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50 GewerberechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / SachentscheidungLeitsatz
Gut funktionierende Güterbeförderung liegt im öffentlichen Interesse; Konkurrenzschutz durch Bedarfsprüfung innerhalb des mit LKW betriebenen Gewerbes (Güternahverkehr) ein untaugliches Mittel zur Zielerreichung, auch unter dem Blickwinkel der Verkehrssicherheit jedenfalls unverhältnismäßig belastendes Mittel - Aufhebung einiger Worte in §5 Abs1 erster Satz und des §5 Abs2 GüterbeförderungsG wegen Verstoßes gegen die ErwerbsausübungsfreiheitRechtssatz
Die Bestimmungen über die Bedarfsprüfung in §5 Abs1 und Abs2 GBefG beschränken die Möglichkeit, ein bestimmtes Gewerbe anzutreten. Sie greifen daher in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit ein.
Der Verfassungsgerichtshof hat nicht zu beurteilen, ob die Verfolgung eines bestimmten Zieles etwa aus wirtschaftspolitischen oder sozialpolitischen Gründen zweckmäßig ist. Er kann dem Gesetzgeber nur entgegentreten, wenn dieser Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind (vgl. etwa VfSlg. 9911/1983).
Errichtet das Gesetz eine Schranke schon für den Antritt eines Gewerbes, die der Betroffene, der alle subjektiven Voraussetzungen erfüllt, aus eigener Kraft nicht überwinden kann - eine Schranke, wie sie etwa eine Bedarfsprüfung darstellt - so liegt grundsätzlich ein schwerer Eingriff in die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsausübungsfreiheit vor, der nur angemessen ist, wenn dafür besonders wichtige öffentliche Interessen sprechen und wenn keine Alternativen bestehen, um den erstrebten Zweck in einer gleich wirksamen, aber die Grundrechte weniger einschränkenden Weise zu erreichen.
Eine gut funktionierende Güterbeförderung liegt im öffentlichen Interesse. Zu klären ist, ob ein Konkurrenzschutz innerhalb des mit LKW betriebenen (der Bedarfsprüfung unterliegenden) Gewerbes geeignet und erforderlich ist, dieses Ziel zu erreichen.
Vorweg ist festzuhalten, daß die insgesamt zu befördernde Gütermenge durch eine Bedarfsprüfung nicht gesteuert werden kann. Es kann im wesentlichen nur darum gehen, ob ein Teil der Güterbeförderung von Fuhrgewerbe, das der Bedarfsprüfung unterliegt, auf die Bahn, vor allem aber auf den Werkverkehr überwechselt. In welch beschränkten Ausmaß hiebei auf den auf der Straße abgewickelten Güterverkehr Einfluß genommen werden kann, geht aus den von der Bundesregierung und von der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft mitgeteilten Informationen hervor, ...
Der schwerwiegende Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit durch die Bedarfsprüfung würde also - selbst wenn er zur Folge haben sollte, daß die absolute Zahl der dem gewerblichen Güterverkehr dienenden LKW eingeschränkt würde - nur relativ geringe Auswirkungen haben, die von vornherein kaum in einem angemessenen Verhältnis zur Intensität des Grundrechtseingriffes (wird doch bereits der Zugang zum Gewerbe beschränkt) stehen.
Bedarfsprüfung - Güterbeförderung; Keine spezifische Situation, die ausnahmsweise den Schutz der bestehenden Güterbeförderungsunternehmen vor neuen Konkurrenzunternehmen aus öffentlichen Interessen erfordern würde.
Die Freiheit der Erwerbsausübung, wie sie verfassungsgesetzlich verbürgt ist, hat grundsätzlich einen freien Wettbewerb und damit einen Konkurrenzkampf zur Folge; er ist vom Verfassungsgesetzgeber also mitgedacht und darf sohin von Gesetzes wegen nur aus besonderen Gründen, etwa weil überwiegende volkswirtschaftliche Erwägungen dafür sprechen, unterbunden werden. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die im Güterbeförderungsgewerbe erforderlichen Investitionen hoch sind. Das System des freien Wettbewerbes setzt aber voraus, daß schlechter wirtschaftende Betriebe zugunsten der besser wirtschaftenden weichen müssen. Im Güterbeförderungsgewerbe sind das einzusetzende Kapital und das vom Unternehmer zu tragende wirtschaftliche Risiko nicht höher als auf vielen anderen Sektoren. Wenngleich das Güterbeförderungsgewerbe zu den sogenannten volkswirtschaftlichen Schlüsselbranchen gezählt werden kann, deren Funktionieren für das gesamte volkswirtschaftliche System von existenzieller Bedeutung ist, ist ein besonderer Schutz nicht erforderlich. Die Vielzahl der Inhaber von Güterbeförderungskonzessionen läßt es als äußerst unwahrscheinlich erscheinen, der allfällige Zusammenbruch eines Unternehmens würde sich so schädlich auf die ganze übrige Wirtschaft auswirken, daß sich daraus eine bevorzugte rechtliche Stellung der bestehenden Inhaber von Güterbeförderungskonzessionen im Vergleich zu anderen Gewerbetreibenden rechtfertigen ließe. Die sicherlich kostspieligen Investitionen (insbesondere für die Anschaffung der LKW) wären hier - anders als möglicherweise bei Eisenbahnen iSd §1 EisenbahnG - bei einem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Unternehmens in der Regel volkswirtschaftlich nicht verloren, da die angeschafften Betriebsmittel von einem anderen Unternehmen gekauft und sinnvoll verwendet werden können.
Der Schutz der etablierten Güterbeförderungsunternehmen vor Konkurrenzunternehmen ist also nicht erforderlich, um ein bestmögliches Güterbeförderungssystem und einen volkswirtschaftlich gebotenen Gläubigerschutz zu gewährleisten.
Das Argument, daß die Bedarfsregelung im Interesse des Bestandes der Funktionsfähigkeit und der Wirtschaftlichkeit der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) unvermeidbar sei, trifft zu.
Auch der Annahme, daß die Funktionstüchtigkeit der ÖBB im Interesse des Umweltschutzes gewährleistet werden müsse, ist zu folgen. Der Gütertransport mit den ÖBB belastet die Umwelt in mehrfacher Hinsicht (so Luftbelastung durch Emmission von Schadstoffen, Lärmerregung, Gefährdung der körperlichen Sicherheit) wesentlich weniger als jener mit LKW.
Daher ist es ein durchaus sinnvolles Ziel, danach zu trachten, daß die ÖBB infolge der Konkurrenz durch andere Verkehrsträger (insbesondere LKW) nicht überhaupt wirtschaftlich erliegen oder in ihrer Funktionsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt werden oder aber zum Überleben hohe staatliche Subventionen erfordern (was zur Folge hätte, daß diese finanziellen Mittel dann für andere wichtige Gemeinschaftsaufgaben fehlen); ferner, daß Güter im weitestmöglichen Umfang nicht auf der Straße, sondern auf der Schiene befördert werden.
Im Güternahverkehr (die Nahverkehrszone hat dem §3 Abs3 GBefG zufolge einen Radius von 65 km) können nun die ÖBB kaum in Konkurrenz zu dem mit LKW besorgten Güterverkehr treten. Eine Beschränkung des Nahverkehrs mit LKW bringt also für die ÖBB keine Verbesserung ihrer Wettbewerbssituation; sie ist nicht dazu geeignet, die ÖBB wirtschaftlich abzusichern und die Güterbeförderung von der Straße auf die Schiene zu verlagern.
Die in Prüfung gezogenen Stellen des §5 GBefG erfassen sowohl den Güternahverkehr (§3 Abs2 Z1 und §3 Abs3 GBefG) als auch den Güterfernverkehr (§3 Abs2 Z2 und §3 Abs5 GBefG). Da die Bedarfsprüfung für den Güternahverkehr ein untaugliches Instrument zur Zielerreichung ist, sind die in Prüfung gezogenen, untrennbar zusammenhängenden Regelungen insgesamt als ungeeignetes Mittel zu qualifizieren.
Insbesondere vermöchten Aspekte der Verkehrssicherheit allein diese Regelung nicht zu begründen. Soweit durch die Bedarfsprüfung auf die Zahl der dem gewerblichen Güterverkehr dienenden LKW und ihre Verwendung überhaupt restringierend Einfluß genommen werden kann, könnte derselbe Effekt gleich gut oder besser durch andere - etwa straßenpolizeiliche oder kraftfahrrechtliche - Vorschriften auf eine in die Grundrechte weniger eingreifende Weise erzielt werden (vgl. VfGH 23.6.1986 G14/86). Die Bedarfsprüfung ist sohin auch unter dem Blickwinkel der Verkehrssicherheit ein, wenn nicht überhaupt untaugliches, so doch jedenfalls unverhältnismäßig belastendes Mittel zur Zielerreichung.
Die Wortfolge ", ein Bedarf nach der beabsichtigten Gewerbeausübung besteht" im §5 Abs1 erster Satz sowie der §5 Abs2 des GüterbeförderungsG, BGBl. 63/1952, idF der Novelle BGBl. 630/1982 werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Bedarfsprüfung bei der Verleihung von Güterbeförderungskonzessionen ist ein schwerer Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit und ein zur Durchsetzung öffentlicher Interessen zum Teil überhaupt ungeeignetes, zum Teil ein inadäquates Mittel. Die einzigen realisierbaren Effekte der Regelung liegen lediglich darin, daß die bestehenden Güterbeförderungsunternehmen vor Konkurrenz geschützt und daß Güterbeförderungskonzessionen (im Wege der bedingten Konzessionsrücklegungen) verkauft werden. Derartiges liegt aber nicht im öffentlichen Interesse (vgl. VfGH 23.6.1986 G14/86 ua. und 5.3.1987 G174/86).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Gewerberecht, Güterbeförderung, VfGH / Prüfungsmaßstab, Wirtschaftslenkung, Marktwirtschaft freie, Bundesbahnen, Umweltschutz, VfGH / TrennbarkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:G1.1987Dokumentnummer
JFR_10128994_87G00001_01