RS Vfgh 1988/3/12 B942/87

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Veröffentlicht am 12.03.1988
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Beschlagnahme
B-VG Art144 Abs1 / Hausdurchsuchung
B-VG Art144 Abs1 / Sachentscheidung
StGG Art5
StGG Art9
MRK Art8
FMG 1949 §26 Abs1
VStG 1950 §39 Abs1 und Abs2
VwGG §42 Abs4
ZPO §43
VfGG §87 Abs1
VfGG §88

Leitsatz

Gesetz zum Schutze des Hausrechts; keine Durchsuchung bei fernmeldebehördlicher Nachschau-Geräte frei sichtbar im Raum aufgestellt; Zurückweisung der Beschwerde mangels anfechtbaren Beschwerdegegenstandes Art5 StGG; §39 Abs1 und Abs2 VStG; kein "unverzüglicher" bescheidmäßiger Abspruch über das Vorliegen der Voraussetzungen einer vorläufigen Beschlagnahme; keine Rückstellung der beschlagnahmten Gegenstände -; andauernder Eigentumseingriff - nicht als behördliche Untätigkeit (Säumnis) zu qualifizieren; Verletzung des Eigentumsrechtes durch Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler VfGG §87 Abs1; Aufhebung einer im Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH fortdauernden Maßnahme verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

Rechtssatz

Nichts deutet darauf hin, daß das Erhebungsorgan nach einem Gegenstand, von dem es unbekannt ist, wo er sich befindet, gesucht hat. Die beiden, später beschlagnahmten Fernmeldegeräte waren vielmehr im Büroraum, den das Erhebungsorgan zwecks Nachschau betreten hatte, frei sichtbar aufgestellt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt eine Hausdurchsuchung nur vor, wenn nach Personen oder Sachen, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden, gesucht wird (VfSlg. 5080/1965, 6528/1971, 9766/1983, 10547/1985).

Da im vorliegenden Fall keine Durchsuchung durch ein behördliches Organ stattfand, war die Beschwerde diesbezüglich mangels eines anfechtbaren Beschwerdegegenstandes zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 8363/1978, VfGH 07.10.81, B55/81).

Betreten von Büroräumen zwecks Beschlagnahme von Gegenständen.

Wie bereits der Wortlaut des §39 Abs2 VStG zeigt, bildet die Beschlagnahme durch Organe der öffentlichen Aufsicht lediglich eine "vorläufige" Maßnahme. Da die Beschlagnahme selbst gemäß §39 Abs1 VStG von der zuständigen Behörde durch Bescheid anzuordnen ist, hat die Behörde über die von ihrem Hilfsorgan "aus eigener Macht" (§39 Abs2 VStG) vorläufig in Beschlag genommenen Gegenstände unverzüglich bescheidmäßig abzusprechen (Mannlicher,

Das Verwaltungsverfahren, 1964, 422; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 1987, 307) oder die beschlagnahmten Gegenstände zurückzustellen. Solange die Behörde die Beschlagnahme weder durch Bescheid bestätigt noch die beschlagnahmten Gegenstände tatsächlich zurückgegeben hat, liegt eine die gesamte Dauer der Beschlagnahme umfassende Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor, die als solche vom Verfassungsgerichtshof darauf zu untersuchen ist, ob sie mangels einer gesetzlichen Grundlage oder wegen einer der Gesetzlosigkeit gleichzuhaltenden Denkunmöglichkeit der Gesetzesanwendung in das Eigentumsrecht eingreift (vgl. auch VfSlg. 9099/1981; VfGH 04.10.80, B625/78 und 12.06.86, B906/84).

Die belangte Behörde hat nach ihrer eigenen Darstellung in der Gegenschrift weder über die Beschlagnahme durch Bescheid abgesprochen, noch hat sie die beschlagnahmten Geräte tatsächlich zurückgegeben. Der Beschwerdeführer hat allerdings bis zur mündlichen Verhandlung am 19.11.87 die Behörde auch nicht zur Rückgabe der beiden Geräte aufgefordert. Spätestens nach der am 19.11.87 durchgeführten mündlichen Verhandlung, bei der auch ein Vertreter des Beschwerdeführers anwesend war, wäre die belangte Behörde in der Lage und daher auch verpflichtet gewesen, über den fortdauernden Grundrechtseingriff der Beschlagnahme durch Bescheid abzusprechen. Denn zu diesem Zeitpunkt mußte ihr ein Urteil darüber möglich sein, ob die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme gemäß §39 Abs1 VStG vorlagen. Durch ihr Verhalten hat die belangte Behörde einen Fehler begangen, welcher der Gesetzlosigkeit gleichzusetzen ist. Die andauernde behördliche Beschlagnahme der beiden Fernmeldegeräte verletzt daher nach dem 19.11.87 das verfassungsgesetzlich geschützte Recht des Beschwerdeführers auf sein Eigentum.

Daß das Erhebungsorgan der belangten Behörde bei seinem Vorgehen am 05.08.87 vom Verdacht einer Verwaltungsübertretung nach §26 Abs1 FernmeldeG ausgegangen ist und wegen Gefahr im Verzug iSd §39 Abs2 VStG die beiden Funkgeräte vorläufig in Beschlag nahm, erscheint dem Verfassungsgerichtshof aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes eine durchaus denkmögliche Anwendung des Gesetzes. Durch die vorläufige Beschlagnahme zwischen 05.08. und 19.11.87 wurde daher das verfassungsgesetzliche Eigentumsrecht nicht verletzt.

Beschlagnahme von Fernmeldegeräten wegen Verdachts der Übertretung des §26 Abs1 FMG. Die belangte Behörde hat nach ihrer eigenen Darstellung in der Gegenschrift weder über die Beschlagnahme durch Bescheid abgesprochen, noch hat sie die beschlagnahmten Geräte tatsächlich zurückgegeben. Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens ab dem Tag der mündlichen Verhandlung im Verwaltungsstrafverfahren.

In VfSlg. 9503/1982, wo die Einbehaltung eines abgenommenen Führerscheines angegriffen wurde und in VfSlg. 9348/1982, wo die Einbehaltung von Unterlagen aufgrund einer Beschlagnahmeanordnung - also eines Bescheid - gerügt wurde, mußte der Verfassungsgerichtshof die Beschwerden, die lediglich auf die rechtswidrige Säumnis der Behörde abstellten, mangels eines anfechtbaren Beschwerdegegenstandes zurückweisen. Anders als in diesen Fällen dauert bei einer vorläufigen Beschlagnahme der von der Behörde zwangsweise und unmittelbar verfügte Eigentumseingriff bis zum Erlaß eines Bescheides darüber oder bis zur Rückstellung der beschlagnahmten Gegenstände an. Der durch die vorläufige Beschlagnahme bewirkte unmittelbare behördliche Zugriff wird rechtswidrig und verletzt das Eigentumsrecht, wenn nicht unverzüglich, das heißt so rasch wie möglich, von der zuständigen Behörde ein Bescheid gemäß §39 Abs1 VStG erlassen oder der beschlagnahmte Gegenstand zurückgestellt wird.

Es war nicht nur die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes des Beschwerdeführers festzustellen, sondern auch die fortdauernde Maßnahme aufzuheben. §87 Abs1 VfGG sieht nämlich vor, daß "gegebenenfalls" der angefochtene Verwaltungsakt aufzuheben ist. Eine derartige Aufhebung kommt nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes nicht nur bei Bescheiden, sondern auch bei Maßnahmen unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Betracht (vgl. in diesem Sinne auch §42 Abs4 VwGG sowie schon VfSlg. 5635/1967), wenn die Maßnahme zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes noch andauert.

Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens bis zum Tag der mündlichen Verhandlung im Verwaltungsstrafverfahren.

Teilweise Abweisung, teilweise Stattgebung.

Da jede der beiden Parteien teils obsiegt, teils unterliegt, waren deren Kosten gemäß §88 VfGG iVm §43 ZPO gegeneinander aufzuheben.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Hausrecht, Hausdurchsuchung, Beschlagnahme, Fernmelderecht, VfGH / Bescheid, VfGH / Sachentscheidung, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B942.1987

Dokumentnummer

JFR_10119688_87B00942_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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