RS Vfgh 1988/6/9 V2/88

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Veröffentlicht am 09.06.1988
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag

Leitsatz

Individualantrag auf Aufhebung der "Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz aus dem Jahre 1977, betreffend die Geschwindigkeitsbegrenzung mit 80 km/h für die Fahrt durch den Dalaaser Tunnel (Arlberg-Schnellstraße S 16"; Zumutbarkeit der Ausschöpfung des Instanzenzuges im gegen den Antragsteller eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren - Legitimationsmangel

Rechtssatz

Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur - beginnend mit seinen Beschlüssen VfSlg. 8009/1977 zu Art140 B-VG und VfSlg. 8058/1977 zu Art139 B-VG - ausführte, erfordert die Antragslegitimation nicht nur, daß die antragstellende Partei behauptet, unmittelbar durch die als verfassungs-(gesetz-)widrig angefochtene Gesetzes-(Verordnungs-)Bestimmung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sondern sie setzt auch voraus, daß dieses Gesetz (diese Verordnung) für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam wurde. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation bildet dabei der Umstand, daß das angef Gesetz (die angefochtene Verordnung) die Rechtssphäre der betreffenden (natürlichen oder juristischen) Person berührt und - im Fall der Verfassungs-(Gesetz-)widrigkeit - verletzt. Jedoch nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsberechtigung zu; es ist vielmehr auch notwendig, daß unmittelbar durch das Gesetz (die Verordnung) selbst - tatsächlich - in die Rechtssphäre des Antragstellers eingegriffen wird. Ein solcher, die Antragslegitimation begründender Eingriff in die Rechtssphäre einer Person muß jedenfalls nach Art und Ausmaß durch das Gesetz (die Verordnung) eindeutig bestimmt sein und die rechtlich geschützten Interessen des Betroffenen nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigen. Ein derartiger "unmittelbarer" Eingriff fehlt dann, wenn dem Antragsteller zur Abwehr der - ihm durch die angebliche Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Gesetzes (Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung) entstandenen - Rechtsverletzung ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung steht.

Das mit Art139 Abs1 und Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen Normunterworfenen eingeräumte Rechtsinstrument ist dafür bestimmt, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen - gleichsam lückenschließend - nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht in Betracht kommt; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit der grundsätzlichen Aufgabe des Individualantrages, bloß subsidiärer Rechtsbehelf zu sein, keineswegs im Einklang stünde (vgl. VfSlg. 8890/1980).

Ein solcher - die Antragslegitimation ausschließender - zumutbarer Weg besteht grundsätzlich dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normenprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof anzuregen; eine Ausnahme besteht nur für den Fall, daß besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, um der Partei des gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens trotz der ihr dort offenstehenden Möglichkeiten das Recht auf Einbringung eines Normenprüfungsantrages einzuräumen (vgl. zB VfSlg. 8312/1978, 8552/1979, 10.251/1984). Zwar ist es unzumutbar, ein Strafverfahren zu provozieren, um solcherart Gelegenheit zu finden, ein amtswegiges Normenprüfungsverfahren zu initiieren (vgl. zB VfSlg. 8396/1978, 8464/1978); ist ein Strafverfahren aber ohnehin im Gange, so muß es dem Beschuldigten durchaus zugemutet werden, den administrativen Instanzenzug auszuschöpfen und sodann beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde nach Art144 B-VG zu erheben und darin seine Bedenken gegen die generelle Norm vorzubringen (vgl. VfGH 05.10.87 V18/87).

Gegen den Antragsteller wurde wegen Übertretung der eine Geschwindigkeitsbeschränkung verfügenden Verordnung ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet, das zur Erlassung einer Strafverfügung führte. Dem Einschreiter stand somit die - iS der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfGH 05.10.87 V18/87) zumutbarer Weise zu nutzende - Möglichkeit offen, nach Ausschöpfung des administrativen Instanzenzuges im Wege einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde seine Bedenken gegen die der Strafverfügung zugrundegelegte Verordnung geltend zu machen.

Daran ändert auch nichts, daß der Beschwerdeführer die ihm hier gegeben gewesenen administrativen Rechtsverfolgungsmöglichkeiten nicht voll in Anspruch nahm.

Zurückweisung des Antrages auf Aufhebung der "Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz aus dem Jahre 1977 betreffend die Geschwindigkeitsbegrenzung mit 80 km/h für die Fahrt durch den Dalaaser Tunnel (Arlberg-Schnellstraße S 16)".

Entscheidungstexte

  • V 2/88
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 09.06.1988 V 2/88

Schlagworte

VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:V2.1988

Dokumentnummer

JFR_10119391_88V00002_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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