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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; unvertretbare Annahme einer Verwaltungsüberhebung nach ArtIX Abs1 Z1 EGVG; das als Ordnungsstörung angesehene Verhalten fand bei einer für einen geschlossenen Vertrauenskreis bestimmten Versammlung im Gemeindesaal statt - kein öffentlicher Ort; Verletzung der persönlichen Freiheit durch rechtswidrige Festnahme nach §35 VStGRechtssatz
Die Festnehmung des Beschwerdeführers wurde von einem Organ der Gendarmerie über Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Melk ausgesprochen. Der Gendarmeriebeamte hat somit Vollziehungsgewalt in deren Namen ausgeübt, sodaß der Verwaltungsakt ihr zuzurechnen ist (vgl. VfSlg. 8146/1977, 9229/1981, zuletzt VfGH 28.11.86 B46/85). Belangte Behörde ist somit die Bezirkshauptmannschaft Melk.
Die vom Beschwerdeführer namens der Wassergenossenschaft am Oberen Ybbser Mühlbach erhobene Beschwerde ist nicht zulässig. Durch eine Festnahme kann nur eine natürliche Person, nicht aber eine juristische Person - bei einer Wassergenossenschaft handelt es sich um eine solche - im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt werden.
Verletzung der persönlichen Freiheit durch Festnahme wegen Störung einer nichtöffentlichen Sitzung.
Angesichts der hier in Rede stehenden Sach- und Rechtslage ist es offenkundig, daß das zweite Tatbestandselement des ArtIX Abs1 Z1 EGVG, nämlich das der Störung der Ordnung an einem öffentlichen Ort, nicht vorliegt. Als öffentlicher Ort wurde in der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts jeder Ort erachtet, der jederzeit von einem nicht von vornherein zahlenmäßig beschränkten Personenkreis betreten werden kann (vgl. VfSlg. 8685/1979, VwSlg. 6581 A/1965). Der Beschwerdeführer beging das ihm angelastete Verhalten bei einer Proponentensitzung zwecks Gründung eines Wasserverbandes, die in einem Sitzungssaal des Bürgermeisteramtes der Marktgemeinde N stattfand. Bei der Sitzung waren nur Proponenten und zwecks Informationserteilung eingeladene Behördenvertreter anwesend; im Hinblick auf den Zweck der Sitzung handelte es sich um eine für einen geschlossenen Personenkreis bestimmte Versammlung im Gemeindesaal, zu der ausschließlich Personen aus gegebenem Anlaß persönlich eingeladen worden waren. Der bloße Umstand, daß es dem Beschwerdeführer - und in seiner Begleitung zwei weiteren Personen - möglich war, den Sitzungssaal zu betreten, erlaubt weder den Schluß, daß der Zutritt zur Sitzung für fremde Personen offenstand, noch ist die Sitzung dadurch, daß mehrere außenstehende Personen sich zu der Sitzung Zutritt verschafften, öffentlich geworden. Fand aber das nach Meinung der belangten Behörde Ärgernis erregende und die Ordnung störende Verhalten des Beschwerdeführer nicht an einem öffentlichen Ort statt - was unter den gegebenen Umständen offenkundig war - dann konnten die einschreitenden Gendarmerieorgane auch nicht vertretbarerweise auf das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs1 Z1 EGVG schließen.
Rechtswidrigkeit der Festnahme, da eine der Voraussetzungen des §35 VStG fehlte.
Keine vertretbare Annahme einer Übertretung des ArtIX Abs1 Z1 EGVG, da das Verhalten des Beschwerdeführer an keinem öffentlichen Ort stattfand.
Schlagworte
VfGH / LegitimationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B805.1987Dokumentnummer
JFR_10119775_87B00805_01