RS Vfgh 1987/12/1 G132/87, G133/87, G181/87, G183/87

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 01.12.1987
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Index

50 Gewerberecht
50/02 Sonstiges Gewerberecht

Norm

StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
LSchG §3 Abs1 und Abs3

Leitsatz

Eine gesetzliche Regelung, die die Erwerbsfreiheit (Erwerbsantritt, Berufsausübung) beschränkt, ist nur zulässig, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, geeignet, zur Zielerreichung adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen ist; bei Regelung der Berufsausübung größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum als bei Regelungen, die den Zugang zu einem beruf beschränken; Ziele, denen die Landeschlußregelungen dienen (Bedachtnahme auf die Interessen der Verbraucher, wettbewerbsordnende und sozialpolitische Funktion) liegen an sich im öffentlichen Interesse; der VfGH kann dem Gesetzgeber nur entgegentreten, wenn dieser Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen ist; Limitierung der zulässigen Offenhaltezeiten für Verkaufstellen an sich ein taugliches Mitttel zur Erreichung der genannten Ziele; Anordnung eines Sperrhalbtages zur Zielerreichung an sich geeignet und sachlich gerechtfertigt, aber nicht mehr adäquat, wenn die Bestimmung, an welchem Halbtag der Sperrverpflichtung nachzukommen ist, einem Verwaltungsorgan übertragen wird - keine Rechtfertigung durch die wettbewerbsordnende und durch die sozialpolitische Funktion des LadenschlußG; das Interesse an einer einheitlichen Festlegung des Sperrhalbtages durch den Landeshauptmann ist nicht von solchem Gewicht, daß dei Grundrechtsbeschränkung zu rechtfertigen vermag; Verstoß des §3 Abs1 und 3 LadenschlußG gegen die Erwerbsausübungsfreiheit

Rechtssatz

§3 Abs1 und 3 LSchG begrenzt die zulässigen Öffnungszeiten von Betriebseinrichtungen, beschränkt damit die Möglichkeit der Erwerbsausübung und greift daher in das verfassungsgesetzlich geschützte Recht auf Erwerbsfreiheit ein.

Der Gesetzgeber ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 3968/1961, 4011/1961, 5871/1968, 9233/1981) dem Art6 StGG zufolge ermächtigt, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt und unter bestimmten Umständen verboten ist, sofern er dabei den Wesensgehalt des Grundrechts nicht verletzt und auch sonst der Verfassung entspricht. Die jüngere Judikatur (vgl. etwa VfSlg. 10179/1984 (mit Hinweisen auf VfSlg. 9237/1981); VfSlg. 10718/1985; E v 23.6.1986, G14/86 ua;

E v 5.3.1987, G174/86; E v 6.10.1987, G1/87, 171/87;

E v 9.10.1987, G75/87 und E v 14.10.1987, B414/87) hat dies dahin ergänzt und präzisiert, daß eine gesetzliche Regelung, die die Erwerbsfreiheit beschränkt, nur zulässig ist, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, geeignet, zur Zielerreichung adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen ist.

Diesen Standpunkt hat der Verfassungsgerichtshof vornehmlich in Verfahren eingenommen, in denen Regelungen auf ihre Übereinstimmung mit der Erwerbsfreiheit zu prüfen waren, die den Erwerbsantritt beschränkt haben. Aber auch gesetzliche Regelungen, die die Berufsausübung beschränken, sind auf ihre Übereinstimmung mit der verfassungsgesetzlich verbürgten Erwerbsfreiheit zu prüfen und müssen dementsprechend durch ein öffentliches Interesse bestimmt und auch sonst sachlich gerechtfertigt sein (vgl. VfSlg. 10718/1985, Werbeverbot für Kontaktlinsenoptiker sachlich nicht gerechtfertigt).

Wenn die die Berufsausübung beschränkenden Regelungen durch ein öffentliches Interesse sachlich gerechtfertigt sein müssen, so bedeutet das, daß Ausübungsregelungen bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig sein müssen. Es steht jedoch dem Gesetzgeber bei Regelung der Berufsausübung ein größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum offen als bei Regelungen, die den Zugang zu einem Beruf (den Erwerbsantritt) beschränken, weil und insoweit durch solche die Ausübung einer Erwerbstätigkeit regelnden Vorschriften der Eingriff in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre weniger gravierend ist, als durch Vorschriften, die den Zugang zum Beruf überhaupt behindern.

Die Ziele, denen die Ladenschlußregelungen dienen - die Bedachtnahme auf die Interessen der Verbraucher, die wettbewerbsordnende und die sozialpolitische Funktion - liegen an sich im öffentlichen Interesse. Dem einfachen Gesetzgeber ist bei der Entscheidung, welche (etwa wirtschafts- und sozialpolitischen) Ziele er mit seinen Regelungen verfolgt, innerhalb der Schranken der Verfassung ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum eingeräumt. Der Verfassungsgerichtshof hat nicht zu beurteilen, ob die Verfolgung eines bestimmten Zieles etwa aus wirtschaftspolitischen oder sozialpolitischen Gründen zweckmäßig ist. Er kann dem Gesetzgeber nur entgegentreten, wenn dieser Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind (vgl. etwa VfSlg. 9911/1983; E v 6.10.1987, G1/87, 171/87; E v 14.10.1987, B414/87). Solches kann man aber von den genannten Zielen, denen die Ladenschlußregelungen im allgemeinen und die in Prüfung stehenden Bestimmungen im besonderen dienen, mit guten Gründen nicht behaupten.

Es kann vernünftigerweise auch nicht bezweifelt werden, daß es ein an sich taugliches Mittel zur Erreichung der genannten Ziele darstellt, die zulässigen Offenhaltezeiten für Verkaufsstellen von Handelsbetrieben gesetzlich zu limitieren.

Wenn der Gesetzgeber bei der Erlassung der in Prüfung stehenden Bestimmungen (§3 Abs1 und 3 LSchG) von der Auffassung ausgegangen ist, daß die Anordnung eines Sperrhalbtags zur Zielerreichung geeignet und sachlich gerechtfertigt ist, so kann ihm nicht entgegengetreten werden. Zwar stellt eine solche Vorschrift eine relativ weitgehende Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit dar, doch kann dieser Eingriff im Hinblick auf die Ziele, denen das Gesetz dient und angesichts der Funktion des Gesetzes, unterschiedliche Interessen auszugleichen, noch als gerechtfertigt qualifiziert werden, wenn dem Gewerbetreibenden dabei nicht jede Dispositionsmöglichkeit genommen ist, sondern nur vorgeschrieben ist, daß er - abgesehen von der Einhaltung der Sonn- und Feiertagsruhe - seine Betriebsstellen an einem Halbtag geschlossen zu halten hat.

Die Absätze 1 und 3 des §3 des LSchG, BGBl. 156/1958, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Der Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit durch §3 Abs1 und 3 LSchG ist nicht mehr adäquat, wenn die Bestimmung, an welchem Halbtag der Sperrverpflichtung nachzukommen ist, einem Verwaltungsorgan übertragen wird:

Daß die wettbewerbsordnende Funktion des LSchG, die Gewerbetreibenden nicht zu überlangen Öffnungszeiten zu veranlassen, diese Beschränkung nicht zu rechtfertigen vermag, versteht sich von selbst. Aber auch die sozialpolitische Funktion des LSchG ist nicht geeignet, die sachliche Rechtfertigung der in Rede stehenden Beschränkung in ihrer gesetzlichen Ausprägung darzutun:

(Darstellung der bloßen Hilfsfunktion des LSchG iZm der Einhaltung des Arbeitszeit- und des ArbeitsruheG, die die primäre sozialpolitische Funktion haben.)

Ohne Zweifel können auch Auswirkungen von primär gewerberechtlichen Vorschriften auf die Lage der Arbeitnehmer eine Beschränkung der Freiheit der Erwerbsbetätigung (sowohl der selbständig wie auch der unselbständig Tätigen) rechtfertigen, wenn das Gewicht der geschützten Interessen die Grundrechtsbeschränkung zu rechtfertigen vermag. So werden etwa Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer, sofern sie die freie Erwerbs- und Berufsausübung einschränken, auch weitgehende Beschränkungen des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts rechtfertigen und auch Vorkehrungen für ausreichende Ruhe- und Erholungszeiten sowie der Schutz vor überlangen Arbeitszeiten werden eine weitergehende Beschränkung der sich aus Art6 StGG ergebenden Rechtspositionen rechtfertigen.

Das Interesse an einer einheitlichen Festlegung des Sperrhalbtags durch den Landeshauptmann ist allerdings nicht von solchem Gewicht. Eine solche Regelung berührt die Interessen der Arbeitnehmer von Handelsbetrieben vor allem dadurch, daß ihr Wegfall mit einer möglichen Beeinträchtigung der Vorhersehbarkeit der individuellen Arbeitszeit verbunden ist. Zwar ist auch eine solche Auswirkung nicht ohne Bedeutung, doch vermag sie die bestehende Einschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit, die die Bestimmung des Sperrhalbtags zur Gänze dem Landeshauptmann überträgt, nicht zu rechtfertigen.

Aufhebung des §3 Abs1 und 3 LSchG, der die Bestimmung des Sperrhalbtags zur Gänze dem Landeshauptmann überträgt.

Dem Argument, die Regelung sei im Dienst der Vorhersehbarkeit der individuellen Arbeitszeit sachlich gerechtfertigt und adäquat, ist zu erwidern, daß die maximalen Offenhaltezeiten auch nach geltendem Recht deutlich über den zulässigen Arbeitszeiten des Verkaufspersonals liegen, sodaß schon heute eine Anpassung der individuellen Arbeitszeit an die konkreten Bedürfnisse der Handelsunternehmungen notwendig ist und die Vorhersehbarkeit der individuellen Arbeitszeit bereits nach derzeitiger Rechtslage beschränkt ist.

Dem Argument, es werde durch die Regelung eine für den Konsumenten besser überschaubare Situation geschaffen, ist entgegenzuhalten, daß ja die erlaubten Öffnungszeiten den Unternehmer nicht verpflichten, seine Verkaufsstellen offenzuhalten, sodaß die Einheitlichkeit der erlaubten Offenhaltezeit dem Konsumenten keineswegs die Sicherheit zu geben vermag, zu diesen Zeiten offene Geschäfte anzutreffen. Dies zeigt sich auch schon in der derzeitigen Praxis vieler Unternehmer zur individuellen Gestaltung der Offenhaltezeiten ihrer Verkaufsstellen im Rahmen der erlaubten Maximal-Offenhaltezeit.

Der Hinweis, eine Aufhebung der in Prüfung stehenden Vorschrift würde zu einer Veränderung der Chancen im Wettbewerbsprozeß führen (den Unternehmer mit vielen Arbeitnehmern durch Rotations- bzw. Turnusdienste besser ausnützen könnten), ist schon vom Ansatz her verfehlt. Denn abgesehen davon, daß Handelsbetriebe ohne oder mit nur wenigen Dienstnehmern je nach ihrer Struktur eben wieder andere Möglichkeiten haben, sich auf die Marktbedürfnisse einzustellen, verkennt diese Argumentation den Sinn der Erwerbsfreiheit, der - sieht man von (hier nicht vorliegenden) Sondersituationen (vgl. zB VfSlg. 10386/1985) ab - nicht darin liegt, daß bestimmten Unternehmen ein wirtschaftlicher Schutz garantiert wird (vgl. VfSlg. 8765/1980), sondern darin, ihnen die Erwerbsausübung im Rahmen eines geordneten Wettbewerbs zu ermöglichen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Gewerberecht, Ladenschluß, Grundrechte, Gesetzesvorbehalt, Arbeitsrecht, Arbeitszeit, Marktwirtschaft freie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G132.1987

Dokumentnummer

JFR_10128799_87G00132_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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