RS Vfgh 1987/10/14 B414/87

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 14.10.1987
beobachten
merken

Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung 1973

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art10 Abs1 Z12
B-VG Art10 Abs1 Z8
B-VG Art15 Abs1
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
GewO 1973 §§237 ff
MRK Art9
GewO 1859 §15 Abs1 Z23 idF RGBl 26/1907
GewO 1973 §25 Abs4
GewO 1973 §238 Abs1 Z2

Leitsatz

Versagung einer Konzession für das Bestattungsgewerbe; eine gesetzliche Regelung, die die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkt, ist nur zulässig, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, geeignet, zur Zielerreichung adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen ist; Bedarfsprüfung beim Bestattergewerbe zulässig, um zu gewährleisten, daß die unverzichtbaren Leistungen in angemessener Weise erbracht werden; kein Widerspruch der §§237 ff. GewO zur Erwerbsausübungsfreiheit; kein Eingriff dieser Regelung in das Recht auf Religionsfreiheit; nach der Auslegungsmethode der Versteinerungstheorie keine kompetenzrechtlichen Bedenken gegen §§237 ff.; hier keine Willkür, auch nicht dadurch, daß sich die Behörde mit der Frage einer Änderung der Bedarfssituation in Zukunft nicht weiter auseinandergesetzt hat

Rechtssatz

Kein Verstoß des §238 Abs1 Z2 GewO 1973 gegen die Erwerbsausübungsfreiheit; Bedarfsprüfung ist bei Leichenbestattung ein geeignetes, adäquates und auch sonst sachlich gerechtfertigtes Mittel, um zu gewährleisten, daß die unverzichtbaren Leistungen in angemessener Weise erbracht werden.

Die Ordnung der Leichenbestattung auf eine den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechende Weise liegt aus mehreren Gründen in besonderem Maß im öffentlichen Interesse. Sie muß unter allen Umständen gewährleistet sein. Würden die Leistungen nicht von privaten Unternehmern erbracht, so müßte die öffentliche Hand (so etwa die Gemeinde) dafür vorsorgen (vgl. §238 Abs2 GewO 1973; §14 Abs4 und §18 des Krnt. LeichenbestattungsG, LGBl. 1971/61). Es liegt auch im öffentlichen Interesse, Werbe- und sonstige Konkurrenzstrategien auf diesem Gebiet auszuschalten. So ist es unerwünscht, daß in der Zeit zwischen Ableben und Begräbnis sich die Angehörigen des Verstorbenen, die in der Regel in einer sie psychisch stark belastenden Ausnahmesituation sind, durch die Bestattungsunternehmen belästigt oder bedrängt fühlen. Die im §240 GewO 1973 vorgesehenen Verbote können nicht das ganze Spektrum denkbarer Werbemöglichkeiten erfassen.

Die beim Bestattergewerbe vorgesehene Bedarfsprüfung bewirkt vielfach eine Monopolstellung des Unternehmens für ein bestimmtes Gebiet. Dies steht aus den erwähnten Gründen in einer sachlichen Beziehung zu den angestrebten Zielen. Die GewO 1973 sieht, um einen Mißbrauch dieser Stellung zu verhindern, in §239 zwingend vor, daß der Landeshauptmann Höchsttarife zu erlassen hat. Der Verfassungsgerichtshof hat bei Erörterung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes davon auszugehen, daß die Tarife verfassungs- und gesetzmäßig festgelegt werden.

Kein Eingriff der Regelungen des Bestattergewerbes (§§237 ff GewO 1973) in die Religionsfreiheit.

Keine kompetenzrechtlichen Bedenken gegen §§237 ff GewO 1973 (Bestattergewerbe).

Gemäß Art10 Abs1 Z8 B-VG fallen ua. die "Angelegenheiten des Gewerbes" in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, während dem Art10 Abs1 Z12 iVm Art15 Abs1 B-VG zufolge das "Leichen- und Bestattungswesen" vom Landesgesetzgeber zu regeln ist.

Nach der vom Verfassungsgerichtshof entwickelten "Versteinerungstheorie" müssen die in den Kompetenzartikeln verwendeten Ausdrücke, sofern sich aus dem B-VG nichts anderes ergibt, in der Bedeutung verstanden werden, die ihnen im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kompetenzartikel (1.10.1925) nach dem Stand der Rechtsordnung zugekommen ist. Unter den Kompetenztatbestand "Angelegenheiten des Gewerbes" fallen sohin alle Vorschriften, die nach dem Stand und der Systematik der einfachgesetzlichen Regelung am 1.10.1925 als gewerberechtliche Vorschriften anzusehen sind (vgl. zB VfSlg. 2500/1953, 2670/1954, 4227/1962, 5024/1965).

Nun war das Bestattergewerbe zum erwähnten Zeitpunkt Gegenstand einer gewerberechtlichen Regelung. Es war durch §15 Abs1 Z23 der damals geltenden Gewerbeordnung 1859 idF der Novelle RGBl. 1907/26 als konzessioniertes Gewerbe erklärt.

Verweigerung einer Konzession für das Bestattergewerbe; Beschwerdevorwurf willkürlichen Vorgehens, da die Behörde entgegen dem §25 Abs4 GewO 1973 nur den gegenwärtigen, nicht aber auch den zu erwartenden Bedarf geprüft habe.

Im vorliegenden Fall lag die Annahme, daß sich die Bedarfssituation in absehbarer Zeit ändern würde, nicht nahe. Wenn sich die Behörde mit dieser Frage nicht weiter auseinandergesetzt hat, liegt darin jedenfalls kein derart gravierender Fehler, daß von Willkür die Rede sein könnte.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Leichen- und Bestattungswesen, Religionsfreiheit, Kompetenz Bund - Länder, Auslegung Verfassungs-, Gewerberecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B414.1987

Dokumentnummer

JFR_10128986_87B00414_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten