TE Vfgh Erkenntnis 2004/6/12 B190/02

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Veröffentlicht am 12.06.2004
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
BundesvergabeG 1997 §53a, §109, §113, §115

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung eines Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit einer innerhalb der gesetzlichen Sperrfrist erfolgten Zuschlagserteilung; Ablehnung der Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes in völliger Verkennung der Rechtslage ohne weiteres Ermittlungsverfahren; Verlängerung der Stillhaltefrist durch verspätete Auskunft über die geplante Zuschlagserteilung; keine Vorlagepflicht mangels Vorliegen einer gemeinschaftsrechtswidrigen Rechtslage

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz und ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist verpflichtet, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bundesrechenzentrum GmbH (im Folgenden auch als Auftraggeberin bezeichnet) hat ein Verfahren zur Vergabe näher bezeichneter Telekommunikationsdienste für die Errichtung des sog. Corporate Network Austria (CNA) in Form eines beschleunigten Verhandlungsverfahrens gemäß §69 Bundesvergabegesetz 1997 (BVergG) durchgeführt. Der Auftrag sollte in drei Losen vergeben werden. Die beschwerdeführende Gesellschaft hat sich durch Legung von Angeboten um jedes der Lose beworben. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2001 gab die Auftraggeberin der beschwerdeführenden Gesellschaft ihre Absicht bekannt, den Zuschlag betreffend "Los 2" an eine Mitbieterin zu erteilen. Dem schriftlichen Ersuchen der beschwerdeführenden Gesellschaft vom 7. Dezember 2001 um Bekanntgabe der Vergabesumme, der Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebots sowie der Gründe für die Nichtberücksichtigung ihres Angebots kam die Auftraggeberin am 12. Dezember 2001 nach: Darin gab sie im Wesentlichen bekannt, dass das erfolgreiche Angebot zwar in preislicher Hinsicht das zuletzt gelegte Angebot der beschwerdeführenden Gesellschaft überstieg, es die beschwerdeführende Gesellschaft aber verabsäumt habe, ihren (letzten) Angebotspreis plausibel zu begründen.

Am 14. Dezember 2001 beantragte die beschwerdeführende Gesellschaft bei der Bundes-Vergabekontrollkommission (B-VKK) die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens gemäß §109 Abs1 Z1 BVergG. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2001 teilte die B-VKK mit, dass ein solches mangels Aussicht auf Erfolg nicht durchgeführt werde: Die Auftraggeberin habe in ihrer Stellungnahme vom 19. Dezember 2001 zum Ausdruck gebracht, dass sie sich auf ein Schlichtungsverfahren nicht einlassen werde. Durch diese Stellungnahme erlangte die beschwerdeführende Gesellschaft Kenntnis davon, dass die Auftraggeberin bereits am 13. Dezember 2001 den Zuschlag an die in Aussicht genommene Mitbieterin erteilt habe.

Die beschwerdeführende Gesellschaft beantragte hierauf am 24. Dezember 2001 beim Bundesvergabeamt (BVA) die Feststellung, "dass die durch die Auftraggeberin am 13.12.2001 erfolgte Erteilung des Zuschlages ... nichtig ist", und begehrte, die Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin vom 4. Dezember 2001 für nichtig zu erklären bzw. festzustellen, dass die Zuschlagserteilung "nicht rechtmäßig erfolgt" sei, "weil die Auftraggeberin das Angebot der Antragstellerin mit Stand 16.10.2001 berücksichtigen müssen und daher bei ordnungsgemäßer Anwendung der Zuschlagskriterien zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass der Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin zu erteilen gewesen wäre", sowie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

2. Mit Bescheid vom 2. Jänner 2002 wurde mit Spruchpunkt I. der Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Feststellung der Nichtigkeit der Zuschlagserteilung zurückgewiesen und dies wie folgt begründet:

"Die Nichtigkeit der Zuschlagserteilung wird durch §53a Abs2 BVergG im Fall der Durchführung eines beschleunigten Verfahrens lediglich für den Fall bestimmt, dass der Zuschlag innerhalb der Stillhaltefrist von einer Woche erteilt wird. Im Gegensatz dazu ist die Verletzung der aus §53a Abs3 und 4 BVergG folgenden Verpflichtung des Auftraggebers, einem nicht erfolgreichen Bieter Auskünfte zu erteilen, nicht mit der Nichtigkeitssanktion bedroht. Eine analoge Heranziehung derselben kommt nicht in Betracht, da keine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, wird doch bei der Fristenregelung in Abs3 leg.cit. ausdrücklich auf das beschleunigte Verfahren wegen Dringlichkeit gemäß §69 BVergG Bezug genommen.

Dem Vorbringen der Antragstellerin, ohne Kenntnis der Begründung der Zuschlagsentscheidung sei ein Bieter nicht in der Lage, diese vor einer Vergabeprüfstelle wirksam zu bekämpfen, ist folgendes entgegenzuhalten: Aus der maximal fünftägigen Entscheidungsfrist des Bundesvergabeamtes bei Anträgen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß §118 Abs1 BVergG folgt, dass im Fall eines beschleunigten Verfahrens wegen Dringlichkeit gemäß §69 BVergG die Erlassung einer solchen einstweiligen Verfügung jedenfalls erst nach Ablauf der einwöchigen Stillhaltefrist gemäß §53a Abs2 BVergG erfolgen kann, falls mit der Antragstellung zugewartet wird, bis der Auftraggeber - rechtmäßiger Weise - drei Tage vor Ablauf der Stillhaltefrist dem Auskunftsersuchen eines Bieters nachkommt. Will der Bieter sicher gehen, dass über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung vor Erteilung des Zuschlages abgesprochen wird, muss er auch bei rechtskonformem Verhalten des Auftraggebers im Sinn des §53a Abs3 und 4 BVergG den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung möglicherweise vor Beantwortung des Auskunftsersuchens stellen. Eine allfällige Verletzung der Auskunftspflicht des Auftraggebers im Sinn des §53a Abs4 BVergG ist somit im Fall eines beschleunigten Verfahrens wegen Dringlichkeit gemäß §69 BVergG für die Wirksamkeit der Zuschlagserteilung unbeachtlich.

In gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht ist dieses Ergebnis schon deshalb unbedenklich, da es der Bieter in der Hand hat, durch die Stellung eines formlosen Schlichtungsersuchens gemäß §109 Abs1 Z1 BVergG an die Bundes-Vergabekontrollkommission die Erteilung des Zuschlages hintanzuhalten, wobei detaillierte Ausführungen zur Rechtswidrigkeit nicht erforderlich sind.

Der am 13. Dezember 2001 erteilte Zuschlag ist somit rechtswirksam erfolgt. Da das Bundesvergabeamt gemäß §113 Abs2 Z1 BVergG lediglich bis zur Zuschlagserteilung zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen des Auftraggebers zuständig ist, liegt für den unter Spruchpunkt I. zitierten Antrag keine Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes vor."

Nach Zuschlagserteilung sei es - so das BVA weiter - lediglich zuständig festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen das BVergG oder die hiezu ergangenen Verordnungen der "Zuschlag nicht dem Bestbieter" erteilt worden sei, weshalb auch die übrigen Anträge (mit den Spruchpunkten II. und III. des Bescheides) zurückgewiesen wurden.

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaft in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen. Die dem Verfahren als mitbeteiligte Partei beigezogene Zuschlagsempfängerin hat eine Äußerung erstattet, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat die Parteien des Verfahrens eingeladen darzulegen, welche Wirkung eine allfällige den angefochtenen Bescheid aufhebende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes entfalten würde.

a) Die Auftraggeberin und der Zuschlagsempfänger vertreten in ihrer Äußerung die Ansicht, dass eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides am "rechtswirksamen" Zuschlag und dem geschlossenen Vertrag nichts ändern würde.

Das BVA verweist in seiner Stellungnahme darauf, dass der Zuschlag "entsprechend den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes ... rechtswirksam erteilt worden" und "ein Eingriff in das verfahrensgegenständliche Vergabeverfahren nicht mehr möglich" sei.

Weiters führt es aus:

"Würde die rechtliche Existenz des Bescheides weggedacht, etwa aufgrund einer allfälligen Aufhebung des angefochtenen Zurückweisungsbescheides, wäre damit weder eine für die Beschwerdeführerin positive Entscheidung verbunden noch würde dies zu einer für die Beschwerdeführerin günstigeren Rechtsposition führen. Ein über gesonderten Antrag des Bieters fortgesetztes Verfahren vor dem Bundesvergabeamt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Vorgangsweise des Auftraggebers muss gemäß §115 Abs4 BVergG 1997 spätestens 6 Wochen ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Zuschlags gestellt werden und ist bereits präkludiert. Da eine Schadensabwendung nur während eines noch laufenden Vergabeverfahrens möglich ist und gegenständliches Vergabeverfahren wie bereits ausgeführt, durch Zuschlagserteilung beendet ist, entfaltet der Bescheid des Bundesvergabeamts, mit denen die geltend gemachten Anträge wegen Unzuständigkeit des Bundesvergabeamtes zurückgewiesen wurden, auch keine für den Beschwerdeführer nachteiligen Rechtswirkungen, deren Eintritt aufgeschoben werden könnte."

Die beschwerdeführende Gesellschaft vertritt in ihrer Äußerung demgegenüber die Ansicht, dass das BVA nach einer allfälligen Aufhebung des Bescheides das Verfahren gemäß §175 Abs2 BVergG 2002 als Feststellungsverfahren fortzusetzen hätte; mit einem positiven Feststellungsbescheid wäre die Grundlage für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen der beschwerdeführenden Gesellschaft gelegt.

b) Zu der angesichts des Zeitablaufs naheliegenden Frage, wie sich die Rechtslage im Falle eines aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes unter der Annahme der Nichtigkeit der Zuschlagserteilung, die den Gegenstand des Spruchpunktes I. des Bescheides bildet, im Hinblick auf den darauf fußenden Vertragsabschluss einschließlich einer allfälligen Abwicklung des Vertrages darstellen würde, hat keine der Parteien Stellung bezogen.

II. Die - zulässige - Beschwerde ist begründet:

1. §53a BVergG idF BGBl. I 125/2000 hat folgenden Wortlaut:

"§53a (1) Der Auftraggeber hat den im Vergabeverfahren verbliebenen Bietern unverzüglich schriftlich oder durch Telefax und nachweislich mitzuteilen, welchem Bieter der Zuschlag erteilt werden soll. In dieser Mitteilung können, unter Bedachtnahme auf Abs4, den nicht erfolgreichen Bietern bereits die Gründe für die Ablehnung ihres Angebotes genannt werden.

(2) Der Zuschlag darf bei sonstiger Nichtigkeit nicht innerhalb einer Stillhaltefrist von zwei Wochen ab Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung gemäß Abs1 erteilt werden, es sei denn, es wurde ein beschleunigtes Verfahren wegen Dringlichkeit gemäß §69 oder ein Verhandlungsverfahren gemäß §74 Abs3 Z3 bis 5, §76 Abs3 Z2 bis 5 oder §81 Abs3 Z2 bis 5 durchgeführt. Im Falle der Durchführung eines beschleunigten Verfahrens wegen Dringlichkeit verkürzt sich die Stillhaltefrist auf eine Woche.

(3) Nicht erfolgreiche Bieter können innerhalb einer Frist von einer Woche, im Falle der Durchführung eines beschleunigten Verfahrens wegen Dringlichkeit gemäß §69 innerhalb einer Frist von drei Tagen, nach Zustellung der Zuschlagsentscheidung schriftlich die Bekanntgabe der Gründe für die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes sowie der Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebots beantragen.

(4) Der Auftraggeber hat unverzüglich nach Eingang des Antrages - sofern der Antrag rechtzeitig gestellt wurde -, jedenfalls aber drei Tage vor Ablauf der Stillhaltefrist, dem nicht erfolgreichen Bieter den Namen des erfolgreichen Bieters samt Vergabesumme bekannt zu geben. Dem nicht erfolgreichen Bieter sind auch die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebotes bekannt zu geben, sofern nicht die Bekanntgabe dieser Information öffentlichen Interessen oder den berechtigten Geschäftsinteressen von Unternehmen widersprechen oder dem freien und lauteren Wettbewerb schaden würde.

(5) Ist ein nicht erfolgreicher Bieter der Ansicht, dass die vom Auftraggeber getroffene Zuschlagsentscheidung gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes verstößt und ihm deshalb ein Schaden zu entstehen droht, so hat er den Auftraggeber unverzüglich unter Angaben von Gründen von der beabsichtigten Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens nachweislich zu verständigen."

2. Vorweg ist darauf zu verweisen, dass zwar §53a BVergG eine Entscheidung des BVA für den Fall der Missachtung der Sperrfrist nicht ausdrücklich vorsieht, für den Parallelfall eines innerhalb der Sperrfrist des §109 Abs8 BVergG erfolgten Zuschlags der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 16.221/2001 aber keine Bedenken dagegen hegte, dass das BVA über einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit meritorisch entschieden hat, auch soweit dafür keine explizite gesetzliche Grundlage besteht. Einer inhaltlichen Erledigung des mit Spruchpunkt I. zurückgewiesenen Antrags stünde das BVergG also insoweit nicht entgegen.

3. Die beschwerdeführende Gesellschaft erachtet sich - auf das Wesentliche zusammengefasst - in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf Gleichheit vor dem Gesetz dadurch verletzt, dass das BVA zu Unrecht eine Sachentscheidung über ihre Anträge verweigert und der Bestimmung des §53a BVergG einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt habe: Der Zweck jener Bestimmung sei darin zu sehen, dass nicht zum Zuge gekommene Bieter in Kenntnis jener Information gelangen würden, die notwendig sei, um zu beurteilen, ob der Auftraggeber seine Zuschlagsentscheidung rechtens getroffen habe. Die Bestimmung des §53a Abs4 BVergG sei deshalb dahin zu verstehen, dass der Auftraggeber die dafür notwendigen Angaben jedenfalls drei Tage vor Ablauf der Stillhaltefrist bekannt zu geben habe. Die in §53a Abs2 BVergG vorgesehene Nichtigkeit eines vor Ablauf der Stillhaltefrist erfolgten Zuschlags müsse deshalb auch dann eintreten, wenn der Auftraggeber jene Auskunft entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung verspätet übermittle und einem Bieter damit die Möglichkeit nehme, die Zuschlagsentscheidung innerhalb der in Abs2 festgelegten Sperrfrist zu bekämpfen. Sollte sich §53a Abs4 BVergG einer solchen verfassungskonformen Interpretation als nicht zugänglich erweisen, wäre die Bestimmung verfassungswidrig.

Da das Gemeinschaftsrecht eine effektive Nachprüfbarkeit der Zuschlagsentscheidung verlange, hätte das BVA zumindest Zweifel ob der Gemeinschaftsrechtskonformität seiner Auslegung hegen und ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH richten müssen. Ein Verstoß gegen die Pflicht des als Gericht iS des Art234 Abs3 EG organisierten BVA zur Vorlage entscheidungserheblicher Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts verletze die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

4. Die mitbeteiligte Partei verweist in ihrer Äußerung darauf, dass der Wortlaut des §53a Abs2 und 4 BVergG die Nichtigkeitssanktion ausschließlich für den Fall vorsehe, dass ein Zuschlag innerhalb der Stillhaltefrist erteilt werde. Eine Erstreckung der in Abs2 bezeichneten Stillhaltefrist für den Fall einer verspäteten Bekanntgabe durch den Auftraggeber sei nicht vorgesehen. Die Notwendigkeit dafür ergebe sich auch nicht aus dem Gemeinschaftsrecht. Auch "in vergleichbaren Fällen" - etwa dann, wenn der Auftraggeber seiner aus §53a BVergG erfließenden Auskunftspflicht "nur formal, inhaltlich aber unzureichend nachkomme" - sei eine Nichtigkeitssanktion nicht vorgesehen. Im Fall einer rechtswidrigen Zuschlagserteilung würden einem übergangenen Bieter zudem ohnehin Schadenersatzansprüche gegen den Auftraggeber zustehen, die die von der beschwerdeführenden Gesellschaft vermutete Unsachlichkeit jedenfalls "aufwiegen" würden.

5. Im Ergebnis ist die beschwerdeführende Gesellschaft aber im Recht:

a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat. Ein solch willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem auch dann vorgeworfen werden, wenn der angefochtene Bescheid wegen besonderen Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.337/1985, 11.436/1987), insbesondere aber auch dann, wenn die belangte Behörde von einer grundlegend verfehlten Rechtsauffassung ausgehend relevante Sachverhaltsfeststellungen zu treffen unterlassen hat (vgl. zum Vergaberecht etwa VfSlg. 16.211/2001).

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde unter anderem dann verletzt, wenn die Behörde zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert hat.

b) Die mit Spruchpunkt I. erfolgte Zurückweisung des Antrags auf Feststellung, dass der Zuschlag innerhalb der in §53a Abs2 BVergG normierten Sperrfrist erteilt und damit nichtig sei, hat das BVA damit begründet, dass die "Verletzung der Auskunftspflicht des Auftraggebers" für die Dauer der Sperrfrist und folglich für die Wirksamkeit der Zuschlagserteilung unbeachtlich sei. Unter Zugrundelegung eines solchen Verständnisses vertritt das BVA die Ansicht, der erteilte Zuschlag wäre rechtswirksam erfolgt.

Sie verkennt damit Sinn und Zweck der Bestimmung grundlegend:

Das BVergG enthielt vor der Schaffung des §53a BVergG durch die Novelle BGBl. I 125/2000 keine Regelung, die es den übergangenen Bietern ermöglichte, von der Zuschlagsentscheidung so rechtzeitig Kenntnis zu erlangen, dass sie diese vor Zuschlagserteilung beim BVA anfechten konnten: Im Unterschied zu anderen Entscheidungen des Auftraggebers in einem Vergabeverfahren war eine ausdrückliche Pflicht zur Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung nicht vorgesehen. Die Zuschlagsentscheidung trat deshalb als bloß auftraggeberintern getroffene Entscheidung erst mit der Zuschlagserteilung an den erfolgreichen Bieter nach außen in Erscheinung. Da mit der Erteilung des Zuschlags regelmäßig das Vertragsverhältnis begründet wurde (vgl. §54 Abs1 BVergG), nach diesem Zeitpunkt aber gemäß §113 Abs2 BVergG eine Aufhebung von Auftraggeberentscheidungen ausgeschlossen war, blieb die Zuschlagsentscheidung faktisch unanfechtbar. Die übergangenen Bieter waren auf die Geltendmachung allfälliger Schadenersatzansprüche beschränkt. (Zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit dieser Rechtslage und dem daraus resultierenden Novellierungsbedarf vgl. das Urteil des EuGH vom 28. Oktober 1999, Rs. C-81/98, Alcatel Austria AG, Slg. 1999, I-07671.)

Mit §53a Abs1 BVergG wurde der Auftraggeber verpflichtet, die Zuschlagsentscheidung den Bietern gesondert bekannt zu geben und sie von der Zuschlagserteilung zu trennen: Bei sonstiger Nichtigkeit ist es dem Auftraggeber binnen einer "Stillhaltefrist" (im vorliegenden Fall des beschleunigten Verfahrens: eine Woche) nach Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung untersagt, den Zuschlag zu erteilen. Der Zweck der Bestimmung liegt ganz offenkundig darin, dass dem Bieter die Möglichkeit eröffnet sein soll, die Zuschlagsentscheidung rechtzeitig, also vor Zuschlagserteilung, einer \berprüfung und allfälligen Nichtigerklärung durch das BVA zuzuführen. Um beurteilen zu können, ob der Auftraggeber die Zuschlagsentscheidung rechtens getroffen hat und ihre Bekämpfung aussichtsreich erscheint, kann ein übergangener Bieter auf entsprechende Auskunft durch den Auftraggeber angewiesen sein: Dem am beschleunigten Verfahren interessierten Auftraggeber steht es frei, die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebots sowie die Gründe für die Nichtberücksichtigung der nicht erfolgreichen Angebote sogleich mit der Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung zu benennen (vgl. §53a Abs1 BVergG). Er hat eine entsprechende Auskunft aber spätestens dann zu erteilen, wenn ein nicht erfolgreicher Bieter innerhalb einer Frist von (im Fall des beschleunigten Verfahrens) drei Tagen nach Zustellung der Zuschlagsentscheidung schriftlich eine solche begehrt (§53a Abs3 BVergG). Für diesen Fall ordnet der Gesetzestext unmissverständlich an, dass die Auskunftserteilung "unverzüglich", "jedenfalls aber drei Tage vor Ablauf der Stillhaltefrist" zu erfolgen hat (§53a Abs4 BVergG). Diese Anordnungen können innerhalb der siebentägigen Frist befolgt werden, an der dem Auftraggeber im beschleunigten Verfahren selbst gelegen ist. (Am Beispiel des vorliegenden Falles: Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung am 4. Dezember, Auskunftsersuchen am 7. Dezember, Auskunft am 8. Dezember möglich, Fristablauf am 11. Dezember.)

Der Verfassungsgerichtshof erachtet deshalb vor dem Hintergrund der in diesem Punkt (nach dem oben genannten Urteil des EuGH) klaren Gemeinschaftsrechtslage eine Auslegung des §53a BVergG als zwingend, wonach dem Bieter nach Auskunftserteilung (über rechtzeitiges Begehren) jedenfalls noch drei Tage Stillhaltefrist offen stehen müssen. Eine verspätete Auskunftserteilung durch den Auftraggeber (hier: am 12. Dezember) muss also zu einer entsprechenden Verlängerung der Stillhaltefrist (hier: bis 15. Dezember) führen. Ein Verständnis, wonach eine Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Erteilung der Auskunft für die Wirksamkeit der Zuschlagserteilung "unbeachtlich" sein soll, verkennt den offenkundigen Sinn und Zweck der Bestimmung, weil es diesfalls der Auftraggeber (als Antragsgegner des Verfahrens) in der Hand hätte, ein Nachprüfungsverfahren zu vereiteln oder ins Leere laufen zu lassen.

Wenn das BVA im angefochtenen Bescheid die Ansicht vertritt, dass ein Bieter schon wegen der fünftägigen Entscheidungsfrist des BVA "möglicherweise vor Beantwortung des Auskunftsersuchens" den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung stellen müsse, vernachlässigt es nicht nur, dass diese Frist (§118 Abs1 BVergG: "unverzüglich, längstens jedoch binnen fünf Tagen") nur die äußerste Möglichkeit darstellt, sondern vor allem auch, dass dem Nachprüfungsregime des BVergG ein von konkreten Vorwürfen losgelöster Provisorialrechtsschutz fremd ist: Ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung kann nur in Zusammenhalt mit einem entsprechenden Nachprüfungsantrag gestellt werden (§116 Abs1 BVergG, arg. "Sobald das Nachprüfungsverfahren eingeleitet ist ..."); ein Nachprüfungsantrag aber hat gemäß §115 Abs5 Z5 BVergG die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, zu bezeichnen. Wie schon dargelegt, ist dies ohne Bekanntgabe der (vermeintlichen) Vorzüge des erfolgreichen Angebots aber oft nicht möglich.

An der gebotenen Interpretation des §53a BVergG kann aber auch der Hinweis des BVA nichts ändern, dass es der Bieter "in der Hand" hätte, durch die "Stellung eines formlosen Schlichtungsersuchens gemäß §109 Abs1 Z1 BVergG an die Bundes-Vergabekontrollkommission die Erteilung des Zuschlags hintanzuhalten". Denn das Schlichtungsverfahren hat eine andere Aufgabe als die Ermöglichung eines Nachprüfungsverfahrens und der Auftraggeber könnte bei Verletzung seiner Auskunftspflicht auch die in §109 Abs8 BVergG vorgesehene Stillhaltefrist ins Leere laufen lassen. §115 Abs2 Z1 BVergG verlangt den Versuch eines Schlichtungsverfahrens nur vor Angebotsöffnung, nicht aber nach bereits erfolgter Mitteilung der Zuschlagsentscheidung.

Indem das BVA von seiner verfehlten Rechtsansicht ausgehend in dem für die Beurteilung der Anträge wesentlichen Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und eine Sachentscheidung verweigert hat, sind Spruchpunkt I., aber auch die mit ihm sachlich zusammenhängenden Spruchpunkte II. und III. mit Gleichheitswidrigkeit belastet und verletzen die beschwerdeführende Gesellschaft im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Im fortgesetzten Verwaltungsverfahren wird die Behörde unter Bindung an die dargelegte Rechtsanschauung die Anträge neuerlich zu beurteilen und eine dem Verfahrensstand (einschließlich dem Stand des Vergabeverfahrens) entsprechende Entscheidung zu fällen haben (vgl. dazu §§113 Abs3 iVm 117 Abs3 BVergG).

c) Da das Gesetz den von der belangten Behörde unterstellten und von der beschwerdeführenden Gesellschaft als gemeinschaftsrechtswidrig erachteten Inhalt nicht hat, war auf die Behauptung der beschwerdeführenden Gesellschaft, auch in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wegen Unterlassens der Einholung einer Vorabentscheidung verletzt zu sein, nicht mehr einzugehen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist USt in der Höhe von € 327,-- und eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, EU-Recht, Vorabentscheidung, Rechtsschutz, Vergabewesen, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B190.2002

Dokumentnummer

JFT_09959388_02B00190_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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