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L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Berichtigende Interpretation des auf einen Fehler bei der Wiederverlautbarung zurückzuführenden Wortlautes des §4 Abs1 Ktn. SozialhilfeG; keine Prüfung nach Art139a B-VG - Sinnlosigkeit dieses Verfahrens unter den gegebenen Umständen; Feststellung der Rechtswidrigkeit der Norm nach Art140 Abs4 B-VG Ktn. SozialhilfeG; Gesamteinkommen der Haushaltsgemeinschaft maßgebend für Unterstützungshöhe; Einbeziehung der Einkünfte der im Haushalt wohnenden unterhaltsberechtigten Angehörigen des Hauptunterstützten sachlich nicht gerechtfertigt; Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §4 Abs1 wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot nach Art140 Abs4 B-VG ungeachtet des Umstandes, daß die geltende Regelung inhaltlich mit der als verfassungswidrig festgestellten übereinstimmt Ktn. Sozialhilfe-LeistungsV 1986; Feststellung der Gesetzwidrigkeit des §1 Abs2 wegen Widerspruchs zu §8 Abs4 Ktn. SozialhilfeG; verfehlte Festlegung der RichtsatzhöchtsgrenzeRechtssatz
Fehler im Text der Wiederverlautbarung
Das K-SHG 1981 ist eine Wiederverlautbarung des Ktn. SozialhilfeG, LGBl. 40/1975, idF der Novellen LGBl. 20/1976, 23/1978 und 62/1980 (K-SHG 1975). §4 Abs1 K-SHG 1975 sprach von "unterhaltsberechtigten Angehörigen des Hilfsbedürftigen", während im §4 Abs1 K-SHG 1981 von "unterhaltspflichtigen Angehörigen des Hilfsbedürftigen" die Rede ist. Diese - bei wörtlicher Interpretation geradezu unverständliche - Textierung ist also nicht auf ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers zurückzuführen, sondern auf einen Fehler bei der Wiederverlautbarung.
Der Verfassungsgerichtshof hält es aber unter den besonderen hier vorliegenden Umständen nicht für nötig, die Wiederverlautbarung in einem Verfahren nach Art139a B-VG zu prüfen: Der wiederverlautbarte Text des §4 Abs1 K-SHG 1981 kann nämlich ohnehin berichtigend dahin ausgelegt werden, daß unter den hier erwähnten "unterhaltspflichtigen Angehörigen des Hilfsbedürftigen" jene Angehörigen zu verstehen sind, denen gegenüber der Hilfsbedürftige unterhaltspflichtig ist. §4 Abs1 K-SHG 1981 hat sohin einen Inhalt, der mit §4 Abs1 K-SHG 1975 identisch ist. Die in den Einleitungsbeschluß enthaltenen Bedenken gelten also in gleicher Weise für §4 Abs1 K-SHG 1981 wie für §4 Abs1 K-SHG 1975. Wie in der Folge dargetan wird, treffen die Bedenken zu. Es wäre mithin sinnlos, zunächst in einem Verfahren nach Art139a B-VG den dem K-SHG 1975 entsprechenden Rechtszustand herzustellen, um in der Folge zum selben Ergebnis wie ohne Zwischenschaltung eines solchen Verfahrens zu gelangen, nämlich zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Norm wegen Zutreffens der in den Einleitungsbeschluß dargestellten inhaltlichen Bedenken.
Gleichheitswidrigkeit der Wortfolge "und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltspflichtigen Angehörigen" im §4 Abs1 erster Satz des Ktn. SozialhilfeG 1981.
Aus §4 Abs1 iVm §8 Abs1 und 2 Ktn. SozialhilfeG (K-SHG) ergibt sich, daß eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes für den Fall, daß der Anspruchswerber als "Hauptunterstützter" in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, darin besteht, daß der Hauptunterstützte den Lebensbedarf für sich und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann; ferner geht aus diesen Vorschriften hervor, daß es für die Unterstützungshöhe auf das Einkommen der Haushaltsgemeinschaft ankommt, wobei die Einkünfte der im Haushalt wohnenden unterhaltsberechtigten Angehörigen des Hauptunterstützten (so auch die den Angehörigen von dritter Seite gewährten Alimente) zur Gänze in das Haushaltseinkommen einzubeziehen sind.
Eine gesetzliche Regelung dieses Inhaltes ist aber sachlich nicht zu rechtfertigen. Es ist nämlich nicht einzusehen, weshalb die dem Hauptunterstützten gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen in jedem Fall mit ihren Einkünften unbeschränkt zum Lebensunterhalt der anderen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft beitragen sollen, und zwar auch dann, wenn sie ihnen gegenüber gar nicht unterhaltspflichtig sind. Dies kann etwa dazu führen, daß der Vater oder die Mutter auf Kosten der ihren Kindern von dritter Seite gewährten Alimente lebt. Derartige Konstellationen sind keine vernachlässigbaren Härtefälle, sondern ergeben sich aus dem System der Regelung.
Das Gesetz stellt hinsichtlich der Unterstützungshöhe auf das Gesamteinkommen der Haushaltsgemeinschaft ab.
Die Novelle zum Ktn. SozialhilfeG, LGBl. 1/1988, hat §4 Abs1 neu gefaßt. Dadurch trat diese Bestimmung in der Stammfassung außer Kraft. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich daher gemäß Art140 Abs4 B-VG auf den Ausspruch zu beschränken, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge bis zum Inkrafttreten der zitierten Novelle verfassungswidrig war; dies ungeachtet des Umstandes, daß die nun geltende Regelung inhaltlich mit der als verfassungswidrig festgestellten übereinstimmt.
Verstoß des §1 Abs2 SH-LV 1986 gegen §8 Abs4 K-SHG.
§8 Abs4 Ktn. SozialhilfeG 1981 (K-SHG) ermächtigt den Verordnungsgeber dazu, Richtsatzhöchstgrenzen für eine unterstützte Haushaltsgemeinschaft derart vorzusehen, daß diese mit den vorgesehenen Beträgen ihren Lebensunterhalt iSd §7 Abs1 leg.cit. bestreiten kann. Nach dieser Gesetzesbestimmung sind die Richtsatzhöchstgrenzen so hoch anzusetzen, daß im Regelfall mit den dort vorgesehenen Geldleistungen das Auslangen gefunden werden kann und daß eine Erhöhung der richtsatzmäßigen Geldleistung gemäß §7 Abs3 K-SHG nur in außergewöhnlichen Einzelfällen erforderlich wird.
§1 Abs2 Ktn. SozialhilfeleistungsV (SH-LV) 1986 legt für eine Haushaltsgemeinschaft eine Richtsatzhöchstgrenze fest, die in der Regel den Betrag nicht überschreiten darf, der sich aus dem doppelten, für den Hauptunterstützten anzuwendenden Richtsatz ergibt (also für den Fall, daß der "allgemeine Richtsatz" anzuwenden ist, mit 2.620 S x 2 = 5.240 S). Dieser Höchstrichtsatz für eine Haushaltsgemeinschaft entspricht den Richtsatzpositionen für einen Hauptunterstützten, einen Haushaltsangehörigen ohne und einen solchen mit Anspruch auf Familienbeihilfe (2.620 S + 1.620 S + 920 S = 5.160 S). Ohne daß die SH-LV 1986 dies ausdrücklich besagt, ist "in der Regel" ab dem dritten Haushaltsangehörigen nahezu oder überhaupt keine Hilfe zum Lebensunterhalt mehr vorgesehen. So gebührt etwa für das zweite Kind und für weitere Kinder eines Ehepaares keine solche Hilfe. Die Einschränkung "in der Regel" nimmt auf §7 Abs3 K-SHG Bezug.
Der Fall, daß eine Haushaltsgemeinschaft neben dem Hauptunterstützten aus mehr als zwei weiteren Personen (Haushaltsangehörigen) besteht, ist kein seltener (vernachlässigbarer) Ausnahmefall, sondern eher die Regel. Dies wird durch die in der Äußerung der Kärntner Landesregierung enthaltenen Angaben über die durchschnittliche Haushaltsgröße und die Durchschnittskinderzahl belegt.
Auch wenn die Lebenshaltungskosten pro Person bei zunehmender Größe der Haushaltsgemeinschaft abnehmen mögen, so ist doch immer noch je weitere Person ein Aufwand iSd §7 Abs1 K-SHG in einiger Höhe erforderlich. Es ist also kein sachlicher Grund zu erkennen, die richtsatzmäßigen Geldleistungen für eine Haushaltsgemeinschaft ab dem dritten Haushaltsangehörigen derart abrupt zu kürzen.
Verstoß des §1 Abs2 Ktn. SozialhilfeleistungsV 1986 gegen §8 Abs4 Ktn. SozialhilfeG 1981.
§1 Abs2 der Ktn. SozialhilfeleistungsV (SH-LV) 1986 ist inzwischen durch §6 Abs1 SH-LV 1987, LGBl. 75/1986 mit 01.01.87 abgelöst worden. Die SH-LV 1986 ist mit diesem Zeitpunkt außer Kraft getreten.
Der Verfassungsgerichtshof hatte sich sohin gemäß Art139 Abs4 B-VG auf den Ausspruch zu beschränken, daß die in Prüfung gezogene - als gesetzwidrig erkannte - Verordnungsstelle gesetzwidrig war.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Wiederverlautbarung, Auslegung, SozialhilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:G158.1987Dokumentnummer
JFR_10119685_87G00158_01