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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Generelle Normen über die Zuständigkeit, Einrichtung und Organisation der belangten Behörde zählen (mit) zu den Rechtsgrundlagen des angefochtenen Verwaltungsaktes - Präjudizialität gegeben Paritätische Schiedskommission entscheidet - in Auslegung des privatrechtlichen Vertrages - über strittige, dem Kernbereich der civil rights zuzuzählenden Ansprüche und Verpflichtungen aus dem Einzelvertrag zwischen Arzt und Träger der Krankenversicherung - kein Tribunal iS des Art6 MRK; Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung, BGBl. 105/1956; die auf §344 ASVG gestützten §§2 und 3 widersprechen - nach Aufhebung ihrer gesetzlichen Grundlage - Art18 B-VGRechtssatz
Entscheidungen der paritätischen Schiedskommission können im administrativen Instanzenzug nicht angefochten werden: Gemäß §344 iVm §345 Abs1 ASVG wird die Landesschiedskommission zur Entscheidung über eine Streitigkeit aus dem Einzelvertrag nur dann zuständig, wenn es in der paritätischen Schiedskommission (wegen Stimmengleichheit) zu keiner Beschlußfassung kommt; liegt hingegen ein Beschluß (eine Entscheidung) der paritätischen Schiedskommission vor, so ist (den Parteien) ein weiterer administrativer Rechtszug nicht eingeräumt (vgl. zB: VwGH 27.01.60, Z2099/59).
Aufhebung des §344 ASVG, BGBl. 189/1955, wegen Verstoßes gegen Art6 Abs1 MRK.
Gemäß §338 Abs1 ASVG werden die Beziehungen zwischen Krankenversicherungsträgern und Ärzten durch "privatrechtliche Verträge" geregelt. Dazu sieht §341 ASVG vor, daß die Träger der Krankenversicherung einerseits und die örtlich zuständigen Ärztekammern andererseits Gesamtverträge abschließen, deren Inhalt auch Bestandteil des in der Folge zwischen Arzt und Krankenversicherungsträger geschlossenen Einzelvertrages wird. Mit Abschluß des Einzelvertrages verpflichtet sich der selbständige, freiberuflich tätige Arzt dem Krankenversicherungsträger - entsprechend der Abmachung im Gesamtvertrag - zur Behandlung von bestimmten, erkrankten Personen, wobei das Entgelt dafür vom Krankenversicherungsträger als Vertragspartner zu leisten ist. Entstehen Streitigkeiten aus dem (Einzel-)Vertrag und den daraus erwachsenden Rechten und Pflichten, so ist gemäß §344 ASVG die paritätische Schiedskommission zur Schlichtung und Entscheidung berufen. Sie hat in diesem Fall - in Auslegung des privatrechtlichen Vertrages - über die strittigen, ihrer rechtlichen Natur nach dem Zivilrecht in engster Bedeutung und damit dem Kernbereich der civil rights zuzuzählenden Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden, eine Entscheidung in der Sache selbst, die einem Tribunal iS der EMRK zwingend vorbehalten - und nicht bloß von einem Tribunal nachzuprüfen - ist (siehe VfGH 16.12.87 G129,205,232/87 ua.).
Da das Gesetz (§344 ASVG) weder die Weisungsfreiheit noch eine gesicherte Funktionsdauer der Kommissionsmitglieder vorsieht, ist die verfassungsmäßig garantierte Unabhängigkeit dieser Organe iS der herrschenden Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht gewährleistet (vgl. zB VfGH 05.03.86 G232,233/85 ua.), die paritätische Schiedskommission demnach nicht als unabhängiges und unparteiisches Tribunal iSd Art6 EMRK eingerichtet.
Die §§2 und 3 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 08.05.56, BGBl. 105/1956, finden ihre ausschließlich materielle Basis unbestrittenermaßen in der Bestimmung des §344 ASVG, die unter einem als verfassungswidrig aufgehoben wurde. Die zu prüfenden Stellen dieser Verordnung sind darum nunmehr so zu beurteilen, als ob sie ohne gesetzliche Grundlage erlassen worden wären (vgl. VfSlg. 4172/1962, 6945/1972; VfGH 04.12.84 V61/83, 05.03.86 V63,64/85 ua.). Sie widersprechen also Art18 B-VG und waren aufzuheben.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Instanzenzugserschöpfung, Sozialversicherung, ÄrzteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:G48.1987Dokumentnummer
JFR_10119386_87G00048_01