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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Rechtskraft des in einem Gesetzesprüfungsverfahren gefällten Erkenntnisses setzt Identität der Bedenken und der Norm voraus; hier: keine Identität der Norm Bgld. JagdG 1970; Entscheidung über Ersatz von Jagd- und Wildschäden - Zivilrecht iS des österreichischen Rechtssystems; Angelegenheit des Kernbereiches der "civil rights"; Bezirksschiedskommission kein Tribunal - nachprüfende Kontrolle durch Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof nicht ausreichend iS des Art6 Abs1 MRK - Aufhebung des dritten und vierten Satzes in §123 Abs2 als verfassungswidrigRechtssatz
Es ist offenkundig, daß der Verwaltungsgerichtshof in den bei ihm anhängigen Verfahren den dritten Satz des §123 Abs2 JagdG anzuwenden hat, weil darin die Zusammensetzung der vor dem Verwaltungsgerichtshof belangten Kollegialbehörde geregelt wird. Mit der im dritten Satz des §123 Abs2 JagdG enthaltenen Vorschrift über die Bestellung der Mitglieder der Bezirksschiedskommission steht aber der vierte über die Möglichkeit der Rücknahme ihrer Bestellung in untrennbarem Zusammenhang.
Prüfung der beiden letzten Sätze des §123 Abs2 Bgld. JagdG 1970 auf Antrag des Verwaltungsgerichtshofes.
Die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung des ersten und zweiten Satzes des Abs2 sowie der Abs3 und 4 des §123 JagdG sind zurückzuweisen.
Mag der Verwaltungsgerichtshof auch die ersten beiden Sätze des §123 Abs2 sowie Abs3 und 4 in den anhängigen Beschwerdefällen anzuwenden haben, so beziehen sich doch die geltend gemachten Bedenken nicht auf diese Vorschriften. Weder die Regelung über den Wirkungsbereich, den Sitz, die Benennung oder die Amtsdauer der Kommission (§123 Abs2 erster und zweiter Satz JagdG), noch jene über ihre Einberufung, Beschlußfähigkeit, über ihre Sach- und Kostenentscheidungen (§123 Abs3 JagdG), noch über die Unzulässigkeit eines weiteren Rechtsmittels (§123 Abs4 JagdG) berühren die Zusammensetzung der Bezirksschiedskommission und die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ihrer Mitglieder. Es besteht auch insofern kein untrennbarer Zusammenhang mit dem dritten und vierten Satz des §123 Abs2 JagdG, als deren Aufhebung den verbleibenden Inhalt des Gesetzes zwar unanwendbar macht, aber nicht in eine andere Richtung verändert. Es ist daher nicht erforderlich, andere als die in Prüfung gezogenen beiden Sätze drei und vier des §123 Abs2 JagdG aufzuheben, wenn sich die Bedenken als begründet erweisen (vgl. VfGH 16.12.87, G129/87 ua.).
Prüfung der beiden letzten Sätze des §123 Abs2 Bgld. JagdG 1970 auf Antrag des Verwaltungsgerichtshofes - Keine res iudicata.
Der Fällung einer Sachentscheidung über die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes steht die Rechtskraft des Erkenntnisses VfSlg. 5100/1965 nicht entgegen. Wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat (VfSlg. 5872/1968, 9186/1981, E v 03.03.87, G134,135,136/86) kann zwar dem Art140 B-VG nur der Sinn beigemessen werden, daß über bestimmt umschriebene Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes lediglich ein einziges Mal entschieden werden kann. Der Verfassungsgerichtshof hatte auch im Erkenntnis VfSlg. 5100/1965 den gleichen Bedenken hinsichtlich der Schiedsgerichte nach Bgld. Jagdrecht nachzugehen, wie sie nunmehr der Verwaltungsgerichtshof gegen die Einrichtung der Bezirksschiedskommission vorbringt. Die Rechtskraft des in einem Verfahren nach Art140 B-VG gefällten Erkenntnisses setzt aber nicht nur Identität der Bedenken, sondern auch Identität der Norm voraus. Die Rechtskraft des zu §99 Bgld. JagdG, LGBl. 2/1951, gefällten Erkenntnisses VfSlg. 5100/1965 steht daher der Prüfung des - neuen - §123 JagdG, LGBl. 30/1970, nicht entgegen, mögen auch die verfassungsrechtlichen Bedenken dieselben wie in jenem Verfahren sein.
Aufhebung der beiden letzten Sätze des §123 Abs2 Bgld. JagdG 1970 auf Antrag des Verwaltungsgerichtshofes.
Die letzten beiden Sätze des §123 Abs2 JagdG über die Zusammensetzung und Bestellung der Mitglieder der Bezirksschiedskommission verstoßen gegen das durch Art6 Abs1 MRK gewährleistete Recht, von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört zu werden, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat.
Die Bezirksschiedskommission nach §123 JagdG, die zur Entscheidung über Ansprüche auf Ersatz von Jagd- und Wildschäden (in zweiter Instanz) berufen ist, ist eine Verwaltungsbehörde, deren Mitglieder wegen Pflichtverletzung jederzeit abberufen werden können und der der Gesetzgeber auch sonst nicht die Stellung eines unabhängigen und unparteiischen Tribunals iSd Art6 MRK eingeräumt hat.
Ansprüche auf Ersatz von Jagd- und Wildschäden gehören jedoch zum Kernbereich der "civil-rights", für den die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht.
Im übrigen wird auf die Begründung des E v 16.12.87, G129/87 ua. verwiesen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Jagdrecht, Jagdschaden, Wildschaden, VfGH / Bedenken, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:G211.1987Dokumentnummer
JFR_10119690_87G00211_01