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30 Finanzverfassung, FinanzausgleichNorm
B-VG Art10 Abs1 Z7Leitsatz
Klage gegen den Bund wegen vermögensrechtlicher Ansprüche aus dem Finanzausgleich; Ansprüche auf Ersatz von besonderen für Polizeiverwaltungsaufgaben erwachsenen Aufwendungen wurzeln im öffentlichen Recht - unabhängig vom geltend gemachten Rechtsgrund analog anwendbarer bürgerlichrechtlicher Vorschriften; keine res iudicata - Zulässigkeit der Klage Abschließende Regelung der Lastenverteilung zwischen Gebietskörperschaften; von §2 abweichende Regelung muß explizit erfolgen - keine planwidrige Gesetzeslücke; keine analoge Anwendung des ABGB; §4 hat nur Gesetzgeber als Adressat Verfassungskonforme Auslegung des §20 Abs4 iVm. ArtIII Abs1 der Novelle 1986; Kostenersatzansprüche der Stadtgemeinde Krems für die Besorgung von Polizeiverwaltungsaufgaben können erst ab Inkrafttreten der Novelle geltend gemacht werden, stehen aber auch für frühere vom F-VG 1948 beherrschte Zeiträume zu; keine Verjährung des Anspruchs im vorliegenden FallRechtssatz
Die Stadtgemeinde Krems besorgt als Stadt mit eigenem Statut (§1 Abs1 Kremser Stadtrecht 1977, Nö. LGBl. 1010-3) neben den Aufgaben der Gemeindeverwaltung auch jene der Bezirksverwaltung (Art116 Abs3 letzter Satz B-VG und §1 Abs2 Kremser Stadtrecht 1977).
In Krems ist eine Bundespolizeibehörde nicht errichtet (siehe Verordnung der Bundesregierung BGBl. 690/1976). Die Organe der Stadtgemeinde Krems besorgen - wie sich aus §15 Abs2 BehÜG, StGBl. 94/1945, ergibt - auch die im §3 der Verordnung BGBl. 74/1946 angeführten, nach Art10 Abs1 Z7 B-VG dem Bund obliegenden Aufgaben auf dem Gebiete des öffentlichen Sicherheitswesens sowie ferner die Angelegenheiten des Kraftfahrwesens (Art10 Abs1 Z9 B-VG), die sogenannten "Polizeiverwaltungsaufgaben".
Mit der vorliegenden, auf Art137 B-VG gestützten Klage begehrt die Stadtgemeinde Krems vom Bund den Ersatz von besonderen, für die Besorgung bestimmter Polizeiverwaltungsaufgaben erwachsenen Aufwendungen. Derartige Ansprüche wurzeln - sofern sie überhaupt bestehen - im öffentlichen Recht. Sie sind weder durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen noch im ordentlichen Rechtsweg auszutragen. Die Klage ist daher zulässig (vgl. zB VfSlg. 9507/1982 und 10.633/1985).
An dem öffentlich-rechtlichen Ursprung des Anspruches ändert nichts, daß die klagende Partei Bestimmungen des ABGB herangezogen wissen will; dies geschieht bloß im Wege der Analogie, indem sie meint, bestimmte bürgerlich-rechtliche Vorschriften seien sinngemäß auf ähnlich gelagerte Sachverhalte auf dem hier maßgebenden finanzausgleichsrechtlichen (also einem öffentlich-rechtlichen) Gebiet anzuwenden. Ob diese Annahme zutrifft, ist eine Frage der Sache, nicht der Prozeßvoraussetzung.
Die Klage ist nicht etwa wegen res iudicata zurückzuweisen, weil über ähnliche Klagen in VfSlg. 9507/1982 und 10.633/1985 entschieden wurde. Die erste Klage war nämlich auf §2 F-VG 1948, die zweite Klage auf §8 FAG 1979 und dessen Vorgängerbestimmungen gegründet (als deren Maßstab §4 F-VG 1948 herangezogen wurde), während die nun vorliegende Klage auf andere Rechtsvorschriften gestützt wird, nämlich auf "alle erdenklichen Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung" (und zwar erkennbar nur soweit sie nicht als Rechtsgrund der ersten und der zweiten Klage herangezogen wurden), so etwa auf - wie die klagende Partei meint - analog heranzuziehende Vorschriften des ABGB und auf unmittelbar anzuwendende Bestimmungen des F-VG 1948 (ua. des §4).
Klage der Stadtgemeinde Krems gegen den Bund auf Aufwandersatz für die Besorgung von Polizeiverwaltungsagenden (die in anderen Statutarstädten von Bundespolizeibehörden besorgt werden) betreffend jeweils Jänner 1958, 1985 und 1986.
Nach dem unter der Überschrift "Finanzausgleich" stehenden §2 F-VG tragen der Bund und die übrigen Gebietskörperschaften, sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt, den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt. Unter "ihren Aufgaben" sind auch jene des übertragenen Wirkungsbereiches zu verstehen; so hat etwa die Stadtgemeinde Krems ua. den Aufwand, der ihr aus der Besorgung bestimmter Verwaltungsaufgaben aus dem Bereich der Bundesvollziehung (so der Polizeiverwaltungsagenden) erwächst, endgültig selbst zu tragen, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist (vgl. VfSlg. 9507/1982).
Ein derartiges Gesetz, das eine vom Prinzip des §2 F-VG 1948 abweichende Vorschrift enthält, regelt eine spezifisch finanzausgleichsrechtliche Frage, nämlich welche Gebietskörperschaft welchen Aufwand zu tragen hat. Grundsätzlich soll eine derartige Regelung im FAG getroffen werden und nur ausnahmsweise auch in einem anderen Gesetz, das aber explizit die vom §2 F-VG 1948 abweichende Lastenverteilung zum Inhalt haben muß. Diese Forderung ergibt sich schon daraus, daß der Finanzausgleich einen Komplex bildet, der nur als solcher dem Gebot des §4 F-VG 1948 entsprechen kann.
Keine ausdrückliche Rechtsgrundlage; keine analoge Anwendbarkeit des ABGB.
Mag auch sonst die für den Bereich des bürgerlichen Rechtes bestehende Ermächtigung zur Analogie (§7 ABGB) auch für das Gebiet des öffentlichen Rechtes gelten (vgl. zB VfSlg. 7617/1975), käme doch die von der klagenden Partei vorgeschlagene analoge Anwendung von Vorschriften des ABGB hier (anders als etwa im Fall VfSlg. 3354/1958, in dem ein Land eine Bundesaufgabe erfüllt hatte, ohne hiezu gesetzlich verpflichtet zu sein - vgl. auch VfSlg. 8178/1977) nicht in Betracht. Der Finanzausgleich regelt die Verhältnisse der Gebietskörperschaften auf diesem Gebiet abschließend, sodaß hier das ABGB nicht analog herangezogen werden kann. Eine vom Grundsatz des §2 F-VG abweichende Regel muß ausdrücklich getroffen werden, sodaß bei Fehlen einer derartigen abweichenden Bestimmung keine planwidrige Gesetzeslücke - nur eine solche würde allenfalls die Anwendung von Analogie erlauben - vorliegt.
Diese Auffassung liegt auch VfSlg. 10.633/1985 zugrunde. Hätte sich nämlich der Verfassungsgerichtshof seinerzeit auf den nun von der klagenden Partei vorgetragenen Standpunkt der analogen Anwendbarkeit von Bestimmungen des ABGB gestellt, so hätte er nicht zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der finanzausgleichsrechtlichen Vorschriften gelangen können.
§4 F-VG 1948 verpflichtet den Gesetzgeber, die einfachgesetzliche Rechtslage dieser Verfassungsbestimmung entsprechend zu gestalten; Adressat dieser Bestimmung ist also nur der Gesetzgeber, nicht die Vollziehung. Die einzelne Gebietskörperschaft kann daraus unmittelbar keine Rechte ableiten.
Die klagende Partei beruft sich auf "alle erdenklichen" (in den beiden früheren Klagen - VfSlg. 9507/1982, 10.685/1985 - nicht bezogenen) Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung. Als solche kommen auch jene des §20 Abs4 FAG 1985 idF der Novelle 1986 in Betracht. Dieser Vorschrift zufolge gewährt der Bund ua. der Stadtgemeinde Krems/Donau den Ersatz der Polizeiverwaltungskosten. Eine ausdrückliche Bestimmung, ab welchem Zeitpunkt dieser Kostenersatz gebührt, enthält die FAG-Novelle 1986 nicht; ArtIII Abs1 der Novelle verfügt lediglich, daß ua. diese Vorschrift mit 01.10.86 in Kraft tritt.
Würde dieser Regelungskomplex so verstanden werden, daß erst ab diesem Zeitpunkt der erwähnte Kostenersatz gebührt, wäre er verfassungswidrig. Wie sich nämlich aus VfSlg. 10.633/1985 (insbesondere aus der Aufhebung von Bestimmungen der FAGe bis zurück zum FAG 1948) ergibt, würde (auch) eine finanzausgleichsrechtliche Regelung, die für in der Vergangenheit liegende Zeiträume (soweit sie vom Regime des F-VG 1948 beherrscht werden) keinen Ersatz jener Kosten vorsieht, die der Stadtgemeinde Krems bei der Besorgung der Polizeiverwaltungsaufgaben erwachsen, dem §4 F-VG 1948 widersprechen. Die FAG-Novelle 1986 diente offenbar ua. dazu, diesem Erkenntnis Rechnung zu tragen. Die durch sie geschaffenen Vorschriften lassen sich - ungeachtet des Umstandes, daß sich die Novelle 1986 in das FAG 1985 einfügt, nach dessen Titel der Finanzausgleich für die Jahre 1985 bis 1988 geregelt wird (siehe auch §24 Abs1 leg.cit.) - aufgrund des Gesetzeswortlautes und nach dem erkennbaren Willen des historischen Gesetzgebers verfassungskonform derart auslegen, daß die Kostenersatzansprüche zwar erst ab dem 01.10.86 geltend gemacht werden können, daß sie aber auch für frühere vom F-VG 1948 beherrschte Zeiträume zustehen. Bei dieser verfassungskonformen Interpretation - der der Vorzug zu geben ist (vgl. zB VfSlg. 10.270/1984 mwH) - hat die klagende Stadtgemeinde Krems Anspruch auf Ersatz der ihr in den Monaten Jänner 1958, Jänner 1985 und Jänner 1986 bei der Besorgung der Polizeiverwaltungsaufgaben erwachsenen Kosten.
Keine Verjährung des Anspruchs der Stadtgemeinde Krems gegen den Bund auf Aufwandersatz für die Besorgung von Polizeiverwaltungsagenden (die in anderen Statutarstädten von Bundespolizeibehörden besorgt werden) betreffend jeweils Jänner 1958, 1985 und 1986.
Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 7617/1975; VfGH 11.06.86 A9/85), besteht die Institution der Verjährung im öffentlichen Recht nur dort, wo das Gesetz das ausdrücklich vorsieht.
Hier besagt nun §24 Abs3 FAG 1985, daß vermögensrechtliche Ansprüche, die sich auf dieses oder künftige FAGe gründen, nach Ablauf von fünf Jahren verjähren; diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch erstmals hätte geltend gemacht werden können; im übrigen gelten die Bestimmungen des ABGB.
Die auf §20 Abs4 FAG 1985 idF der Novelle 1986 gegründeten Ansprüche der Stadtgemeinde Krems konnten mit Inkrafttreten dieser Bestimmung, also erstmals ab 01.10.86, geltend gemacht werden. Die im §24 Abs3 FAG 1985 vorgesehene Frist von fünf Jahren zur Geltendmachung der Ansprüche ist mithin noch nicht abgelaufen. Im übrigen gelten nach §24 Abs3 FAG 1985 die Verjährungsbestimmungen des ABGB. Die vorliegende Klage wurde am 02.07.87 eingebracht, sodaß die allgemeine Verjährungsfrist des ABGB auch für den ersten maßgebenden Zeitraum (Jänner 1958) noch nicht verstrichen ist.
Da der Stand des Verfahrens eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs nicht zuläßt, war mit Zwischenerkenntnis auszusprechen, daß der Klagsanspruch der Stadtgemeinde Krems dem Grunde nach zu Recht besteht (§393 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG).
Schlagworte
Gemeinderecht, Statutarstadt, Wirkungsbereich übertragener, Aufwandersatz / Bundespolizeibehörden, Kompetenz Bund - Länder / Kraftfahrwesen, Kompetenz Bund - Länder / Polizeirecht, Auslegung verfassungskonforme, Zivilrecht, Verjährung, VfGH / Klagen, Rechtsgrundsätze, Analogie, Privatrecht - öffentliches Recht, VfGH / Kosten, Zwischenerkenntnis, Finanzverfassung, Finanzausgleich, Bereicherung, Schadenersatz, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Finanzverfassung / Finanzzuweisungen, AuslegungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:A24.1987Dokumentnummer
JFR_10119684_87A00024_01