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L7 WirtschaftsrechtNorm
StGG Art6 Abs1 / ErwerbsausübungLeitsatz
Bedarfsprüfung bei der Verleihung von Lichtspielbewilligungen schwerer Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit - zur Durchsetzung öffentlicher Interessen ungeeignetes, jedenfalls inadäquates Mittel; die angestrebten Ziele - Wahrung des kulturellen Niveaus der öffentlich aufgeführten Filme, Jugendschutz - können auch durch Subventionen und Steuerbegünstigungen erreicht werdenRechtssatz
Den in Prüfung gezogenen Bestimmungen in §5 Abs1, Abs3 lita und Abs4 Tir. LichtspielG 1986 zufolge ist eine der sachlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Lichtspielbewilligung für ein Standkino, daß ein - im Gesetz näher umschriebener - Bedarf vorliegt. Diese Bestimmungen schränken daher augenscheinlich die Möglichkeit ein, einem bestimmten Erwerb nachzugehen und greifen sohin in das durch Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit ein.
Bedarfsprüfung für Kinokonzessionen
Wenngleich es nicht in allen Fällen bloß eine einzige (richtige) Meinung geben mag, ob ein Film Qualität habe und niveauvoll und seriös sei, liegt das Ziel, "den bestehenden niveauvollen und seriösen Kulturbetrieb im Bereich des Lichtspielwesens aufrechtzuerhalten" - ohne daß dies weiterer Erörterungen bedarf - im öffentlichen Interesse.
Hingegen ist das in den Erläuternden Bemerkungen zum Entwurf des Tir. LichtspielG weiters angegebene Motiv, daß auf die wirtschaftlich schwierige Lage der bestehenden Lichtspieltheater Bedacht zu nehmen sei, unter dem Gesichtspunkt der Erwerbsausübungsfreiheit nicht ohne weiteres akzeptabel. Der Schutz bestehender Unternehmen vor Konkurrenz ist nämlich nur dann gerechtfertigt, wenn hiefür besondere Gründe (etwa überwiegende volkswirtschaftliche Erwägungen) sprechen. Derartige Umstände wurden aber im Verfahren nicht einmal angedeutet; vielmehr stellt die Tiroler Landesregierung eine solche Zielsetzung ausdrücklich in Abrede.
Zwar ist es sehr wahrscheinlich, daß bei Wegfall der Bedarfsprüfung die Zahl der Kinos zumindest zunächst zunehmen würde. Entweder würden dann - wegen der dadurch bewirkten erhöhten Besucherfreundlichkeit (leichtere Erreichbarkeit, bessere Ausstattung der Kinos usw.) - mehr Personen als bisher Filme ansehen (dies auch dann, wenn die in Betracht kommende Zahl neuer Filme nicht vermehrbar ist) ein Effekt, der gerade in jenem öffentlichen Interesse läge, das zu fördern als Gesetzeszweck angegeben wird; oder aber es würden bestehende, wirtschaftlich schwächere, schlechter ausgestattete Kinos schließen (dies würde das öffentliche Interesse nicht tangieren). Weshalb durch eine Vermehrung und einen kundenfreundlicheren Betrieb von Kinos eine Verminderung der Besucher guter Filme eintreten sollte, ist sinnvoll nicht zu prognostizieren; ist doch nicht zu erwarten, daß damit die Nachfrage nach seriösen Filmen sinken und ihr Angebot veringert würde.
Die Tiroler Landesregierung meint, eine (wesentliche) Vermehrung der Standkinos würde das Angebot an unseriösen Filmen erhöhen. Abgesehen von der Schwierigkeit, von Staats wegen die "unseriösen" von den "seriösen" Filmen abzugrenzen, ohne die verfassungsgesetzlich verankerte Kunst- und Meinungsäußerungsfreiheit zu verletzen, läßt sich aus der von der Landesregierung angestellten Prognose (auch wenn sie zutreffen sollte) noch nicht ableiten, daß das vermehrte Angebot von den potentiellen Kunden auch angenommen wird. Der Hinweis der Tiroler Landesregierung, daß die in Innsbruck bestehenden Kinos, die pornographische Filme spielen, nur zu 20 % ausgelastet sind, läßt dies eher nicht erwarten.
Dem klaren Wortlaut des Gesetzes zufolge ist die Kinokonzession zu verleihen, wenn ein Bedarf nach Kinos, die solche Filme spielen, besteht und nur dann zu versagen, wenn ohnehin keine Nachfrage besteht. Die im Gesetz vorgesehene Bedarfsprüfung ist also ein ungeeignetes Mittel, die Aufführung von Sex- oder Brutalfilmen hintanzuhalten oder zu restringieren. Gleiches gilt für die Aufführung von Filmen, deren Aufführung aus Gründen des Jugendschutzes abgelehnt wird.
Die Förderung des guten gegenüber dem schlechten Film kann im übrigen etwa durch entsprechende Subventionen und steuerliche Begünstigungen (siehe §2 Z6 und 7 des Tir. VergnügungssteuerG, LGBl. 60/1982 und §1 des Tir. KriegsopferabgabeG LGBl. 42/1953) auf direkte und zumindest gleich effektvolle Weise wie durch die Bedarfsprüfung erfolgen.
Als verfassungswidrig werden folgende Bestimmungen des Tir.
LichtspielG, LGBl. Nr. 5/1986, aufgehoben:
a) im §5 Abs1 die Wortfolge "für diese Betriebsart und die Arten der vorzuführenden Filme in dem Gebiet, aus dem mit Rücksicht auf die Verkehrsverhältnisse Besucher zu erwarten sind (Einzugsgebiet), ein Bedarf besteht und";
b) im §5 Abs3 lita die Wortfolge "bei einem Standkino auf die bestehenden Bewilligungen für Standkinos,";
c) der §5 Abs4 zur Gänze.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31.05.89 in Kraft.
Die Bedarfsprüfung bei der Verleihung von Lichtspielbewilligungen ist ein schwerer Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit und ein zur Durchsetzung öffentlicher Interessen ungeeignetes, jedenfalls aber inadäquates Mittel. Es gibt durchaus Wege, um die angestrebten Ziele (Wahrung des kulturellen Niveaus der öffentlich aufgeführten Filme, Jugendschutz) auf andere Weise als durch einen schweren Eingriff in das Grundrecht auf Erwerbsausübungsfreiheit zu erreichen.
Verstoß der Bestimmungen über die Bedarfsprüfung in §5 Abs1, 3 und 4 Tir. LichtspielG 1986 gegen die Erwerbsfreiheit.
Schlagworte
GewerberechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:G228.1987Dokumentnummer
JFR_10119379_87G00228_01