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65 Pensionsrecht für BundesbediensteteNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Schutz wohlerworbener Rechte verfassungsgesetzlich nicht gewährleistet; rechtspolitischer Spielraum des Gesetzgebers bei Veränderung von Rechtspositionen - Aufhebung oder Abänderung zunächst eingeräumter Rechte muß sachlich begründbar sein PensionsG 1965 idF des BG BGBl. 426/1985; Entgeltcharakter der Ruhe- und Versorgungsgenüsse; §40a gleichheitswidrig - Ruhen der Pension bei gleichzeitigem Erwerbseinkommen als Akt der Solidarität iS der Entlastung des Bundeshaushaltes und der Verbesserung der Arbeitsmarktsituation trifft nur eine kleine Gruppe von Pensionisten - keine ausgewogene Lösung innerhalb der Bevölkerung; unsachliche Differenzierung bei der Behandlung eines weiteren Erwerbseinkommens von Ruhestandsbeamten und Beamten des AktivstandesRechtssatz
Entgegen der Beurteilung in den Einleitungsbeschlüssen erweisen sich die in §40a des PG enthaltenen Anordnungen bei näherer Betrachtung sowohl in sprachlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht als trennbar, sodaß aus der Sicht der einen Gruppe von Anlaßfällen bloß der den Ausspruch über das Ruhen eines Ruhebezuges betreffenden Teil dieses Paragraphen und aus der Sicht der anderen bloß jener Teil präjudiziell ist, der dem Ausspruch über das Ruhen eines Versorgungsbezuges zugrundeliegt. Da die - wie hier vorwegnehmend bemerkt sei - begründeten Bedenken die Ruhensvorschrift in beiden Richtungen treffen, ist es vom Ergebnis her jedoch entbehrlich, die an sich mögliche sprachliche Trennung der geprüften Gesetzesvorschrift vorzunehmen.
Prüfung des §40a PG 1965 idF BGBl. 426/1985 (Ruhensbestimmungen).
Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung dargetan, daß keine Verfassungsvorschrift den Schutz wohlerworbener Rechte gewährleistet (vgl. etwa VfSlg. 3665/1959, 3768/1960, 3836/1960; zuletzt E v 18.03.87, G255/86 ua.), sodaß es im Prinzip in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers fällt, eine einmal geschaffene Rechtsposition auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern. In dieser Rechtsprechung kommt aber auch zum Ausdruck, daß die Aufhebung oder Abänderung von Rechten, die der Gesetzgeber zunächst eingeräumt hat, sachlich begründbar sein muß; ohne eine solche Rechtfertigung würde der Eingriff dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz widersprechen.
Das Ziel der Entlastung des Bundeshaushaltes oder der Schaffung von Arbeitsplätzen kann an sich geeignet sein, Eingriffe in bestehende Rechtspositionen sachlich zu rechtfertigen. Zielsetzungen dieser Art können aber nicht die Minderung wohlerworbener Rechte jedweder Art in jedweder Intensität sachlich begründen (siehe E v 18.03.87, G255/86 ua.). Erfordern Maßnahmen zur Entlastung des Bundeshaushaltes oder solche der Arbeitsmarktpolitik (E v 16.03.88, G184-194/87, G198/87, G200/87) Kürzungen, so verlangt das Gebot der Sachlichkeit, daß ein im Interesse der Gesamtheit oder aus Gründen der Solidarität gegenüber Arbeitsuchenden zu erbringendes Opfer nicht punktuell gezielt eine relativ kleine Gruppe treffen darf, sondern entsprechend breit gestreut werden muß. Eine solche Kürzung kann nach sozialen Gesichtspunkten differenzieren und darf nicht tendenziell wirtschaftlich Schwächere stärker treffen.
Bei der Kürzung von Pensionen (entweder in Form der direkten Reduzierung ihrer Höhe oder in Form von Ruhensbestimmungen) fällt besonders ins Gewicht, daß die in Betracht kommenden Personen schon während ihrer aktiven Berufstätigkeit den Standard ihrer Lebensführung auf den Bezug einer später anfallenden Pension (eines Ruhegenusses) einrichten, wobei zu den Lebensumständen, nach denen sie sich für die Pensionszeit einrichten, auch die Möglichkeit einer Aufbesserung der Pension durch Einkünfte aus einer Nebentätigkeit zählt. Häufig haben Pensionisten jahrzehntelang Beiträge in der Erwartung entrichtet, daß durch die Pensionierung kein erhebliches Absinken des während der Aktivzeit erzielten Standards der Lebensführung eintritt; mit einer bestimmten Pensionsregelung sind daher auch Erwartungen der Betroffenen verbunden. Sie vertrauen darauf, daß diese Erwartungen nicht durch plötzliche, ihre Lebensführung direkt treffende Maßnahmen des Gesetzgebers beeinträchtigt werden. Eine Mißachtung dieses Vertrauens wiegt bei Pensionisten besonders schwer, weil sie sich nachträglich meist nicht mehr auf geänderte Umstände einstellen können, wenn ihre Erwartungen infolge einer Änderung der Gesetzeslage nicht erfüllt werden. Ein punktuell von Pensionisten geforderter Akt der Solidarität gegenüber Arbeitsuchenden wird daher in der Regel unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes nicht zu rechtfertigen sein.
Die Verfassungsmäßigkeit einer Norm hängt nicht davon ab, wie sie sich auf einzelne Anlaßfälle auswirkt (siehe VfSlg. 10.291/1984 und die dort zitierte weitere Judikatur). Bei der Beurteilung einer Norm unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes ist von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen; daß sich vereinzelt Härtefälle ergeben können, muß ebenso unberücksichtigt bleiben wie der Umstand, daß sich die besonderen Gründe der Gleichheitswidrigkeit einer Regelung nicht unbedingt auch in allen Anlaßfällen in der zur Gleichheitswidrigkeit führenden Intensität auswirken.
Auswirkungen auf Bundeshaushalt
Es ist nicht erkennbar, weshalb die in Prüfung genommene Regelung den Bundeshaushalt im Ergebnis wesentlich entlasten soll. Tritt der vom Gesetzgeber gewünschte Effekt, nämlich der Verzicht auf eine weitere Erwerbstätigkeit des Pensionisten, nicht ein, so kommt es infolge des teilweisen Ruhendstellens von Pensionen zwar zu einer gewissen Verminderung der Pensionslast. Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Berechnung der Bundesregierung läßt aber außer Betracht, daß gerade der Vollzug von Ruhensbestimmungen (im Hinblick auf erforderliche Überprüfungen, auf Berechnungen im Fall schwankender Höhe des Erwerbseinkommens uä.) arbeitsaufwendig ist, weshalb auch auf den zusätzlich entstehenden nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand Bedacht genommen werden müßte. Es wäre auch zu berücksichtigen, daß durch die Minderung des Gesamteinkommens und den damit verbundenen Kaufkraftverlust weitere indirekte Einbußen an Abgaben entstehen. Tritt hingegen der vom Gesetzgeber gewünschte Effekt, nämlich der Verzicht auf eine Nebenbeschäftigung, ein, so gehen damit Einnahmen an Einkommen-(Lohn-)steuer verloren, was dem Ziel der Entlastung des Haushaltes entgegenwirkt. Es kommt überdies zum Entfall sonst eingehender Sozialversicherungsbeiträge und damit zu Einbußen im Haushalt der vom Bund subventionierten Pensionsversicherungsträger. Zu berücksichtigen ist auch der Umstand, daß Ruhensbestimmungen erfahrungsgemäß (auch wenn dies vom rechtlichen Standpunkt keineswegs zu billigen ist) zu einem Ausweichen in nicht gemeldete Erwerbstätigkeiten führen, wodurch weitere Einnahmen des Staates entfallen.
Auswirkungen auf Arbeitsmarkt
Nach den Angaben der Bundesregierung seien in letzter Zeit Nebenbeschäftigungen zurückgegangen.
Aus diesem Umstand ist nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes keinesfalls zu schließen, daß der Rückgang von Nebenbeschäftigungen auch im selben Ausmaß zur Freimachung von Arbeitsplätzen führte. Pensionisten verrichten sehr häufig Nebenbeschäftigungen, die nicht unmittelbar von einer anderen Arbeitskraft übernommen werden. Durch Ruhensbestimmungen wird die Verrichtung unangemeldeter Arbeiten gefördert, sodaß die Zahl der durch die Ruhensbestimmungen frei werdenden Arbeitsplätze offensichtlich deutlich unter der Zahl des Rückgangs an Nebenbeschäftigungen liegt.
Ruhen der Pension tritt selbst dann ein, wenn der Pensionist einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht (zB als Rechtsanwalt oder durch fachschriftstellerische Tätigkeit) und auf diese Weise niemandem einen Arbeitsplatz nimmt, ja durch seine selbständige Tätigkeit - wie etwa im Fall der Führung einer Rechtsanwaltskanzlei - sogar Arbeitsplätze schafft.
Sollten durch den Rückgang von Nebenbeschäftigungen überhaupt Arbeitsplätze für Arbeitsuchende frei geworden sein, so kann es sich angesichts der geringen Zahl von Pensionisten, deren Pension nach Maßgabe der in Prüfung genommenen Bestimmungen teilweise ruht, und unter Berücksichtigung der genannten Umstände ganz offensichtlich nur um eine völlig untergeordnete Zahl von Fällen handeln.
Die punktuelle Belastung gerade der Pensionisten zeigt der Umstand besonders deutlich, daß die Nebenbeschäftigung eines Beamten des Aktivstandes in der Regel bloß meldepflichtig ist (§56 BDG 1979) und naturgemäß zu keinem Ruhen von Bezügen führt.
Wenngleich §40a des PG bezüglich des Ruhens Höchstbeträge festsetzt, belastet die Bestimmung tendenziell Bezieher kleiner Pensionseinkommen verhältnismäßig (in bezug auf ihr Gesamteinkommen) stärker als die Bezieher höherer Pensionen.
Aufhebung des §40a PG 1965 idF BGBl. 426/1985 (Ruhensbestimmungen) als gleichheitswidrig (Prüfungsbeschluß auch hinsichtlich Art21 B-VG gefaßt).
Insgesamt zeigt sich, daß die in Prüfung gezogene Regelung einen Akt der Solidarität iSd Entlastung des Bundeshaushaltes und der Verbesserung der Arbeitsmarktsituation nicht ausgewogen von größeren Gruppen der Bevölkerung (allenfalls abgestuft nach sozialen Merkmalen), sondern von einer sehr kleinen Gruppe von Pensionisten verlangt und hiebei noch tendenziell innerhalb der Gruppe von Pensionisten jene verhältnismäßig stärker belastet, die am ehesten eine Aufbesserung ihrer Pension benötigen, um annähernd den Standard der Lebensführung auch während der Pensionszeit erhalten zu können. Dazu kommt andererseits, daß der gewünschte Effekt der Entlastung des Budgets bzw. des Freimachens von Arbeitsplätzen gar nicht oder nur ganz geringfügig eintritt.
Ruhensbestimmungen verlangen nur von kleiner Gruppe Solidaritätsopfer und bewirken außerdem nicht den gewünschten Effekt (Budgetentlastung, Arbeitsplatzschaffung).
Was die verfassungsrechtlich Bedenken aus der Sicht der Vorjudikatur anlangt, pflichtet der Verfassungsgerichtshof der Bundesregierung bei, wenn sie meint, daß sich aus dem Unterschied zwischen einem Pensionsverhältnis nach dem ASVG und einem weiterhin bestehenden Dienstverhältnis zwischen einer Gebietskörperschaft und einem Ruhestandsbeamten weder für noch gegen die Zulässigkeit gleichartiger Ruhensbestimmungen in beiden Bereichen etwas ableiten lasse. Dieser Standpunkt, der in vollem Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs steht (wonach es sich beim öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und bei der Materie des Sozialversicherungswesens um tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete handelt (VfSlg. 5241/1966)), wird im Ergebnis aber verlassen, wenn die Bundesregierung das Weiterbestehen des Dienstverhältnisses beim Ruhestandsbeamten "im Rahmen einer gleichheitsrechtlichen Beurteilung" mit der Lage beim ASVG-Pensionisten vergleicht und daraus Schlußfolgerungen zieht. Dieses Vorgehen ist von ihrer eigenen - völlig zutreffenden - Ausgangsposition her nicht folgerichtig und bedarf daher keiner weiteren Erörterung.
Verfehlt erscheint dem Verfassungsgerichtshof die Annahme der Bundesregierung, daß das teilweise Ruhen des Ruhegenusses gleichsam als das negative Korrelat zu gewissen den Ruhegenuß mitbestimmenden Begünstigungen - wie etwa bei Dienstunfähigkeit oder bei Erwerbsunfähigkeit (§§8 und 9 des PG) - gewertet werden könne. Ein derartiger Vergleich und damit auch Folgerungen aus einem solchen verbieten sich schon deshalb, weil Anordnungen über das teilweise Ruhen eines Ruhegenusses voraussetzungsgemäß keine Umstände betreffen, die für die Gewährung oder Bemessung dieser Pension Relevanz haben.
Der Verfassungsgerichtshof hält bezüglich des Entgeltcharakters der den Ruhestandsbeamten gewährten Ruhegenüsse an seiner langjährigen, ständigen Rechtsprechung (VfSlg. 3389/1958, 3754/1960, 5241/1966, 8462/1978) fest und verweist vor allem auf die in den Erkenntnissen VfSlg. 3389/1958 und 3754/1960 hiefür gegebene nähere Begründung. Diese trifft entsprechend auch für die im PG geregelten Versorgungsgenüsse zu, die gleichfalls Entgeltcharakter haben. Denn der Beamte erwirbt - wie §2 Abs1 des PG hervorhebt - (bereits) mit dem Tag des Dienstantritts Anwartschaft auf Pensionsversorgung für sich und seine Angehörigen, weshalb auch deren Ansprüche als Hinterbliebene - grundsätzlich nicht anders als der Ruhegenuß - als Abgeltung von Dienstleistungen des Beamten sowie als Abgeltung für von ihm geleistete Pensionsbeiträge verstanden werden müssen.
Die Bundesregierung bringt Argumente vor, welche im Sinn dieser Rechtsprechung eine solche Rechtfertigung der Ruhensvorschriften bedeuten könnten: Das teilweise Ruhen der Pension ziele darauf ab, daß Pensionisten sich entweder einer umfangreicheren Erwerbstätigkeit neben der Pension enthalten, wodurch vorhandene Arbeitsplätze für Arbeitssuchende frei werden, oder daß im Fall einer weiteren Beschäftigung der Bundeshaushalt entlastet wird, wodurch Mittel zur Schaffung neuer Arbeitsplätze frei würden.
Der Gerichtshof hält diese Argumentation der Bundesregierung jedoch für nicht stichhältig, und zwar weder hinsichtlich der arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung noch bezüglich der behaupteten Entlastung des Bundesbudgets.
Im zitierten Erkenntnis VfSlg. 3389/1958 hat der Gerichtshof auch auf den Umstand Bedacht genommen, daß die Regelung die Ruhestandsbeamten schlechter behandelt als die des Aktivstandes. Soweit man nun den Zweck der Entgeltminderung in einer budgetären Entlastung ohne unmittelbare Konsequenz am Arbeitsmarkt annehmen will, läßt sich kein sachbezogener Grund dafür finden, weshalb der Ruhestandsbeamte hinsichtlich des ihm aus einer Erwerbstätigkeit zufließenden zusätzlichen Einkommens anders behandelt werden sollte als ein Beamter des Aktivstandes, der infolge einer Nebentätigkeit ein weiteres Erwerbseinkommen genießt.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30.06.88 in Kraft.
Die Festsetzung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle erschiene an sich entbehrlich. Mit Rücksicht auf die notwendige administrative Umstellung auf die geänderte Rechtslage wurde jedoch gemäß Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG eine kurz bemessene Frist bestimmt.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Rechte wohlerworbene, Dienstrecht, Ruhensbestimmungen, Leistungsvoraussetzungen (Sozialversicherung), PensionsversicherungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:G184.1987Dokumentnummer
JFR_10119684_87G00184_01