichtshof ist unerfindlich, inwiefern der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in den aus Art3 MRK erfließenden Rechten verletzt sein sollte. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der angefochtene Bescheid einen Inhalt hätte, durch den ein die Menschenwürde beeinträchtigender, als eine gröbliche Mißachtung des Beschwerdeführers zu qualifizierender Akt von der belangten Behörde gesetzt worden wäre; nur ein solches Verhalten aber würde sich als Verletzung des Art3 MRK darstellen (vgl. VfSlg. 8145/1977, 9385/1982; VfGH 25.9.1985 B642/82).

Der Verfassungsgerichtshof stellt zunächst fest, daß dem Beschwerdeführer mit Einleitungsbeschluß des Disziplinarrates der RAK für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 14.11.1984 eröffnet wurde, daß Grund zu seiner Disziplinarbehandlung wegen der Äußerungen bestehe, die schließlich mit Erk. des Disziplinarrates vom 18.1.1985 zu seiner Verurteilung führten. Wieso der Beschwerdeführer bei diesem Sachverhalt die Behauptung aufstellt, daß ihm im Verfahren D 13/81 nicht mitgeteilt worden sei, welcher konkrete Vorwurf gegen ihn erhoben werde, ist unerfindlich. Da die Beschwerdeausführungen somit schon vom Ansatz her verfehlt sind, erübrigte es sich, auf das Vorbringen weiter einzugehen. Soweit der Beschwerdeführer im gegebenen Zusammenhang schließlich darauf verweist, daß das Disziplinarverfahren erst nach einem Stillstand von zweieinhalb Jahren fortgesetzt worden sei - gemeint ist wohl, daß der Einleitungsbeschluß erst mit einer solchen Verzögerung gefaßt wurde -, ist auch hieraus offenkundig für die Beschwerde nichts zu gewinnen; in die Verfassungssphäre reicht auch dies jedenfalls nicht.

Der Beschwerdeführer meint, im Recht "auf Einhaltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Delikte und der Strafen gemäß Art7 Abs1 MRK" verletzt zu sein, weil nach dem Wortlaut der materiell-rechtlich zu Grunde liegenden Bestimmungen auch wegen geringfügiger Disziplinardelikte die längste im Gesetz vorgesehene Strafe verhängt werden dürfe.

Sollte dieses Vorbringen als Geltendmachung von Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §2 DSt zu werten sein, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Unbedenklichkeit dieser Gesetzesstelle zu verweisen (vgl. zB VfGH 29.9.1986 B763/84 und die dort zitierte Vorjudikatur, sowie im Zusammenhang mit Art7 MRK im besonderen VfSlg. 6762/1972, 7814/1976 und 7907/1976).

Soweit der Beschwerdeführer meint, aus der Aufzählung der Disziplinarstrafen in §12 Abs1 DSt ließe sich ableiten, daß auch für das geringste Disziplinarvergehen die schwerste Strafe verhängt werden könnte, übersieht er den Abs2 leg.cit., welcher die maßgeblichen Kriterien für die Strafbemessung festlegt. Für den Fall des Beschwerdeführers - er glaubt, zu streng bestraft worden zu sein - ergibt sich hieraus lediglich eine Frage der richtigen Anwendung des Gesetzes, die vom Verfassungsgerichtshof jedoch nicht zu beurteilen ist.

Keine Verletzung im Recht auf freie Meinungsäußerung.

Nach Art13 Abs1 StGG hat jedermann das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellungen seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist zwar nur innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet, doch darf auch ein solches Gesetz keinen Inhalt haben, der den Wesensgehalt des Grundrechtes einschränkt (vgl. VfSlg. 6166/1970). Eine nähere Bestimmung dieses Wesensgehaltes findet sich nunmehr in Art10 MRK. Diese Best bekräftigt den Anspruch auf freie Meinungsäußerung und stellt klar, daß dieses Recht die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten über Ideen einschließt, sieht aber im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft zB zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind. Da sich die im angefochtenen Erk. ausgesprochene Verhängung der Disziplinarstrafe über den Beschwerdeführer auf ein verfassungsrechtlich unbedenkliches Gesetz stützen kann (s. im gegebenen Zusammenhang VfSlg. 9160/1981), könnte die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung nur dann stattgefunden haben, wenn das Gesetz denkunmöglich angewendet worden wäre. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn die Behörde einen einer Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler begangen hätte (vgl. VfSlg. 7907/1976 und die dort angeführte Vorjudikatur). Ein solcher Fehler kann der belangten Behörde, die auf Grund der verwendeten Wortfolgen den Tatbestand eines Disziplinarvergehens angenommen hat, jedenfalls nicht vorgeworfen werden. Ob das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der Verfassungsgerichtshof hiebei nicht zu prüfen.

Mit Erk. des Disziplinarrates der RAK für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18.1.1985 wurde der Beschwerdeführer - auch - für schuldig befunden, trotz mehrfacher Aufforderung durch den Ausschuß der RAK für Wien, Niederösterreich und Burgenland für die Jahre 1980, 1982 und 1983 keine Beitragserklärung erstattet zu haben; dies wurde als Berufspflichtenverletzung qualifiziert. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dieser Ausspruch dahin abgeändert, daß der Beschuldigte sich durch dieses Verhalten des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig gemacht habe.

Der Verfassungsgerichtshof erachtet diese Beurteilung der belangten Behörde, mit der in der schlichten Nichtbefolgung eines von Kammerorganen erteilten Auftrages zur Abgabe der Beitragserklärung eine Verletzung des Standesansehens erblickt wurde, für denkunmöglich; dies auch dann, wenn wiederholten Aufforderungen nicht entsprochen wurde.

Daß der Sachverhalt als Berufspflichtenverletzung zu qualifizieren wäre, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid selbst ausgeschlossen.

Denkunmögliche Beurteilung der schlichten Nichtbefolgung eines von Kammerorganen erteilten Auftrages zur Abgabe der Beitragserklärung als Verletzung des Standesansehens.

Da mit dem angefochtenen Bescheid eine Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von 2 Monaten verfügt wurde, greift er in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der freien Erwerbsausübung ein; der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid, da die belangte Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hat, in diesem Recht verletzt. Dieser ist daher aufzuheben, obschon die Verurteilung auch wegen anderer Disziplinarvergehen ergangen ist, da der angefochtene Bescheid - abgesehen von einer Änderung des Qualifikationsausspruches - den erstinstanzlichen Bescheid zur Gänze bestätigt. Es konnte daher die festgestellte Verfassungswidrigkeit nur dadurch beseitigt werden, daß der angefochtene Bescheid insgesamt aufgehoben wird.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Meinungsäußerungsfreiheit, Grundrechte, VfGH / Bescheid

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B334.1986

Dokumentnummer

JFR_10129298_86B00334_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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