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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Bedenken gegen §303 Abs4 BAO im Hinblick auf das Gleichheitsgebot; hinreichende Bestimmtheit des eingeräumten Ermessens durch den Gesetzgeber; Außerachtlassen des das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme rechtfertigenden Zieles ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis zu erzielen - gleichheitswidrige Ausübung des Ermessens durch die bel. Beh. infolge Ignorierens des Zusammenhanges zwischen den Rechnungsjahren; Beschränkung der Wiederaufnahme nur zum Nachteil des Bf. auf ein Rechnungsjahr; Unterstellung eines gleichheitswidrigen Gesetzesinhalts - im Bereich der von ausländischen Bf. geltend gemachten Verletzung des Eigentumsrechtes als ein einer Gesetzlosigkeit gleichkommender Fehler zu wertenRechtssatz
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde das Verfahren betreffend die USt für 1979 von Amts wegen wiederaufgenommen und (gemäß §307 Abs1 BAO gleichzeitig) die USt für 1979 neu festgelegt. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist ein bloß die Wiederaufnahme des Verfahren verfügender Bescheid schon begrifflich nicht geeignet, in das Eigentum des Steuerpflichtigen einzugreifen (vgl. zB VfSlg. 5442/1966, 8230/1977, 9069/1981). Der Verfassungsgerichtshof sieht auf Grund des vorliegenden Beschwerdefalles keine Veranlassung, zu erörtern, ob diese Judikatur in dieser Allgemeinheit aufrechtzuerhalten ist; denn im vorliegenden Fall einer Verbindung der Entscheidung über die Wiederaufnahme mit der Erlassung des Steuerbescheides selbst liegt jedenfalls ein Eingriff in das Eigentum des Beschwerdeführers vor.
Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg. 5429/1966 dargelegt, daß §303 Abs4 BAO der Behörde einen gewissen Spielraum einräumt. Das bedeute aber nicht, daß es in ihr Belieben gestellt wäre, ein Verfahren wiederaufzunehmen oder nicht: "Die Behörde hat das ihr eingeräumte Ermessen vielmehr iS einer ordnungsgemäß Führung der Verwaltung auszuüben. Der Abgabepflichtige hat wohl keinen subjektiven Rechtsanspruch auf das gesetzmäßige Tätigwerden der Behörde. Allein nimmt diese - sei es auf Anregung der Partei oder von Amts wegen - wahr, daß die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme gegeben sind, hat sie, gleichgültig ob zum Vorteil oder Nachteil des Abgabepflichtigen die Wiederaufnahme zu verfügen. Damit ist Sinn und Grenze des eingeräumten Ermessens hinreichend bestimmt."
Der Verfassungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis die Bestimmung des §303 Abs4 BAO auch auf ihre Gleichheitskonformität untersucht und ist dabei zum Ergebnis gelangt, daß diese Bestimmung nicht gleichheitswidrig ist, da sie "durch das Ziel zu einer rechtmäßigen Entscheidung zu kommen, gerechtfertigt (ist). Die Regelung wird nicht dadurch unsachlich, daß es nicht ausgeschlossen ist, daß die Behörde ihren Pflichten nicht nachkommen will."
Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei dieser Auffassung.
Verletzung im Eigentumsrecht durch gleichheitswidrige Gesetzesauslegung (Beschwerdeführer ist deutscher Staatsangehöriger).
Die belangte Behörde hat zunächst akzeptiert, daß der Beschwerdeführer Vorsteuern für 1979 geltend gemacht hat und dementsprechend die Umsatzsteuerbescheide für 1979 und 1980 erlassen. Nunmehr ist sie - nach der Bescheidbegründung infolge einer erst im Zuge einer Betriebsprüfung bekannt gewordenen Rechnung - der Auffassung, daß der fragliche Vorsteuerbetrag nicht 1979, sondern erst 1980 wirksam geworden ist. Sie hat nun das Umsatzsteuerverfahren für 1979 wiederaufgenommen und mit dem (im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen) Umsatzsteuerbescheid für 1979 dem Beschwerdeführer den Vorsteuerabzug für dieses Jahr mit der Begründung versagt, daß dieser erst für 1980 hätte geltend gemacht werden dürfen. Gleichzeitig hat sie aber eine Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens für 1980 unterlassen.
Mit diesem Verhalten hat die belangte Behörde das ihr bei der Erlassung eines Wiederaufnahmebescheides zukommende Ermessen (vgl. Stoll, Ermessen im Steuerrecht, ÖJT 1970, Bd I/2, 129ff; Fachgutachten Nr. 67 des Fachsenates für Steuerrecht des Instituts für Betriebswirtschaft, Steuerrecht und Organisation der Kammer der Wirtschaftstreuhänder) gleichheitswidrig, weil nur zum Nachteil, nicht aber auch zugunsten des Beschwerdeführer ausgeübt. Durch die Beschränkung der Wiederaufnahme auf das Verfahren betreffend die Umsatzsteuer für 1979 hat sie das der amtswegigen Wiederaufnahme zugrunde liegende und dieses Rechtsinstitut rechtfertigende Ziel, ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis zu erreichen (vgl. etwa Stoll, BAO - Handbuch, 1980, 712, der in diesem Zusammenhang treffend vom Vorrang des Prinzips der Rechtsrichtigkeit spricht) vollständig außer Acht gelassen. Sie hat nämlich - zum Nachteil des Beschwerdeführer - den Zusammenhang zwischen den Rechnungsjahren 1979 und 1980 (vgl. zum Bilanzzusammenhang im Hinblick auf das Einkommensteuerrecht etwa VwGH 02.03.51, Z 306/50; 30.10.51, Z 1168/49; 01.12.81, Z 81/14/0017 mwH) ignoriert und dadurch §303 BAO einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Eine Ermessensübung, wie sie von der belangten Behörde in dem zur Beurteilung stehenden Fall vorgenommen wurde, stellt somit einen - verfassungswidrigen - Ermessensmißbrauch dar (vgl. insofern auch Gassner, ÖStZ 1985, 7f).
Mißbrauch des durch §303 Abs4 BAO der Behörde eingeräumten Ermessens durch gleichheitswidrige Auslegung dieser Bestimmung (Gleichheitsverletzung kommt dem Beschwerdeführer gegenüber als einem ausländischen Staatsangehörigen nicht in Betracht).
Schlagworte
Finanzverfahren, VfGH / Wiederaufnahme, ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B70.1987Dokumentnummer
JFR_10119695_87B00070_01