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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und ZwangsausübungLeitsatz
Freiwillige Folgeleistung einer Aufforderung zum Gendarmeriepostenkommando mitzukommen - keine Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt; Zurückweisung in diesem Umfang Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; Art8 StGG; unvertretbare Annahme der Fluchtgefahr iSd §35 litb VStG; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch (als Festnahme zu qualifizierende) zwangsweise Vorführung vom Gendarmeriepostenkmmando zur Bezirkshauptmannschaft; die Kosten waren gegeneinander aufzuhebenRechtssatz
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits wiederholt dargetan (zB VfSlg. 3154/1957, 7060/1973, 8961/1980), daß für die begründete Annahme von Fluchtgefahr konkrete Umstände vorliegen müssen.
Solche Umstände waren hier nicht gegeben: Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist österreichische Staatsbürgerin; sie hat ihren ständigen Wohnsitz in Österreich. Den einschreitenden Beamten war bekannt, daß sich der Beschwerdeführer in seiner ehelichen Wohnung aufhielt. Er war - wie dargetan - den Gendarmeriebeamten freiwillig von dort zum Gendarmerieposten Gisingen gefolgt. Unter diesen Umständen war es höchst unwahrscheinlich, daß er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde, zumal er bloß verdächtig war, Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, die nicht mit besonderer Strenge sanktioniert sind. Die Beamten konnten weder annehmen, daß der Beschwerdeführer im Inland "untertauchen" (bestand doch damals gegen ihn kein Aufenthaltsverbot), noch daß er ins Ausland flüchten werde (war es doch gerade seine erkennbare Absicht, nicht in seinem Heimatland, sondern in Österreich zu wohnen).
Festnahme und Anhaltung mangels gerechtfertigter Annahme von Fluchtgefahr in §35 litb VStG nicht gedeckt.
Der Begriff der Verhaftung iSd - auf Verfassungsstufe stehenden (Art149 Abs1 B-VG) - Gesetz vom 27.10.1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, erfaßt zwar alle unmittelbaren Freiheitsbeschränkungen, auch wenn diese nicht formell als Verhaftung verfügt worden sind (vgl. zB VfSlg. 9494/1982, 10.526/1985).
Dennoch ist das in Beschwerde gezogene Verhalten der Gendarmeriebeamten nicht als Verhaftung iSd zitierten Gesetzes zu werten.
Der Beschwerdeführer wurde weder formell festgenommen noch war der Wille der einschreitenden Beamten - objektiv - darauf gerichtet, seine Freiheit zu beschränken. Der von den Beamten geäußerte Wunsch, der Beschwerdeführer möge mit ihnen zum Gendarmerieposten kommen, stellte keinen - sofortige Befolgung heischenden - Befehl dar, bei dessen Nichtbefolgung er mit der Ausübung von körperlichem Zwang zu rechnen gehabt hätte.
Zurückweisung der Beschwerde mangels Zuständigkeit (vgl. zB VfSlg. 8879/1980, 9494/1982, 10.526/1985).
Da beide Parteien teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, waren die Kosten gemäß §43 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG gegeneinander aufzuheben (vgl. zB VfSlg. 10.363/1985).
Schlagworte
Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung, Fluchtgefahr, VfGH / Zuständigkeit, VfGH / KostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B253.1987Dokumentnummer
JFR_10128793_87B00253_01