RS Vfgh 1987/10/3 V20/86, V21/86

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Veröffentlicht am 03.10.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
VersicherungsaufsichtsG §§8 f

Leitsatz

Individualantrag auf Aufhebung von Erlässen des BMF (als Versicherungsaufsichtsbehörde), insoweit mit diesen einige Bestimmungen der Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfall-Versicherung von Kfz und Anhängern genehmigt wurde; mangelnder Verordnungscharakter der Erlässe - diese sind ausschließlich für die Versicherungsunternehmen unmittelbar rechtsverbindlich

Rechtssatz

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist unter "Verordnung" - unabhängig von deren Bezeichnung - jede nicht in Gesetzesform ergehende, von einer Verwaltungsbehörde erlassene generelle Rechtsnorm zu verstehen. Als eine generelle Norm ist jede Anordnung anzusehen, die sich an die Allgemeinheit überhaupt oder an bestimmte Gruppen der Bevölkerung richtet, die nicht individuell, sondern nach Gattungsmerkmalen bezeichnet sind; der Akt muß sich an eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen richten und für diese unmittelbar rechtsverbindlich sein (VfSlg. 2465/1953, 3142/1957 ua.), dh. die Rechtslage der Betroffenen gestalten (vgl. zB VfSlg. 8648/1979).

Maßgebend für die Qualität als Verordnung ist nicht die äußere Bezeichnung und auch nicht die Art der Verlautbarung, sondern lediglich der Inhalt des Verwaltungsaktes. Unter diesen Voraussetzungen kann demnach auch ein Erlaß einer Verwaltungsbehörde als Verordnung der Prüfung nach Art139 B-VG unterliegen.

Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, über deren Inhalt §9 Abs1 des VAG nähere Bestimmungen enthält, sind die für alle gleichartigen Versicherungsverträge typisierten Vertragsbestimmungen, die vom Versicherer ausgearbeitet werden. Dies geschieht meist gemeinsam durch alle den Versicherungszweig führenden Versicherer innerhalb des Verbandes der Versicherungsunternehmungen Österreichs, doch kann jeder Versicherer unbeschadet der von anderen Versicherern verwendeten, auch nur für seinen Betrieb bestimmte allgemeine Versicherungsbedingungen ausarbeiten (Pollak, Das VersicherungsaufsichtsG 1979, 14).

Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind gemäß §8 Abs2 VAG Bestandteil des von den Versicherungsunternehmen gemäß §8 Abs1 leg.cit. zu erstellenden Geschäftsplans und bedürfen als solche nach eben dieser Bestimmung der Genehmigung durch die Versicherungsaufsichtsbehörde.

(Individual-)Antrag auf (teilweise) Aufhebung von Erlässen des BMfF, mit denen Allgemeine Versicherungsbedingungen gemäß §8 VersicherungsaufsichtsG genehmigt worden sind - zitierte Erlässe sind keine Verordnungen.

Die Antragstellerin erblickt in den angefochtenen Erlässen des BMfF, mit denen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen genehmigt wurden, Verordnungen. Die angefochtenen Erlässe richten sich jedoch weder an die Allgemeinheit überhaupt noch an bestimmte Gruppen der Bevölkerung, die nicht individuell, sondern nach Gattungsmerkmalen bezeichnet sind. Sie sind ausschließlich für die Versicherungsunternehmen unmittelbar rechtsverbindlich. Für einen über die betreffenden Versicherungsunternehmen hinausgehenden Adressatenkreis bieten weder der Inhalt, noch der Wortlaut, noch die äußere Bezeichnung der Erlässe hinreichende Anhaltspunkte. Insbesondere wird - entgegen der Auffassung der Antragstellerin und einer auch in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Laurer, Wirtschafts- und Steueraufsicht über Kredit- und Versicherungsunternehmungen, 1972, 393 ff) - die Rechtslage der Versicherten durch derartige Erlässe nicht unmittelbar gestaltet.

Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß sich die aufsichtsbehördlichen Genehmigung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen auf die Versicherungsnehmer de facto in aller Regel auswirken wird. Diese - allgemeinen Geschäftsbedingungen stets zukommende - Wirkung ist jedoch durch die (erst in der Zukunft zu schließenden) zivilrechtlichen Verträge mediatisiert, die insgesamt, also auch einschließlich der zugrundeliegenden allgemeinen Geschäftsbedingungen der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Auch diese Wirkung vermag daher - anders als in dem dem Erk. VfSlg. 1692/1948 zugrunde liegenden Fall einer unmittelbar aus dem verwaltungsbehördlichen Akt erfließenden Zahlungsverpflichtung der Versicherungsnehmer und anders als im Fall der Genehmigung der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (AKHB), für die §60 Abs2 KFG ausdrücklich eine Verordnung des BMF vorsieht - für sich den Verordnungscharakter der angefochtenen Erlässe nicht zu begründen (vgl. auch Pollak, aaO 15).

Zurückweisung des Antrages, die Erlässe des BMfF vom 23.12.1969, Z384.292-19/69, und vom 8.6.1972, Z380.704-19/72, insoweit als gesetzwidrig aufzuheben, als durch diese der Satz ". . ., höchstens jedoch den Preis, zu dem das Fahrzeug erworben wurde", in Art12/B Abs1 lita und b der Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfall-Versicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (AKIB) genehmigt wurde, gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG.

Entscheidungstexte

  • V 20,21/86
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 03.10.1987 V 20,21/86

Schlagworte

VfGH / Prüfungsgegenstand, Verordnung, Versicherungsrecht, Aufsicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:V20.1986

Dokumentnummer

JFR_10128997_86V00020_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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