RS Vfgh 1988/9/27 B973/86

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Veröffentlicht am 27.09.1988
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10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
MRK Art3
VStG 1950 §35 lita

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; gesetzliche Deckung der (ersten) Festnehmung in §35 lita VStG; kein Eingehen auf den zweiten, auf einen anderen Festnehmungsgrund gestützten Ausspruch der Festnahme Art3 MRK; keine Verletzung des Rechtes auf Unterlassung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch eine dem WaffengebrauchsG entsprechende Anwendung von Körperkraft

Rechtssatz

Die bekämpfte Festnahme des Beschwerdeführers, sein Festhalten zum Zwecke der Visitierung, sowie die sonstigen gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verhaltensweisen der Sicherheitswachebeamten sind Verwaltungsakte, die in Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen den Beschwerdeführer gesetzt wurden und die nach Art144 Abs1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar sind. Daran ändert auch die scheinbare, ursprüngliche Bereitschaft des Beschwerdeführers nichts, freiwillig zum Kommissariat mitzukommen, weil der Beschwerdeführer durch den von ihm unternommenen Versuch, aus dem Funkstreifenwagen wieder auszusteigen und sich den beiden Sicherheitswachebeamten zu widersetzen, die zwangsweise Festnahme provozierte.

Auch die Umstände, unter denen die Festnahme erfolgte, sind einer (gesonderten) Anfechtung nach Art144 Abs1 B-VG zugänglich (vgl. zB VfSlg. 8627/1979, 10051/1984, 10427/1985).

Die Sicherheitswachebeamten durften mit gutem Grund der Meinung sein, daß der Beschwerdeführer Verwaltungsübertretungen nach der StVO und dem KFG verübt habe. War aber die Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers als Verwaltungsdelikt vertretbar und lag wie hier infolge Betretung auf frischer Tat und Verweigerung der Ausweisleistung - der Verdächtige war den Polizeibeamten unbekannt, seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar - der von der Behörde geltend gemachte Festnehmungsgrund vor, so entsprach die bekämpfte Amtshandlung dem Gesetz.

Keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit.

Behördliche Verhaltensweisen verstoßen gegen das in Art3 MRK verankerte Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nur dann, wenn ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist. Die Anwendung von Körperkraft (vgl. zB VfSlg. 9298/1981, 10250/1984), die den Rechtsgrundsätzen des WaffengebrauchsG 1969, BGBl. 149, entspricht, kann dabei keinesfalls als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art3 MRK angesehen werden.

Berücksichtigt man das Verhalten des Beschwerdeführers, insbesondere den durch das Urteil des OLG Wien vom 22.04.87 bestätigten tätlichen Angriff auf den Sicherheitswachebeamten, bei dem er das Vergehen der schweren Körperverletzung nach den §§83 Abs1, 84 Abs2 Z4 StGB beging, so war dieses durch besondere Aggressivität gekennzeichnet. Als Mittel zur Überwindung eines auf Vereitlung einer rechtmäßigen Amtshandlung zielenden Widerstandes und zur Erzwingung der Festnahme waren sohin die von den Sicherheitswachebeamten gesetzten Zwangsakte rechtmäßig, mögen sie auch zu einer geringfügigen Verletzung des Beschwerdeführers geführt haben. Sie waren sogar notwendig und geboten, sollte eine weitere Gefährdung der körperlichen Sicherheit der Sicherheitswachebeamten vermieden werden.

Der Beschwerdeführer wurde sohin auch in seinem durch Art3 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unterlassung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nicht verletzt.

Vertretbare Annahme von Verwaltungsübertretungen nach StVO und KFG; Verweigerung der Ausweisleistung.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B973.1986

Dokumentnummer

JFR_10119073_86B00973_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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