RS Vfgh 1988/3/7 B567/87

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Veröffentlicht am 07.03.1988
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art140 Abs5
MRK Art8
FrPG §3
FrPG §6 Abs1 zweiter Satz
FrPG §8

Leitsatz

Eingriff in das - unter Gesetzesvorbehalt gewährleistete - Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Verweigerung der Bewilligung zum Wiederbetreten des Bundesgebietes; langjähriger Aufenthalt des Bf. im Inland, private Beziehungen zu in Österreich wohnhaften Personen FrPG 1954 idF BGBl. 555/1986; §6 Abs1 zweiter Satz gewinnt Inhalt nur iZm. §3; §3 infolge Fristsetzung durch Erk. VfSlg. 11455/1987 verfassungsrechtlich unangreifbar - §6 Abs1 vorerst saniert; im Hinblick auf Möglichkeit der Aufhebung eines verhängten Aufenthaltsverbotes (§8) Annahme nicht denkunmöglich, daß auf §6 Abs1 zweiter Satz gestützter Antrag auf Bewilligung zum Wiederbetreten des Bundesgebietes kein geeigneter Weg zur ständigen Rückkehr nach Österreich ist

Rechtssatz

Die Verweigerung der Bewilligung nach §6 Abs1 zweiter Satz FrPG, trotz eines bestehenden Aufenthaltsverbotes das Bundesgebiet zu betreten, kann in das durch Art8 MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingreifen (vgl. zB VfSlg. 10.737/85; VfGH 26.02.87 B923/86). Im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführer im Inland und seine glaubhaften privaten Beziehungen zu in Österreich wohnhaften Personen liegt ein solcher Eingriff hier tatsächlich vor. Dieser Eingriff in das durch Art8 MRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 MRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbeonderes einen dem Art8 Abs1 MRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 MRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. die ständige Rechtsprechung zu anderen, unter Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechten, zB VfSlg. 9720/1983, 10.482/1985, 10.615/1985; VfGH 01.12.87 B446/87, S 9).

Keine Bedenken gegen §6 Abs1 zweiter Satz FrPG.

Während §8 FrPG die Aufhebung eines verhängten Aufenthaltsverbotes zum Gegenstand hat, sieht §6 Abs1 zweiter Satz leg. cit. die vorübergehende Sistierung der Rechtswirkungen eines solchen Verbotes vor. Die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu §8 FrPG (zB VfGH 26.02.87, B923/86) ist also hier sinngemäß anzuwenden. §6 Abs1 zweiter Satz FrPG gewinnt (ebenso wie §8) seinen Inhalt nur im Zusammenhalt mit §3 FrPG über das Aufenthaltsverbot. Maßgebend ist die Fassung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides, also jene nach der FrPG-Novvelle 1986, BGBl. 555. §3 FrPG idF der Novelle wurde mit E v 29.09.87, G138-141/87 als verfassungswidrig aufgehoben; der Verfassungsgerichtshof verfügte jedoch, daß diese Aufhebung erst mit Ablauf des 31.12.87 in Kraft tritt. §3 FrPG idF der Novelle 1986 ist aufgrund dieses Erkenntnisses verfassungsrechtlich unangreifbar geworden; diese Bestimmung kann daher jedenfalls bis zum Außerkrafttreten des §3 FrPG idF der Novelle 1986 innerstaatlich nicht in Widerspruch zu dem auf Verfassungsstufe befindlichen Art8 MRK stehen (vgl. VfGH 26.02.87 B923/86). Damit aber war auch §6 Abs1 zweiter Satz FrPG vorerst verfassungsrechtlich saniert.

Keine Verletzung des Art8 MRK durch Verweigerung der Bewilligung nach §6 Abs1 zweiter Satz FrPG, trotz eines bestehenden Aufenthaltsverbotes das Bundesgebiet zu betreten.

Die Behörde hat dem Gesetz keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Sie hat - wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt - eine zumindest vertretbare Abwägung zwischen den Interessen des Beschwerdeführers an der Einreise nach Österreich und den öffentlichen Interessen daran, daß er das Bundesgebiet nicht wiederbetritt, vorgenommen. Wenn die Behörde von der Ansicht ausgeht, daß ein auf §6 Abs1 zweiter Satz FrPG gestützter Antrag auf Bewilligung zum Wiederbetreten des Bundesgebietes kein geeigneter Weg ist, um trotz eines Aufenthaltsverbotes wieder für ständig nach Österreich zurückkehren zu dürfen, hat sie im Hinblick auf §8 FrPG, der ausdrücklich erlaubt, ein verhängtes Aufenthaltsverbot aufzuheben, das Gesetz wenigstens denkmöglich ausgelegt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Fremdenpolizei, Aufenthaltsverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B567.1987

Dokumentnummer

JFR_10119693_87B00567_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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