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10 VerfassungsrechtNorm
StGG Art13 Abs1Leitsatz
Bloß zufälliges Zusammentreffen mehrerer Menschen keine Versammlung Versammlungen (im engeren Sinn) unterliegen nicht der Bewilligungspflicht sondern der Anzeigepflicht; Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Aufstellen eines Informationstisches ohne Bewilligung; Zweck dieser Veranstaltung Information zufällig vorüberkommender Passanten; keine Versammlung mangels "gewisser Assoziation der Zusammengekommenen"; keine Verletzung des Rechtes auf Versammlungsfreiheit; Möglichkeit der Berührung des Rechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit entsprechen materiellem Gesetzesvorbehalt des Art10 Abs2 MRK; keine Bedenken gegen Abwägung des Interesses an der Meinungsäußerungsfreiheit gegen jenes des Straßenverkehrs durch Organe der Vollziehung im Einzelfall; keine denkunmögliche GesetzesanwendungRechtssatz
Keine Bedenken gegen §82 Abs1 und 5 und §99 Abs3 litd StVO 1960 hinsichtlich Meinungsäußerungsfreiheit.
Die Bestimmung des §82 Abs1 StVO zielt nicht auf eine Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung ab (vgl. zB VfSlg. 10.700/1985). Sie bewirkt - anders als etwa §3 FremdenpolizeiG (vgl. VfGH 27.09.87 G138-141/87) - nicht im Regelfall einen Eingriff in ein Grundrecht. Allerdings kann sie in manchen Fällen (etwa wenn die Straße zum Flugzettelverteilen benützt werden soll) das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit berühren (vgl. die in diese Richtung gehende neuere Judikatur, so etwa VfSlg. 10.700/1985 und VfGH 19.03.87 G147/86 ua. Zlen., 02.07.87 B334/86; soweit aus der älteren Judikatur - VfSlg. 5619/1967, 5663/1968, 8461/1978 - in Bezug auf die Meinungsäußerungsfreiheit ein anderes Ergebnis ableitbar ist, wird sie nicht aufrechterhalten). Die Regelung des §82 Abs1 und 5 StVO 1960 (wonach das Verteilen von Druckwerken auf Straßen mit öffentlichem Verkehr an eine behördliche Bewilligung gebunden ist) liegt ebenso wie jene des §99 Abs3 litd StVO 1960 (die für das Unterlassen eines entsprechenden Antrages eine Strafsanktion vorsieht) im Interesse der bestimmungsmäßigen Verwendung der Straße mit öffentlichem Verkehr (siehe §82 Abs5 StVO 1960), also im Interesse der öffentlichen Sicherheit und der Aufrechterhaltung der Ordnung und entspricht damit dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art10 Abs2 MRK. Die Beschränkung der Verwendung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken kann in jenen Fällen, in denen dies zu einer Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit führt, durchaus in einem angemessenen Verhältnis zu dem vom Gesetz (siehe §82 Abs5 StVO) verfolgten Ziel der Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Straßenverkehrs stehen (vgl. zB VfSlg. 10.700/1985). Der Verfassungsgerichtshof hat daher keine Bedenken dagegen, daß es der Gesetzgeber weitgehend den Organen der Vollziehung überläßt, im Einzelfall das Interesse an der Meinungsäußerungsfreiheit gegen jenes des Straßenverkehrs abzuwägen. Das Gesetz und seine Vollziehung sind solange verfassungsrechtlich unbedenklich, als keine unverhältnismäßige Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit bewirkt wird. So könnte es etwa an sich verfassungswidrig sein, wenn das Bewilligungsverfahren verzögert oder für die Bewilligung unzumutbar hohe Gebühren vorgeschrieben würden.
Keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit durch Verwaltungsstrafe gemäß §82 Abs1 iVm §99 Abs3 litd StVO wegen Benützung einer öffentlichen Verkehrsfläche zu verkehrsfremden Zwecken (Verteilen von Flugzetteln) ohne Bewilligung.
Bei Beurteilung der anstehenden Frage ist davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer keine Versammlung iSd VersG 1953 veranstaltet hat.
§82 Abs1 StVO 1960 ist daher im vorliegenden Fall nicht etwa deshalb von vornherein unanwendbar, weil die Flugzettel und die anderen Druckwerke in wesentlichem Zusammenhang mit einer Versammlung verteilt wurden.
Der Beschwerdeführer hat es verabsäumt, seiner - ihm verfassungsrechtlich unbedenklich auferlegten - Pflicht nachzukommen, eine Bewilligung nach §82 Abs1 StVO 1960 zu erwirken. Die Behörde hat, indem sie ihn deshalb bestraft hat, das Gesetz nicht denkunmöglich angewendet.
Schlagworte
Meinungsäußerungsfreiheit, Straßenpolizei, GrundrechteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B970.1987Dokumentnummer
JFR_10119688_87B00970_01