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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art121 Abs4Leitsatz
Feststellung der Befugnis des Rechnungshofes zur Einsichtnahme in Unterlagen betreffend Bezüge und Ruhebezüge im Bereich des ORF, der Wirtschaftskammer Steiermark und des Landes Niederösterreich zum Zweck der allgemeinen Gebarungsprüfung; keine Befugnis zur Einsichtnahme in sämtliche Unterlagen zum Zweck der namentlichen Einkommensberichterstattung gemäß dem BVG-Bezügebegrenzung 1997; Veröffentlichung der Bezüge unter Namensnennung nicht notwendig und angemessen im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Vorabentscheidungsverfahren; Vorrang der unmittelbar anzuwendenden Datenschutz-RichtlinieSpruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Der Rechnungshof stellte am 6. Juli 2000 gemäß Art126a B-VG den (hg. zZ KR3/00 protokollierten) Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge
"feststellen, dass der RH [= Rechnungshof] zum Zwecke der namentlichen Einkommensberichterstattung gem §8 Abs1 bis 3 BezBegrBVG befugt ist, in sämtliche Unterlagen der Marktgemeinde Kaltenleutgeben betreffend die von ihr in den Jahren 1998 und 1999 ausbezahlten Bezüge und Ruhebezüge Einschau zu halten".
1. Dem Antrag des Rechnungshofes liegt folgender - außer Streit stehender - Sachverhalt zugrunde:
Im April 2000 machte der Rechnungshof unter anderem die Gemeinde Kaltenleutgeben auf ihre "Meldepflichten" gemäß §8 Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Begrenzung von Bezügen öffentlicher Funktionäre, BGBl. I 64/1997, (im Folgenden: BezBegrBVG) aufmerksam.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2000 teilte die Gemeinde Kaltenleutgeben dem Rechnungshof die Bruttobezüge von zehn (1998) bzw. neun (1999) Personen unter Berufung auf Art8 EMRK in anonymisierter Form mit.
Mit Schreiben vom 19. Mai 2000 teilte der Rechnungshof der Gemeinde Kaltenleutgeben mit, dass das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst die datenschutzrechtlichen Bedenken gegen §8 BezBegrBVG als nicht überzeugend beurteilt habe, und ersuchte neuerlich um eine vollständige, den Erfordernissen des Einkommensberichtes entsprechende Meldung.
Mit Schreiben vom 30. Mai 2000 teilte die Gemeinde Kaltenleutgeben mit, dass sie keine personenbezogenen Daten gemäß §8 BezBegrBVG an den Rechnungshof übermitteln werde.
Mit Schreiben vom 20. Juni 2000 informierte der Rechnungshof die Gemeinde Kaltenleutgeben davon, dass er voraussichtlich ab 27. Juni 2000 in die für die Erstellung des Berichtes des Rechnungshofes für die Jahre 1998 und 1999 gemäß §8 Abs1 bis 3 BezBegrBVG bedeutsamen Unterlagen (Rechnungsbücher, Belege, Personalakten, sonstige Behelfe) Einschau halten werde (§8 Abs1 letzter Satz BezBegrBVG).
Am 27. Juni 2000 begannen die Beauftragten des Rechnungshofes mit den Einschauhandlungen; sie ersuchten die beauftragten Vertreter der Gemeinde, ihnen die Einschau in sämtliche für die Erstellung des Berichtes des Rechnungshofes gemäß §8 Abs1 bis 3 BezBegrBVG bedeutsamen Unterlagen zu ermöglichen. Die Vertreter der Gemeinde Kaltenleutgeben ließen die Einschau in die angeführten Unterlagen nicht zu und begründeten dies damit, dass Kaltenleutgeben eine Gemeinde mit weniger als 20.000 Einwohnern sei und daher nicht der Mitteilungspflicht gemäß §8 Abs1 BezBegrBVG unterliege. Weiters beriefen sich die Vertreter der Gemeinde Kaltenleutgeben auf Art8
EMRK.
Die Prüforgane des Rechnungshofes erklärten, dass eine Behinderung des Rechnungshofes an der Vornahme von Einschauhandlungen vorliege, und setzten die Vertreter der Gemeinde Kaltenleutgeben darüber in Kenntnis, dass der Rechnungshof an den Verfassungsgerichtshof herantreten werde, um die von der Gemeinde Kaltenleutgeben bestrittene Zuständigkeit des Rechnungshofes zur Einschau in die angeforderten Unterlagen überprüfen zu lassen. Die Vertreter der Gemeinde Kaltenleutgeben nahmen dies zur Kenntnis. Darüber wurde eine Niederschrift aufgenommen und von den anwesenden Vertretern der Gemeinde und des Rechnungshofes unterfertigt.
2. Seinen Antrag begründet der Rechnungshof wie folgt:
"Gemäß §8 Abs1 BezBegrBVG haben Rechtsträger, die der Kontrolle des RH unterliegen, innerhalb der ersten drei Monate jeden zweiten Kalenderjahres dem RH die (Ruhe)Bezüge von Personen mitzuteilen, die in einem der beiden vorangegangenen Kalenderjahre entweder höher als 14 mal 80 % des monatlichen Ausgangsbetrages waren oder einen solchen neben einem weiteren (Ruhe)Bezug von einem der RH-Kontrolle unterliegenden Rechtsträger erhalten haben.
Zu den Rechtsträgern im Sinne des §8 BezBegrBVG zählen alle Gemeinden, und zwar unabhängig von ihrer Einwohnerzahl. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes vom 12. Juli 1999, GZ 600.270/3-V/1/99, ... in dem zu dieser Frage unter anderem folgendes ausgeführt wird:
'Nach der klaren Absicht des Gesetzgebers sollten die Regelungen des BezBegrBVG auf alle Gebietskörperschaften (und sonstigen der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträger) bzw auf alle Bezüge (und Ruhebezüge), die aus 'öffentlichen Kassen' bezogen werden, Anwendung finden. In diesem Sinne ist im Ausschussbericht und in den Wortmeldungen in der Debatte des Nationalrates wiederholt allgemein von Bund, Ländern und Gemeinden die Rede; eben diese Wortwahl ist es auch, die deutlich macht, dass sich der Gesetzgeber nicht an Art127a Abs1 B-VG, sondern an Art121 Abs1 B-VG orientiert und unter 'Rechtsträgern, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen', alle in Art121 Abs1 B-VG genannten Rechtsträger verstanden hat' ...
Abschließend heißt es in diesem Gutachten:
'Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst kommt daher zusammenfassend zum Ergebnis, dass auch Gemeinden mit weniger als 20 000 Einwohnern 'Rechtsträger' sind, die im Sinne des BezBegrBVG 'der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen'. Der Anwendungsbereich der Bestimmungen des BezBegrBVG, in denen dieser Begriff verwendet wird, erfasst daher auch solche Gemeinden' ...
Im Sinne des BezBegrBVG sind somit auch Kleingemeinden als Rechtsträger anzusehen, die der Kontrolle des RH unterliegen. Demgemäß waren auch Kleingemeinden verhalten, bis spätestens Ende März 2000 (dies ergibt sich aus §11 Abs8 BezBegrBVG) dem RH die in §8 Abs1 erster und zweiter Satz BezBegrBVG vorgesehenen Mitteilungen über Bezugszahlungen in den Jahren 1998 und 1999 zu erstatten. Gemäß §8 Abs3 BezBegrBVG hat der RH diese Meldungen nach Jahreswerten getrennt zusammenzufassen und letztlich einen Bericht zu erstellen, in dem alle Personen aufzunehmen sind, deren jährliche Bezüge aus 'öffentlichen Kassen' insgesamt den Grenzwert von 1 120 000 S im Jahr 1998 bzw 1 127 486 S im Jahr 1999 übersteigen.
In diesem Bericht sind die betroffenen Einkommensbezieher namentlich zu nennen. Dies ergibt sich aus dem Ausschussbericht (AB 687 BlgNR 20.GP, Seite 2), in dem zur gegenständlichen Bestimmung folgendes ausgeführt wird:
'Umfassende Information der Österreicherinnen und Österreicher über Bezüge aus öffentlichen Kassen; wer immer Bezüge aus öffentlichen Kassen (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungsträger, Kammern, rechnungshofgeprüfte Unternehmungen) bezieht - nicht nur Politiker - wird in einem Einkommensbericht des Rechnungshofes namentlich mit der Höhe des Jahreseinkommens veröffentlicht, wenn dieses die doppelte Sozialversicherungshöchst[beitrags]grundlage überschreitet'.
Aus der Pflicht des RH, die Bezieher von höheren Einkommen aus öffentlichen Kassen namentlich zu nennen, ergibt sich zwingend, dass auch die im Sinne des BezBegrBVG der RH-Kontrolle unterliegenden Rechtsträger zur namentlichen Nennung der Bezugsbezieher verhalten sind.
Laut Angabe im Amtskalender 1999/2000, Seite 1370, ist der Bürgermeister der Marktgemeinde Kaltenleutgeben im Hauptberuf Beamter ... Es besteht daher Grund zur Annahme, dass der Bürgermeister dieser Gemeinde zwei Bezüge von Rechtsträgern erhält, die der Kontrolle des RH unterliegen, nämlich den einen als Bürgermeister von Kaltenleutgeben und den anderen als Beamter einer Gebietskörperschaft. Dies lässt in weiterer Folge den Schluss zu, dass die Marktgemeinde Kaltenleutgeben gem §8 Abs1 zweiter Satz BezBegrBVG jedenfalls verpflichtet gewesen wäre, den Bezug ihres Bürgermeisters mit Namen dem RH mitzuteilen.
Die Marktgemeinde Kaltenleutgeben hat - trotz Mahnschreiben des RH - ihre Pflicht zur namentlichen Bezugsmeldung nicht eingehalten, weshalb der RH zur Einschau in die betreffenden Unterlagen verpflichtet war (§8 Abs1 letzter Satz BezBegrBVG). Wie bereits ... ausgeführt, hat die Marktgemeinde Kaltenleutgeben diese Einschau nicht zugelassen."
Gegenstand der Meinungsverschiedenheit sei sohin die Zuständigkeit des Rechnungshofes zur Einschau in jene Unterlagen einer "Kleingemeinde", die der Rechnungshof benötige, um den Einkommensbericht gemäß §8 Abs1 bis 3 BezBegrBVG zu erstellen. Der Umfang dieser Unterlagen sei vor allem vom Bezugsbegriff abhängig, der §8 leg.cit. zugrunde liegt:
"In Übereinstimmung mit dem BMF geht der RH dabei davon aus, dass hinsichtlich der Bezüge aus nicht selbstständiger Arbeit die am Lohnzettel unter der Kennzahl 210 ausgewiesenen Bezüge dem Bezugsbegriff im Sinne des BezBegrBVG entsprechen (siehe Schreiben des BMF vom 23. April 1999, GZ 07 0101/22-IV/7/99 ...). Weiters fallen auch Einnahmen aus sonstiger selbstständiger Arbeit im Sinne des §22 Z2 EStG (vermögensverwaltende Tätigkeit, insbesondere alle Kontrolltätigkeiten im Sinne des §6 Abs1 Z9 litb UStG wie Vergütungen jeder Art, die an Mitglieder des Aufsichtsrates, Verwaltungsrates oder anderer mit der Überwachung einer Geschäftsführung beauftragte Personen für diese Funktion gewährt werden) und Bezüge, die unter sonstige Einkünfte im Sinne des §29 EStG 1988 fallen (insbesondere 'wiederkehrende Bezüge' und Funktionsgebühren), unter den Begriff 'Bezüge' im Sinne des §8 Abs1 bis 3 BezBegrBVG (siehe Schreiben des BMF vom 14. Juli 1998, GZ 07 0101/7-IV/7/98 ...).
Gemäß §8 Abs2 letzter Satz BezBegrBVG sind, wenn eine Person mehrere Bezüge oder Ruhebezüge aus öffentlichen Kassen erhält, diese Bezüge (Ruhebezüge) zusammenzurechnen. Da diese Aufgabe dem RH zufällt, zählt auch die Sozialversicherungsnummer, die eine Person eindeutig identifiziert, zu den Unterlagen, die der RH zur Erstellung des Einkommensberichtes benötigt.
Letztlich zählen auch alle Dokumente, aus denen auf die Tatsache eines Mehrfachbezuges geschlossen werden kann, zu solchen Unterlagen."
3. Die Gemeinde Kaltenleutgeben als Antragsgegnerin vertrat in ihrer Äußerung indes die Auffassung, dass sich der Gesetzesauftrag des §8 Abs1 BezBegrBVG nur an Rechtsträger, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, richte und Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern nicht ohne weiteres (vgl. Art127a Abs1 und 7 B-VG) zu diesem Kreis zählten. Sie führte dazu näher aus:
"Wie Mayer in seinem Kurzkommentar zum Österr. Bundesverfassungsrecht, Seite 347 ausführt, ist der Rechnungshof nur zuständig, Gemeinden mit mindestens 20.000 Einwohnern zu überprüfen. Auf begründetes Ersuchen der Landesregierung hat der Rechnungshof auch kleinere Gemeinden zu überprüfen; diesfalls gründet sich seine Zuständigkeit auf das Ersuchen der Landesregierung. Diese Gemeinden unterliegen daher nicht automatisch der Kontrolle des Rechnungshofes. Diese Auffassung wird auch von Hengstschläger in 'Wesen und staatspolitische Funktion der öffentlichen Kontrolle' (Kommunale Forschung in Österreich, Herausgeber Friedrich Klub, Seite 72 f) vertreten. Auch der Rechnungshof selbst vertrat in einem Antwortschreiben vom 23. Jänner 1998, Zl. 4041-IV/1/97 aufgrund einer Anfrage des NÖ Gemeindevertreterverbandes der ÖVP (einer Interessensvertretung der niederösterreichischen Gemeinden gemäß §119 NÖGO 1973) die Auffassung, daß Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern nicht der Rechnungshofkontrolle unterliegen. Daher handle es sich bei den Bezügen von diesen Gemeinden nicht um Bezüge von einem Rechtsträger, der der Kontrolle des Rechnungshofes unterliege. Demnach sei §4 Abs1 des BezBegrBVG nicht anwendbar ... Zur Frage der Zuständigkeit der dem Rechnungshof unterliegenden Rechtsträger vergleiche auch Schreiben des Rechnungshofes an das Amt der NÖ Landesregierung vom 5. November 1998, Zl. 2802-Pr/1/98 ... sowie Schreiben der NÖ Landesregierung vom 18.2.1999 an den Verband NÖ Gemeindevertreter der ÖVP ...
Aufgrund dieser ursprünglich sehr eindeutigen Darlegungen des Rechnungshofes, die nicht zuletzt auf übereinstimmenden Meinungen der Lehre beruht, erachtet sich die Marktgemeinde Kaltenleutgeben, die aufgrund der letzten Volkszählung eine Einwohnerzahl von 2699 besitzt, nicht als Rechtsträger, der der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegt, und hatte der Rechnungshof daher im vorliegenden Fall kein Recht auf Einschau der betreffenden Unterlagen gemäß §8 Abs1 des BezBegrBVG. Nach Auffassung der Antragsgegnerin wurde ihm die Einschau daher zurecht verwehrt."
Unter Hinweis auf die Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (im Folgenden: Datenschutz-Richtlinie), ABl. 1995 L 281, S. 31, vertrat die Gemeinde die Auffassung, dass der Eingriff in das gemeinschaftliche Grundrecht auf Datenschutz eine Interessenabwägung im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung verlange. Da jede Behörde verpflichtet sei, soweit wie möglich innerstaatliches Recht im Einklang mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechtes zu interpretieren, habe die Gemeinde Kaltenleutgeben im Schreiben vom 8. Mai 2000 an den Rechnungshof ihren Einkommensbericht zu Recht in anonymisierter Form abgegeben. Die Gemeinde Kaltenleutgeben stellte daher abschließend den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass die Gemeinde Kaltenleutgeben kein Rechtsträger sei, der der Kontrolle des Rechnungshofes unterliege, in eventu dass sie zwar ein Rechtsträger sei, der im Sinne des BezBegrBVG der Kontrolle des Rechnungshofes unterliege, dass es aber genüge, die im §8 Abs1 BezBegrBVG genannten Daten dem Rechnungshof anonymisiert zu übermitteln, der Rechnungshof daher kein Recht habe, in sämtliche Unterlagen der Gemeinde Kaltenleutgeben betreffend die von ihr in den Jahren 1998 und 1999 ausbezahlten Bezüge und Ruhebezüge Einschau zu halten.
4. Auch die Niederösterreichische Landesregierung vertrat in ihrer Äußerung die Auffassung, dass ("Klein-")Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern iSd Art127a Abs7 B-VG keine der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegende Rechtsträger iSd §8 BezBegrBVG seien:
"Mit Adamovich/Funk/Holzinger (Österreichisches Staatsrecht, Band 2; Staatliche Organisation, RNr. 36.011) wird man davon ausgehen können, dass im Falle des Art127a Abs7 B-VG das Ersuchen der Landesregierung für den Rechnungshof eine zuständigkeitsbegründende Wirkung hat und somit eine generelle Kontrollzuständigkeit des Rechnungshofes für derartige Kleingemeinden nicht besteht. (So geht auch Mayer in: Das österreichische Bundesverfassungsrecht, Anm. zu Art127a auf S. 348 davon aus, dass sich diesfalls die Zuständigkeit des Rechnungshofes auf das Ersuchen der Landesregierung gründet.)
Die entscheidende Frage für die Beurteilung der vorliegenden Bestimmung ist also jene, ob man einer verbalen-grammatikalischen Interpretation (wie sie auch von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes bevorzugt wird) den Vorzug geben will und an die vom B-VG bereits geprägte Reichweite der Kontrolle des Rechnungshofes anknüpft oder ob man im Wege der historischen Interpretation davon ausgeht, dass der Gesetzgeber - obwohl er es nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht hat - im Bezüge-BVG von diesem herkömmlichen Begriffsverständnis abgewichen ist.
Gerade der letzte Aspekt wird vom Rechnungshof im ... Schreiben vom 5. November 1998 insofern betont, als eine solche Absicht des Gesetzgebers (eine vom Ersuchen der zuständigen Landesregierung unabhängige Einschaubefugnis gegenüber Kleingemeinden begründen zu wollen) nach Meinung des Rechnungshofes wohl klarer zum Ausdruck gebracht hätte werden müssen.
Für die Beibehaltung der Rechtsansicht des Rechnungshofes vom 5. November 1998 spricht aber auch ein grundsätzliches verfassungsrechtliches Argument:
Mit Art126a B-VG wurde ein Instrumentarium geschaffen, mit dem Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Rechnungshof und einem Rechtsträger über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit des Rechnungshofes regeln, durch den Verfassungsgerichtshof geklärt werden können. Gerade dieser Umstand spricht aber dafür, dass zur Auslegung des strittigen Begriffes die Rechtsmeinung des Rechnungshofes herangezogen werden sollte, bis eine entsprechende Klarstellung durch den Verfassungsgerichtshof gemäß Art126a B-VG vorliegt.
Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst hat mit Gutachten vom 12. Juli 1999, GZ. 600.270/3-V/1/99, die Ansicht vertreten, dass auch Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern Rechtsträger sind, die im Sinne des BezügebegrenzungsBVG der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen.
Dieser Rechtsansicht wurde seitens der Abteilung Gemeinden als Gemeindeaufsichtsbehörde in einem Rundschreiben an alle Gemeinden vom 31. Jänner 2000, IVW3-BG-8090001/035-00, gefolgt und in einem weiteren Rundschreiben vom 13. März 2000, IVW3-BG-8090001/039-00, bestätigt. ...
In der Literatur hat Hengstschläger (Rechnungshofkontrolle [2000], Art121 B-VG, Rz. 18) im Wege einer teleologischen Interpretation die Meinung vertreten, dass Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern als der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegende Rechtsträger im Sinne des BezügebegrenzungsBVG einzustufen sind.
An anderer Stelle stellt Hengstschläger jedoch fest:
'Gemeinden, die weniger als 20.000 Einwohner haben, unterliegen nicht der Kontrolle durch den RH ... Der Umfang der Kontrollkompetenz des RH wird durch das begründete Prüfungsersuchen determiniert.' (Hengstschläger, Rechnungshofkontrolle [2000], Art127a Abs2 und 5 bis 8, Rz. 4). Daher kann nach Hengstschläger eine Kleingemeinde mangels Zuständigkeit des Rechnungshofes auch solange in das Kompetenzfeststellungsverfahren nicht einbezogen werden, solange ein diesbezügliches Ersuchen nicht gestellt wurde (Hengstschläger, Rechnungshofkontrolle [2000], Art126a, Rz. 9 auf Seite 92).
Dies zeigt deutlich, dass die Absicht des Gesetzgebers, Kleingemeinden unter 20.000 Einwohnern iR des §8 BezügebegrenzungsBVG zu erfassen, nur aus den Materialien und nicht aus dem Wortlaut der Bestimmung geschlossen werden kann."
5. a) Unter anderem aus Anlass dieses Verfahrens richtete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 12. Dezember 2000, ONr. 14 (= VfSlg. 16.050/2000), folgende Fragen an den Europäischen Gerichtshof:
"1. Sind die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, insbesondere jene über den Datenschutz so auszulegen, daß sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die ein staatliches Organ zur Erhebung und Weiterleitung von Einkommensdaten zum Zweck der Veröffentlichung der Namen und Einkommen der Dienstnehmer
a) einer Gebietskörperschaft
...
verpflichten?
2. Für den Fall, daß der Europäische Gerichtshof die gestellte Frage zumindest teilweise bejaht:
Sind jene Bestimmungen, die einer nationalen Regelung des geschilderten Inhalts entgegenstehen, in dem Sinn unmittelbar anwendbar, daß sich die zur Offenlegung verpflichteten Personen auf sie berufen können, um eine Anwendung entgegenstehender nationaler Vorschriften zu verhindern?"
b) Mit Urteil vom 20. Mai 2003, Rs. C-465/00 ua., Rechnungshof gegen ORF ua., erkannte der Europäische Gerichtshof für Recht, dass
"1. [d]ie Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c und 7 Buchstaben c und e der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ... einer nationalen Regelung wie der den Ausgangsverfahren zugrunde liegenden nicht entgegen[stehen], sofern erwiesen ist, dass die Offenlegung, die nicht nur die Höhe der Jahreseinkommen der Beschäftigten von der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträgern betrifft, wenn diese Einkommen einen bestimmten Betrag überschreiten, sondern auch die Namen der Bezieher dieser Einkommen umfasst, im Hinblick auf das vom Verfassungsgesetzgeber verfolgte Ziel der ordnungsgemäßen Verwaltung der öffentlichen Mittel notwendig und angemessen ist, was die vorlegenden Gerichte zu prüfen haben" und
"2. [d]ie Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c und 7 Buchstaben c und e der Richtlinie 95/46 ... in dem Sinne unmittelbar anwendbar [sind], dass sich ein Einzelner vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts zu verhindern".
(Die Begründung des Europäischen Gerichtshofes ist in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 2003, KR1/00, in extenso wiedergegeben.)
6. In der Folge stellte es der Verfassungsgerichtshof den Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens frei, zu den Auswirkungen dieses Urteils auf das verfassungsgerichtliche Verfahren Stellung zu nehmen. Hievon machten sowohl die Gemeinde Kaltenleutgeben als auch die Niederösterreichische Landesregierung, nicht jedoch der antragstellende Rechnungshof Gebrauch.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den - zulässigen (siehe VfSlg. 16.050/2000, Pkt. II.) - Antrag erwogen:
1. Die für die Beurteilung der Meinungsverschiedenheit maßgebliche Bestimmung des §8 Abs1 bis 3 BezBegrBVG lautet wie folgt:
"(1) Rechtsträger, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, haben innerhalb der ersten drei Monate jedes zweiten Kalenderjahres dem Rechnungshof die Bezüge oder Ruhebezüge von Personen mitzuteilen, die zumindest in einem der beiden vorangegangenen Kalenderjahre Bezüge oder Ruhebezüge bezogen haben, die jährlich höher als 14mal 80% des monatlichen Ausgangsbetrages nach §1 waren. Die Rechtsträger haben auch die Bezüge und Ruhebezüge von Personen mitzuteilen, die einen weiteren Bezug oder Ruhebezug von einem Rechtsträger beziehen, der der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegt. Personen, die einen Bezug oder Ruhebezug von zwei oder mehreren Rechtsträgern beziehen, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, haben dies diesen Rechtsträgern mitzuteilen. Wird diese Mitteilungspflicht vom Rechtsträger nicht eingehalten, so hat der Rechnungshof in die betreffenden Unterlagen Einschau zu halten und daraus seinen Bericht zu erstellen.
(2) Bei Anwendung des Abs1 sind auch Sozial- und Sachleistungen zu berücksichtigen, soweit sie nicht Leistungen aus der Kranken- oder Unfallversicherung oder auf Grund von vergleichbaren landesrechtlichen Regelungen sind. Mehrere Bezüge oder Ruhebezüge von Rechtsträgern, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, sind zusammenzurechnen.
(3) Der Rechnungshof hat diese Mitteilungen - nach Jahreswerten getrennt - in einem Bericht zusammenzufassen. In den Bericht sind alle Personen aufzunehmen, deren jährliche Bezüge und Ruhebezüge von Rechtsträgern, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, insgesamt den im Abs1 genannten Betrag übersteigen. Der Bericht ist dem Nationalrat, dem Bundesrat und den Landtagen zu übermitteln."
Sie hat folgenden Regelungsgehalt:
Personen, die einen Bezug oder Ruhegenuss von zwei oder mehreren der Gebarungskontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträgern beziehen, haben dies diesen Rechtsträgern zu melden. Alle Rechtsträger, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, haben Bezüge, die eine bestimmte Höhe überschreiten, oder Bezüge von Personen, die noch einen weiteren Bezug (gleichgültig in welcher Höhe) von einem anderen rechnungshofkontrollpflichtigen Rechtsträger beziehen, dem Rechnungshof mitzuteilen.
Kommt ein Rechtsträger dieser Verpflichtung nicht nach, so hat sich der Rechnungshof die notwendigen Informationen durch Einschau in die betreffenden Unterlagen der rechnungshofkontrollpflichtigen Einrichtungen zu beschaffen.
Der Rechnungshof hat sodann die Mitteilungen und die durch Einschau gewonnenen Informationen in einem "Einkommensbericht" zusammenzufassen; in diesen Bericht sind "alle Personen aufzunehmen", deren jährliche Bezüge das genannte Ausmaß überschreiten; dies ist - wie in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 2003, KR1/00, unter Heranziehung historischer, systematischer und teleologischer Argumente näher dargelegt wurde - als Verpflichtung zu verstehen, die Namen und diesen zugeordnet die Höhe der Jahreseinkommen der betroffenen Personen aufzunehmen.
Der Einkommensbericht ist vom Rechnungshof den Parlamenten des Bundes und der Länder zu übermitteln und soll der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
2. a) Eine Befugnis zur (namentlichen Einkommens-)Berichterstattung iSd §8 Abs1 bis 3 BezBegrBVG kommt dem Rechnungshof nach dieser Bestimmung unter der Voraussetzung zu, dass
-
der Rechtsträger, bei dem Einschau gehalten werden soll, auf Grund einer anderen (verfassungs-)gesetzlichen Bestimmung der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegt und
-
dieser Rechtsträger seiner Mitteilungspflicht nicht (fristgerecht und vollständig) nachgekommen ist.
Weiters muss - wie sich aus den einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergibt - eine auch die Namen der Einkommensbezieher umfassende Offenlegung im Hinblick auf das vom Verfassungsgesetzgeber verfolgte Ziel der ordnungsgemäßen Verwaltung der öffentlichen Mittel notwendig und angemessen sein; andernfalls steht der Anwendung des §8 (Abs1 bis 3) BezBegrBVG nach der vom Verfassungsgerichtshof eingeholten, oben (vgl. Pkt. I.5.) referierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes Gemeinschaftsrecht entgegen.
b) Ob - wie der Rechnungshof im Anschluss an ein Gutachten des Bundeskanzleramt-Verfassungsdienstes meint - auch eine Gemeinde mit weniger als 20.000 Einwohnern zu den durch §8 Abs1 BezBegrBVG verpflichteten Rechtsträgern gehört oder nicht - so die Antragsgegnerin und die Niederösterreichische Landesregierung -, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, da es an der weiteren Voraussetzung, nämlich der Notwendigkeit und Angemessenheit einer derartigen Regelung, mangelt:
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 28. November 2003, KR1/00, (unter Pkt. II.4.) mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass und warum es im Sinne der oben genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Mai 2003, Rs. C-465/00 ua., Rechnungshof gegen ORF ua., nicht notwendig ist, die Namen von Personen und ihre Bezüge zu veröffentlichen, um die ordnungsgemäße Verwendung öffentlicher Mittel sicherzustellen. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die Begründung dieser Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes verwiesen werden. In ihr hat der Verfassungsgerichtshof - zusammengefasst - die Auffassung vertreten, dass die differenziert ausgestalteten Berichtspflichten über die Ergebnisse der Gebarungsprüfung ausreichend sind, um eine ordnungsgemäße und effiziente Mittelverwendung sicherzustellen, und dass eine darüber hinausgehende namentliche Offenlegung der Bezüge für das vom Europäischen Gerichtshof anerkannte Ziel nicht notwendig und angemessen ist. Die unmittelbar anwendbaren (vgl. Pkt. 2 des - hier unter Pkt. I.5. wiedergegebenen - Spruches des Europäischen Gerichtshofes) Bestimmungen der Datenschutz-Richtlinie stehen daher der Anwendung jener Bestimmungen des §8 BezBegrBVG entgegen, die eine namentliche Offenlegung der Bezüge und der Beschaffung von Daten zu diesem Zweck ermöglichen. Diesen Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts hat auch der Verfassungsgerichtshof wahrzunehmen, weshalb das Begehren des Rechnungshofes, eine Einschau zum Zweck der namentlichen Einkommensberichterstattung gemäß §8 Abs1 bis 3 BezBegrBVG zu erreichen, mangels (anwendbarer) gesetzlicher Grundlage abzuweisen war.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Auslegung verfassungskonforme, Bezüge, Datenschutz, EU-Recht Richtlinie, EU-Recht Vorabentscheidung, Privat- und Familienleben, Rechnungshof, VfGH / Kosten, VfGH / RechnungshofzuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:KR3.2000Dokumentnummer
JFT_09959389_00KR0003_00