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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; vertretbare Annahme einer Verwaltungsübertretung nach §18 Vbg. SittenpolizeiG; rechtmäßige Festnahme nach §35 litc VStG und Freilassung nach §36 Abs1 VStGRechtssatz
Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 MRK (siehe VfSlg. 7608/1975, 8815/1980) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (siehe VfSlg. 3315/1958 ua.):
Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, legt in seinem §4 fest, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.
§35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat begehen und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei die erste dieser beiden Bedingungen schon dann vorliegt, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund annehmen konnte (siehe VfSlg. 4143/1962, 9913/1984, 10480/1985).
Gemäß §36 Abs1 erster Satz VStG 1950 ist der zum Zweck der Vorführung vor die zuständige Behörde Festgenommene freizulassen, wenn der Grund zur Festnahme schon vorher entfällt. Wenn aber bereits die Festnahme selbst bewirkt, daß der Grund der Festnahme entfällt, wenn also die wegen Verharrens im strafbaren Verhalten festgenommene Person dieses Verhalten gerade infolge der Festnahme einstellt, ist diese Rechtsvorschrift nicht wörtlich anzuwenden. Vielmehr ist - dem Sinn des Gesetzes entsprechend - der Festgenommene nur dann vorzeitig zu enthaften, wenn auf Grund besonderer Umstände augenfällig wird, daß er im Fall der Freilassung das strafbare Verhalten nicht wieder aufnehmen wird (vgl. VfSlg. 9368/1982; VfGH 28.11.86 B894/85).
Die Beamten entließen die Beschwerdeführerin um 06,00 Uhr aus der Haft, weil sie annahmen, daß sie zu diesem Zeitpunkt die strafbare Tätigkeit (Straßen-Prostitution) nicht wieder aufnehmen würde. Eine Entlassung zu einem früheren Zeitpunkt hätte tatsächlich nicht ausgeschlossen, daß sich die Beschwerdeführerin wieder an ihren "Standort" zurückbegeben werde, um dort die strafbare Tätigkeit wieder aufzunehmen. Keine gesetzliche Vorschrift gebietet, einen nach §35 litc VStG Festgenommenen anstatt zur Behörde (oder zunächst in ein Arrestlokal) nach Hause zu transportieren, wie dies in der Beschwerde verlangt wird. Die Entlassung der Beschwerdeführerin aus der Haft wurde also nicht gesetzwidrig hinausgezögert.
Vertretbare Annahme der Übertretung nach §18 Abs1 litc iVm §4 Abs1 Vbg. SittenpolizeiG (Straßen-Prostitution).
Physische Zwangsakte verstoßen gegen das im Art3 MRK statuierte Verbot "erniedrigender Behandlung" nur dann, wenn ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Verletzung des Betroffenen als Person zu eigen ist (zB VfSlg. 8654/1979, 9385/1982, 10546/1985).
Davon kann hier aber keine Rede sein: Die Beschwerdeführerin wurde aufgrund ihrer Behauptung, schwanger zu sein, auf Veranlassung der Gendarmeriebeamten im Allgemeinen Krankenhaus Bregenz ärztlich untersucht. Darin liegt keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.
Die Beschwerdeführerin bekämpft auch die von den Gendarmeriebeamten veranlaßte ärztliche Untersuchung; dadurch sei sie in dem durch Art3 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.
Die - zulässige (vgl. zB VfSlg. 8126/1977, 8627/1979, 10051/1984) - Beschwerdebehauptung ist unbegründet.
Schlagworte
Verwaltungsstrafrecht / FestnehmungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B1056.1987Dokumentnummer
JFR_10119390_87B01056_01