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L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art10 Abs1 Z6Leitsatz
Zurückweisung einer Berufung durch die Landesregierung gegen einen Vorstellungsbescheid (betr. Baubewilligung), da die BH schon im Namen der Landesregierung entschieden hat; Wirksamkeit der Nov. LGBl. 35/1985 für das aufsichtsbehördliche Verfahren; keine Gesetzesbestimmung nimmt den außerhalb des neu kundgemachten Textes des GemeindeG stehenden Vorschriften nur deshalb ihre Geltung, weil auch sie in die Neukundmachung hätten eingezogen werden können; keine Bedenken gegen §92 Abs2 zweiter Satz idF der Neukundmachung LGBl. 40/1985 (Hinweis auf VfSlg. 10912/1986 und 10913/1986) Von der Möglichkeit der Errichtung von Kollegialbehörden (iSd Art20 Abs2, Art133 Z4 B-VG) als oberste Instanz darf nicht in einem Maß Gebrauch gemacht werden, da die allgemeine Leitungsbefugnis der obersten Organe und die umfassende Zuständigkeit des VwGH in Frage gestellt würde Österreich hat im Zuge des Beitritts zur MRK, bei ihrer Ratifikation und anläßlich ihrer Erhebung in den Verfassungsrang die Garantie des Art6 MRK in bezug auf "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" im wesentlichen durch die traditionelle Zuständigkeit der Gerichte (§1 JN) als erfüllt angesehen; es kann dem Gesetzgeber nicht möglich sein, durch Zuweisung von Rechtsstreitigkeiten an Verwaltungsbehörden die Garantie des Art6 Abs1 MRK in beliebigem Umfang unwirksam zu machen Zur Abgrenzung Zivilrecht/Verwaltungsrecht; Versagung einer Baubewilligung - kein "civil right", nicht jeden Eigentumseingriffs iSd Art5 StGG ist eine Entscheidung über ein "civil right"; es ist nicht erforderlich, hier das Einschreiten eines Tribunals anstelle der vorgesehenen Behörden zu fordern; zur Rechtsprechung der Europäischen Instanzen in der Auslegung des Art6 MRK; zu Fragen der Umsetzung dieser Rechtsprechung im Hinblick auf die österr. Staatsorganisation; zur Abgrenzung des Begriffs den "civil right"; für den Bereich typisch öffentlich-rechtlicher Eingriffe in private Rechtsstellungen genügt die Möglichkeit der nachprüfenden Kontrolle durch den VwGH Die verfassungsrechtlich gebotene Entscheidung der Angelegenheit durch eine Verwaltungsbehörde kann als solche weder eine Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes noch eine Rechtsverletzung wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm darstellen; Einrichtung einer Gerichtsbarkeit, die über die Kontrolle durch den VwGH hinaus nach eigener Sachverhaltsermittlung ihre Entscheidung anstelle der Behörden trifft, ist von Verfassungs wegen nicht erzwingbar Zur Auslegung der MRK; an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Staatsorganisation ist der VfGH auch im Falle eines Widerspruchs zur MRK gebunden Keine Bedenken gegen die Vorschriften über die Zuständigkeit zur Entscheidung über Vorstellungen gegen Bescheide der Gemeindeorgane in VorarlbergRechtssatz
Novelle LGBl. 1985/35 (in Kraft seit 1.8.1985) zum Vbg. GemeindeG 1965 schuf (auch in Neukundmachung des Vbg. GemeindeG, LGBl. 1985/40, aufgenommene) Möglichkeit der Übertragung der Zuständigkeit der Landesregierung zur Entscheidung über Vorstellungen auf die BH; ArtIII der Novelle bestimmte, daß im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängige Vorstellungen nach den bisherigen Bestimmungen weiterzuführen sind.
Beschwerdevorwurf, die Landesregierung habe die Sachentscheidung zu Unrecht verweigert, weil die Neukundmachung die Übergangsbestimmung außer Kraft gesetzt habe und mangels gesetzlicher Regelung die Rechtslage zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides der Gemeindevertretung, also vor Erlassung der Novelle maßgeblich sei.
Kein Entzug des gesetzlichen Richters - Beschwerdefall fällt unter §88 (neu §92) Abs2 Satz 2 Vbg. GemeindeG:
Würde eine gesetzliche Regelung fehlen, wäre für die Frage der Möglichkeit einer Übertragung der Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Vorstellung nicht die Gesetzeslage im Zeitpunkt der Zustellung des letztinstanzlichen Bescheides eines Gemeindeorganes maßgeblich, sondern die Rechtslage im Zeitpunkt des Einschreitens der Aufsichtsbehörde. Geht es doch nicht darum, an welchem Maßstab die Aufsichtsbehörde das Verhalten der Gemeindeorgane zu messen hat, sondern um die Gestaltung des aufsichtsbehördlichen Verfahrens selbst. Verfügt das Gesetz nichts Abweichendes, sind solche verfahrensrechtlichen Bestimmungen ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anzuwenden.
Aus dem Gesamtinhalt des Gesetzes kann sich zwar anderes ergeben; daß sich hier aber nichts ergibt, was den Standpunkt der Beschwerde - die Vorstellung der Beschwerdeführer sei nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten der Novelle von der Landesregierung zu erledigen gewesen - rechtfertigen würde, ist offenkundig. Die Vorstellung war im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes (1.8.1985) noch nicht eingebracht und daher noch nicht anhängig. Allein das Vorhandensein des ArtIII der Novelle verbietet aber die Annahme, der Gesetzgeber habe die novellierte Fassung erst in jenen Verfahren angewendet wissen wollen, die durch gemeindebehördliche Bescheide nach dem 1.8.1985 ausgelöst werden.
Die Neukundmachung des GemeindeG hat daran nichts geändert. Abgesehen davon, daß bei Wegfall des ArtIII der Tag des Inkrafttretens der Novelle maßgeblich wäre, sind auch die Zweifel an der Weitergeltung des ArtIII unbegründet. Die Neukundmachung LGBl. 1985/40 beschränkt sich auf den Text des GemeindeG, wie er zuletzt durch die Novelle LGBl. 1985/35 gefaßt wurde. ArtIII des Gesetzes LGBl. 1985/35 ist nicht Teil des (novellierten) Gesetzes und daher von dessen Neukundmachung nicht erfaßt. Keine Gesetzesbestimmung nimmt den außerhalb des neu kundgemachten Textes stehenden Vorschriften nur deshalb ihre Geltung, weil auch sie (gemäß Art38 Vbg. LVG) in die Neukundmachung hätten einbezogen werden können, auf diese Einbeziehung aber verzichtet wurde.
Entscheidung der BH über Vorstellung gemäß §92 Abs2 Vbg. GemeindeG.
Beschwerdevorwurf, die Landesregierung habe die Sachentscheidung zu Unrecht verweigert, weil die Neukundmachung des Vbg. GemeindeG die Übergangsbestimmung außer Kraft gesetzt habe und mangels gesetzlicher Regelung die Rechtslage zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides der Gemeindevertretung, also vor Erlassung der Novelle maßgeblich sei.
Der Beschwerdefall ist von der Geltung des novellierten (und neu kundgemachten) Textes des GemeindeG nicht ausgenommen. Nach dem zweiten Satz des §88 Abs2 (neu §92 Abs2) war die Übertragung der Zuständigkeit zur Entscheidung über die Vorstellung auf die Bezirksverwaltungsbehörde aber zulässig.
Wohl ist in oberster Instanz die Errichtung von Kollegialbehörden, denen wenigstens ein Richter angehört, mit der Wirkung zulässig, daß auch die übrigen Mitglieder dieser Kollegialbehörde in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden (Art20 Abs2 B-VG) und die von ihnen zu
entscheidenden Angelegenheiten von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgenommen sind, wenn dessen Anrufung nicht ausdrücklich für zulässig erklärt ist (Art133 Z4 B-VG); solche Behörden können daher ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zur Verwaltung iSd österreichischen Verfassungsrechts zugleich "unabhängige und unparteiische Gerichte", nach dem englischen und französischen Text "Tribunale" iSd Art6 MRK sein. Von dieser Möglichkeit darf aber nicht in einem Maße Gebrauch gemacht werden, das die allgemeine Leitungsbefugnis der obersten Organe und die umfassende Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Überprüfung des Verwaltungshandelns in Frage stellen würde.
Die Einrichtung einer instanzmäßig gegliederten Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nach geltendem Verfassungsrecht ausgeschlossen.
Es steht außer Zweifel, daß der Bundespräsident, die Bundesregierung und die Organe der Gesetzgebung im Zuge des Beitrittes zur Konvention, bei ihrer Ratifikation und anläßlich ihrer Erhebung in den Verfassungsrang auch die Garantie des Art6 in bezug auf "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" im wesentlichen durch die traditionelle Zuständigkeit der Gerichte in "bürgerlichen Rechtssachen" (§1 JN) erfüllt sahen. Der Vorbehalt bringt dieses Verständnis der Konvention zwar nur mittelbar, aber doch hinreichend deutlich zum Ausdruck: Er ist nach Gegenstand und Umfang nur sinnvoll, wenn das österreichische System außerhalb der in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehen Maßnahmen des Freiheitsentzuges der nachprüfenden Kontrolle für seinen Bereich im großen und ganzen mit der Konvention in Einklang steht und keine ihrer Garantien einen vollständigen Umbau der österreichischen Staatsorganisation verlangt. Die Überzeugung, das österreichische Verwaltungssystem würde der Konvention standhalten, beruhte auf der Annahme, daß den "civil rights" das öffentliche Recht gegenüberzustellen ist und diese Unterscheidung den Grundzügen jener folgt, die das römische Recht mit den Begriffen "ius publicum" und "ius privatum" (Just Inst I 1,4) umschrieben hat und für alle vom römischen Recht geprägten Rechtsordnungen insofern stets grundlegend war, als nur Privatrechte vor dem unabhängigen Richter zu verfolgen waren. Die Verwendung der Begriffe "civil rights and obligations" und "droits et obligations de caractere civil" mußte insbesondere in Verbindung mit dem Begriff der strafrechtlichen Anklage ("criminal charge" und "accusation en matiere penale") dahin verstanden werden, daß Art6 Abs1 die in diesen Ländern übliche Zivil- und Strafjustiz garantiert. Fraglich konnte nur das Schicksal des von Verwaltungsbehörden gehandhabten österreichischen Verwaltungsstrafrechts sein. Hätten die österreichischen Organe angenommen, daß entscheidende Teile des innerstaatlichen materiellen Verwaltungsrechts "civil rights" im Sinne dieser Garantien darstellen, so wäre entweder ein weiterer Vorbehalt erwogen oder aber die dann erforderliche Änderung der organisatorischen Bestimmungen der Verfassung wenigstens in Aussicht genommen worden.
Stets ist der Verfassungsgerichtshof davon ausgegangen, daß es dem nationalen Gesetzgeber nicht möglich sein kann, durch Zuweisung von Rechtsstreitigkeiten an Verwaltungsbehörden die Garantie des Art6 Abs1 in beliebigem Umfang unwirksam und zu einer Scheingarantie zu machen. Er hat daher angenommen, daß neben den bürgerlichen Rechtssachen wohl auch andere Ansprüche und Verpflichtungen unter den Begriff "civil rights" fallen können (VfSlg. 5100/1965 Wildschadenersatz, VfSlg. 5102/1965 Rückstellung von Vermögen politisch Verfolgter). In welche Richtung die Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung dieses Begriffs gehen würde, war allerdings zu dieser Zeit noch nicht absehbar. Ihrer Auslegung hat der Gerichtshof nicht vorgegriffen. Er hat vielmehr im Sinne der üblichen Abgrenzungsmethode danach unterschieden, ob es um Rechte und Pflichten der Bürger unter sich (§1 ABGB) oder um die Stellung des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit geht. Diese Methode wendet der Gerichtshof grundsätzlich auch bei der kompetenzrechtlichen Einordnung einer Angelegenheit als Zivilrecht (Art10 Abs1 Z6 B-VG) oder Teil einer Verwaltungsmaterie an. Die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden als typische Folge der Zuordnung von Ansprüchen und Verpflichtungen zu einer Verwaltungsmaterie bot daher der einschlägigen Rechtsprechung meist nur noch für Überlegungen Raum, ob irgendwelche anderen Umstände es erlauben würden, die in Rede stehenden Ansprüche gleichwohl als Zivilrecht iSd Art6 Abs1 zu qualifizieren (VfSlg. 5627/1967
Parteistellung in baupolizeilichen Abtragungsverfahren, VfSlg. 5666/1968 Nutzungsrechte am Gemeingut, VfSlg. 5684/1968 auf Patenterteilung, VfSlg. 6134/1970 Grundverkehrsbeschränkungen). Zu erwägen war dabei, ob der Gesetzgeber vielleicht eine atypische Zuständigkeit begründet hat oder der Zivilrechtsbegriff im Kompetenzkatalog der österreichischen Bundesverfassung von dem in der Lehre entwickelten allgemeinen Begriff des Zivilrechts im Einzelnen abweicht.
Die Versagung einer Baubewilligung ist ein hoheitlicher Eingriff im öffentlichen Interesse - ja geradezu der Prototyp eines solchen Eingriffs -, und die Wahrnehmung der öffentlichen Interessen einschließlich der nötigen Abwägung gegenüber privaten Interessen die wesentliche Aufgabe der Verwaltung. Daß der Gegenstand des Eingriffs regelmäßig das Eigentum und damit ein privates Vermögensrecht ist, ändert an seinem öffentlich-rechtlichen Charakter nichts.
Wenn der Verfassungsgerichtshof auch in ständiger Rechtsprechung jeden Eingriff in ein vermögenswertes Privatrecht als einen Eigentumseingriff iSd (das Eigentum als unverletzlich erklärenden) Art5 StGG qualifiziert und an den in dieser Verfassungsbestimmung vorgesehenen Garantien mißt, so ist damit doch für die Frage, ob ein solcher Eingriff eine Entscheidung über ein "civil right" darstellt, nichts ausgesagt. Verwaltungshandeln besteht gerade in entwickelten Rechtsordnungen, in denen die natürlichen Möglichkeiten des Einzelnen durch ein ausgewogenes System von Privatrechten gegen Störungen anderer abgesichert sind, zum überwiegenden Teil in der Entscheidung über die Notwendigkeit der zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit nötigen Eingriffe in private Rechte. Daß auch der Bereich solcher Eingriffe dem bloßen Ermessen der Behörde entzogen und rechtsstaatlich geordnet wird, kann ebensowenig zur Überantwortung an die Gerichte zwingen wie die Einräumung subjektiver öffentlicher Rechte sonst. Nicht jede Bedachtnahme auf individuelle Interessen schafft ein "civil right". Und wenn der Eingriff nicht (bloß) Vermögenswerte, sondern (sogar) die Person und ihr Verhalten selbst berührt, wird sein Gewicht für den Betroffenen dadurch um nichts geringer. Die Vorschreibung von Steuern oder die Einberufung zum Militärdienst treffen den privaten Bereich gewiß nicht weniger hart als der Entzug oder die Beschränkung von Eigentum, und doch sind sie offenkundig das genaue Gegenteil einer Entscheidung über "civil rights".
Der Verfassungsgerichtshof hat den Folgen ins Auge zu sehen, die sich aus einer Umsetzung dieser in ihrem Fortgang nicht vorhersehbaren Entwicklung für die österreichische Rechtsordnung insgesamt ergeben würden. Stellt Art6 Abs1 MRK tatsächlich solche Anforderungen, könnte der einfache Gesetzgeber sie nämlich nicht mehr erfüllen, weil sie eine einschneidende Änderung der österreichischen Staatsorganisation voraussetzen würden. Müßte alles durch ein Gericht (Tribunal) in der Sache selbst entschieden werden, was die private Sphäre im weiten Sinn dieser Rechtsprechung berührt, so müßten jedenfalls nicht nur im Baurecht, sondern auch im Gewerberecht, im Wasser-, Forst- und Bergrecht, im Straßenrecht, im Energierecht, im Preisrecht und im Devisen- und Außenhandelsrecht wie im Bank- und Versicherungswesen, in Angelegenheiten der Heil- und Pflegeanstalten, der Ärzte und Apotheken, im Sanitäts- und Veterinärrecht, beim Natur- und Umweltschutz, in Jagd- und Fischereisachen und in Angelegenheiten der Landeskultur, kurz nahezu ausnahmslos Gerichte zur Entscheidung von Streitigkeiten berufen werden. Denn für all diese Angelegenheiten ist die Entscheidung über Ansprüche und Verpflichtungen dieser Art so typisch, daß es bei einer Ausgliederung abgrenzbarer Teilbereiche nicht sein Bewenden haben könnte. Eine Zuweisung aller in Betracht kommender Verwaltungsangelegenheiten in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte würde aber der verfassungsrechtlichen Stellung der Verwaltung widersprechen, mit Art20 B-VG unvereinbar sein und auch die verfassungsrechtlich verankerte Zuständigkeit des Landeshauptmannes als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung, ja die mittelbare Bundesverwaltung selbst beseitigen.
Der Einrichtung in der Sache neu entscheidender Verwaltungsgerichte steht die Bundesverfassung entgegen: Die unter Leitung der obersten Organe geführte Verwaltung unterliegt nur der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof, der als Organ des Gesamtstaates die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung des Bundes wie der Länder garantiert und nicht in wesentlichen Teilen seiner Tätigkeit durch die Einrichtung von Kollegialbehörden mit den Eigenschaften von Tribunalen ersetzt werden darf.
Dem einfachen Gesetzgeber wäre es wohl möglich, den Verwaltungsgerichtshof stärker als bisher zur Entscheidung in der Sache selbst zu berufen. Die Verfassung beschränkt diesen nicht auf bloße Kassation (vgl. VfSlg. 8202/1977). Das geltende Recht kennt die Möglichkeit der Sachentscheidung im Fall der Säumnis der Verwaltungsbehörde, so zwar, daß der Verwaltungsgerichtshof dann auch das sonst der Verwaltungsbehörde zustehende freie Ermessen handhabt (§42 Abs5 VwGG). Schon Art133 Abs3 des B-VG 1920 hatte dem Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung in der Sache selbst erlaubt, soweit nicht die Behörde nach dem Gesetz zur Entscheidung oder Verfügung nach freiem Ermessen befugt war, und später hatten sowohl die (insoweit mangels Ausführung bedeutungslos gebliebene) B-VG-Novelle 1925 als auch die B-VG-Novelle 1929 (Art133 Abs4) ihn sogar verpflichtet, die Höhe der Verwaltungsstrafe in stattgebenden Erkenntnissen selbst festzusetzen. Aber es wäre verfassungsrechtlich ausgeschlossen, das System der nachprüfenden Kontrolle selbst zu verlassen und dem Verwaltungsgerichtshof (auf Begehren einer Partei) in sämtlichen Verwaltungsmaterien die Entscheidung in der Sache aufgrund abermaliger vollständiger Ermittlung des Sachverhalts bindend aufzutragen, wenn nur irgendwelche private Rechtsstellungen beeinträchtigt sein könnten. Er könnte diese Aufgabe schon vom Umfang her gar nicht bewältigen.
Es ist auch nicht vorstellbar, daß der Beitritt zur Konvention und ihre Erhebung in den Verfassungsrang den organisationsrechtlichen Bestimmungen der Bundesverfassung derogiert und den einfachen Gesetzgeber ermächtigt und verpflichtet hätte, eine neue Art von (Verwaltungs-)Gerichtsbarkeit einzurichten. Abgesehen davon, daß die Einräumung von Grund- und Freiheitsrechten das Fehlen einer nach dem Gesamtkonzept der Bundesverfassung notwendigen Ermächtigung zur Einrichtung von Gerichten für den Bereich der Verwaltung nicht ersetzen kann, steht für den Verfassungsgerichtshof außer jedem Zweifel, daß Österreich sein bewährtes System der Verwaltung unter der umfassenden nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes ohne wesentliche Änderung beibehalten wollte. Die klare Absicht der österreichischen Organe hat im österreichischen Vorbehalt für das im Vergleich zu den geradezu umstürzenden Folgen der neuesten Rechtsprechung des EGMR eher nebensächliche Teilgebiet des Verwaltungsstrafrechts deutlich erkennbaren Niederschlag gefunden; ein solcher Vorbehalt ist mit einem Zwang zur umfassenden Änderung des Staatsorganisationsrechts schlechthin unvereinbar.
Wenn auch bei der Auslegung internationaler Verträge nicht auf das Verständnis abgestellt werden kann, das einzelne Mitglieder beim Abschluß oder gar erst bei ihrem späteren Beitritt zugrundegelegt haben, ist das Verständnis Österreichs im Verein mit der Rechtslage in anderen Staaten und der langjährigen Praxis der Kommission doch ein wichtiges Anzeichen dafür, daß nach seinem ursprünglichen Sinn der Begriff "civil rights" einen viel engeren Inhalt hat als ihm die jüngste Rechtsprechung des EGMR unterstellt. Diese Rechtsprechung erweist sich mithin als offene Rechtsfortbildung, die wohl erwogene Gründe haben mag, den Staaten aber Verpflichtungen auferlegt, die einzugehen sie niemals gewollt und erklärt haben.
Eine Möglichkeit, ein Ergebnis zu vermeiden, das Österreich und andere Staaten einem nicht gewollten und nach den Umständen im Zeitpunkt des Beitrittes zur Konvention von ihnen offenkundig auch nicht erwarteten Zwang zur Änderung seiner Staatsorganisation unterwerfen würde, wäre die Bedachtnahme auf den Umstand, daß in Rede stehende Streitigkeiten nicht über "civil rights" selbst entstanden sind, sondern solche nur in ihren Auswirkungen betreffen. Sie würde eine differenzierende Auslegung der von Art6 Abs1 gestellten Anforderungen an die Art und Weise ermöglichen, in der das Tribunal mit der Sache befaßt sein muß. Sehen nämlich die Rechtssysteme vieler Mitgliedstaaten als für die Zuordnung einer Streitigkeit zum Zivil- oder öffentliches Recht und damit für die Zuständigkeit von Gerichten oder Verwaltungsbehörden ausschlaggebend an, ob das Verhältnis der Bürger unter sich oder zur Allgemeinheit Gegenstand der Entscheidung ist, so könnte die dem Tribunal zukommende Aufgabe, ein "faires Verfahren" und eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist sicherzustellen, in einer der Struktur der Rechtsverhältnisse und den Aufgaben der Verwaltungsbehörden angepaßten Weise erfüllt werden. Es könnte außerhalb der traditionellen Ziviljustiz - die gewissermaßen einen Kernbereich darstellen würde, für welchen ähnliches gilt wie für das Strafrecht - stärker auf die in den Mitgliedstaaten bestehenden besonderen Verhältnisse geachtet und auch eine bloß nachprüfende Kontrolle des verwaltungsbehördlichen Handelns durch ein Tribunal als ausreichend angesehen werden. Eine solche nachprüfende Kontrolle müßte jedenfalls dann genügen, wenn sie ungeachtet ihres bloß nachprüfenden, nicht auf einer Neudurchführung des Verfahrens beruhenden Charakters dem Gericht - nicht bloß theoretisch und abstrakt, sondern im Ergebnis auch wirksam - Gelegenheit gibt, sich von der Richtigkeit der Lösung sowohl der Tat- wie der Rechtsfrage zu überzeugen und sein Urteil über die Sache auch durchzusetzen, wie dies bei einem an der Verfassung orientierten Verständnis des VwGG dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof aufgetragen ist.
Die im Beschluß auf Prüfung des ApothekerkammerG (vgl. G181/86 ua. vom 14.10.1987, Abschnitt II A 2b vorletzter Absatz) geäußerten Bedenken im Hinblick auf die beschränkte Entscheidungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes können insoweit nicht aufrecht erhalten werden. Für den hier in Rede stehenden Bereich typischer öffentlich-rechtlicher Eingriffe in private Rechtsstellungen hält der Verfassungsgerichtshof an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, daß die (neben der Anrufbarkeit des Verfassungsgerichtshofes bestehende) Möglichkeit, Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu ergreifen, auch dem Anspruch auf Entscheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht Genüge tut.
Sollte der Konvention das Gebot zu unterstellen sein, daß Richter die Verwaltung nicht nur auf allfällige Fehler kontrollieren, sondern nach Durchführung völlig eigenständiger Verfahren im praktischen Ergebnis selbst führen müssen, wäre der Gerichtshof gleichwohl außerstande, eine Verletzung der österreichischen Bundesverfassung festzustellen. Die verfassungsrechtlich nachgerade gebotene Entscheidung der Angelegenheit durch eine Verwaltungsbehörde kann als solche weder eine Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes noch eine Rechtsverletzung durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm darstellen. Die Einrichtung einer Gerichtsbarkeit, die über die Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof hinaus nach eigener Sachverhaltsermittlung ihre Entscheidung anstelle der Behörden trifft, ist von Verfassungs wegen nicht erzwingbar.
Der Verfassungsgerichtshof sieht sich zwar grundsätzlich gehalten, der MRK als Verfassungsnorm jenen Inhalt zu unterstellen, der ihr auch als internationalem Instrument zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zukommt. Er hat daher bei ihrer Auslegung insbesondere der Rechtsprechung des EGMR als dem zur Auslegung der MRK zunächst berufenen Organ besonderes Gewicht einzuräumen. Er kann diese Haltung aber nicht unter allen Umständen einnehmen. Wie er an späteres Verfassungsrecht auch dann gebunden wäre, wenn sich aus ihm Änderungen gegenüber den Grundsätzen der MRK ergeben würden, kann bestimmten Auslegungsergebnissen auch Staatsorganisationsrecht im Verfassungsrang entgegenstehen. Freilich unterstellt der Gerichtshof dem späteren Verfassungsrecht nach Möglichkeit einen Inhalt, der es mit der MRK verträglich macht (vgl. zum System des Rundfunkrechts B658/85 vom 27.6.1986). An die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Staatsorganisation ist der Gerichtshof aber auch im Falle eines Widerspruches zur Konvention gebunden. Stehen sie einer möglichen Auslegung der MRK entgegen, kann er diese Auslegung seiner Entscheidung nicht zugrundelegen. Selbst wenn daher der EGMR eine Konventionswidrigkeit der österreichischen Rechtsordnung in diesem Punkte annehmen sollte, könnte dieser Verstoß nur durch den Verfassungsgesetzgeber selbst geheilt werden.
Der Verfassungsgerichtshof möchte allerdings nicht versäumen darauf hinzuweisen, daß die dann anzunehmende Konventionswidrigkeit der österreichischen Rechtsordnung nach dem derzeitigen Stand seiner Überlegungen nur das Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung durch die Konventionsorgane sein könnte und sich daher die Frage stellen würde, ob nicht die Übertragung einer rechtsfortbildenden Aufgabe auf verfassungsrechtlichem Gebiet an ein internationales Organ als Ausschaltung des Verfassungsgesetzgebers eine Gesamtänderung der Bundesverfassung iSd Art44 Abs3 B-VG wäre und einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes bedurft hätte.
An die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Staatsorganisation ist der Gerichtshof auch im Falle eines Widerspruches zur Konvention gebunden. Stehen sie einer möglichen Auslegung der MRK entgegen, kann er diese Auslegung seiner Entscheidung nicht zugrundelegen.
Gegen die Vorschriften über die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden zur Entscheidung über Vorstellungen gegen Bescheide der Gemeindeorgane in Vorarlberg, welche zB in Sachen des Baurechts - wie in der Beschwerde behauptet - auch Angelegenheiten des Privatrechtes betreffen könnten, bestehen daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Schlagworte
Geltungsbereich eines Gesetz, Übergangsbestimmungen, Gemeinderecht, Vorstellung, VwGH / Zuständigkeit, Zivilrecht, Gericht, Zuständigkeit, Baurecht, Baubewilligung, Bundesverwaltung mittelbare, VwGH / Sachentscheidung, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, Auslegung Verfassungs-, Bundesverfassung, GesamtänderungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B267.1986Dokumentnummer
JFR_10128986_86B00267_01