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10 VerfassungsrechtNorm
StGG Art8Leitsatz
Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; Verhaftung im Dienste der Strafjustiz; strenger Maßstab für Prüfung der Gefahr im Verzug iSd §177 Abs1 Z2 StPO; Einholung eines richterlichen Haftbefehls wegen Gefahr im Verzug ist im allgemeinen dann nicht untunlich, wenn mit dem Untersuchungsrichter unverzüglich eine fernmündliche Verbindung hergestellt werden kann; Verhaftung und nachfolgende Anhaltung bis zur Einlieferung ins landesgerichtliche Gefangenenhaus (einschließliich einer von der Verwaltungsbehörde zu vertretenen Verzögerung bei der Überstellung) nicht in §177 Abs1 Z2 und §177 Abs2 StPO gedeckt. Kostenzuspruch an die Bf. (Replik der Bf. kein abverlangter Schriftsatz; Gegenäußerung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht geboten)Rechtssatz
Das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit, RGBl. 1862/87, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 1867/142, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als VerfassungsG gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Gesetzliche Bestimmungen iSd §4 leg.cit. sind ua. die §§175 bis 177 StPO.
Gemäß §177 Abs1 (§10 Z1) StPO darf die vorläufige Verwahrung einer Person, die eines Verbrechens oder eines - nicht den Bezirksgerichten zur Aburteilung zugewiesenen - Vergehens verdächtig ist, in dem hier allein in Betracht kommenden Fall der Haftgründe nach §175 Abs1 Z2 und 3 StPO (s. §177 Abs1 Z2 StPO) zum Zwecke der Vorführung vor den Untersuchungsrichter ausnahmsweise auch durch Organe der Sicherheitsbehörden ohne schriftliche Anordnung vorgenommen werden, wenn die Einholung eines richterlichen Befehles wegen Gefahr im Verzuge nicht tunlich ist.
Untunlich - wegen Gefahr im Verzug - ist die Einholung eines richterlichen Befehls im allgemeinen dann nicht, wenn mit dem Untersuchungsrichter des zuständigen Gerichts während der Dienst- und Journaldienststunden unverzüglich eine fernmündliche Verbindung hergestellt werden kann (VfSlg. 4450/1963, 4624/1963, 9934/1984).
Verletzung der persönlichen Freiheit durch gesetzwidrige Festnahme und anschließende Verwahrung.
Diese Möglichkeit war hier gegeben: Die polizeilichen Vorerhebungen hatten bereits etwa zwei Tage gewährt. Die gegen die Beschwerdeführerin sprechenden Verdachtsmomente hatten sich zwar im Laufe dieser Ermittlungen verdichtet; es trat aber keine Situation ein, die es erfordert hätte, gegen die Beschwerdeführerin gleichsam von einer Minute auf die andere eine Untersuchungshandlung zu setzen und sie in Haft zu nehmen.
Auszugehen ist davon, daß dem §176 Abs1 StPO zufolge für die Zulässigkeit einer Verhaftung der schriftliche richterliche Haftbefehl die Regel ist. Es wäre den Polizeibeamten, nachdem sich der Verdacht gegen die Beschwerdeführerin und deren Mutter verdichtet hatte, möglich gewesen, ohne den Erfolg der Amtshandlung zu gefährden, sich ins Landesgericht Innsbruck zu begeben. In diesem Fall hätten sie von der bloß vorübergehenden Abwesenheit des Journalrichters Kenntnis erlangt; sie hätten dann mit ihm allenfalls über Funk in Verbindung treten können, auch wenn sie der Journalrichter möglicherweise an den nach der Geschäftseinteilung zuständigen Untersuchungsrichter - sofern dieser erreichbar gewesen wäre - verwiesen hätte.
Unterlassung der Einholung des richterlichen Haftbefehls; Keine Untunlichkeit der telefonischen Herstellung des Einvernehmens mit dem zuständigen Richter.
Die von der Beschwerdeführerin für die Erstattung der Replik begehrten Kosten waren nicht zuzusprechen, da es sich um keinen abverlangten Schriftsatz handelt und die Erstattung der Gegenäußerung, die bloß Rechtsausführungen enthält, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht geboten war.
Schlagworte
VfGH / KostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B1094.1986Dokumentnummer
JFR_10128992_86B01094_01