RS Vfgh 1988/10/4 V138/87

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Veröffentlicht am 04.10.1988
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z9
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsmaßstab
Bebauungsplan Nr 85/d. Wilten-Süd, der Stadtgemeinde Innsbruck, vom Gemeinderat beschlossem am 30.06, bzw 07.07.60
MRK 1. ZP Art1
Tir RaumOG 1984 §9 Abs2 lita
Tir RaumOG 1984 §16 Abs1 litb
Tir RaumOG 1984 §16 Abs1, §16 Abs5
Tir RaumOG 1984 §17
BStrG 1971 §14, §15
Tir RaumOG 1984 §31, §31 Abs3

Leitsatz

Art139 Abs1 B-VG; zulässiger Individualantrag auf Aufhebung eines Tir. Bebauungsplanes - unmittelbare Anfechtbarkeit durch den Grundeigentümer gegeben Tir. RaumordnungsG 1972; die Übergangsbestimmung des §31 Abs3 ist nach Ablauf der gesetzlichen Fristen nur mehr solange anwendbar, als keine Modifikation eines Planes erfolgt; ein übergeleiteter (alter Plan) ist bei auch nur teilweiser Änderung nach diesem Zeitpunkt zur Gänze an den Bestimmungen des Tir. RaumordnungsG 1972 zu messen Bebauungsplan Nr. 85/d Wilten Süd vom Gemeinderat der Stadt Innsbruck beschlossen am 30. Juni bzw. 7. Juli 1960 wegen Widerspruchs zu §17 iVm. §16 Abs5 Tir. RaumordnungsG 1972 insoferne gesetzwidrig, als die für die Grundstücke des Ast. festgelegte Widmung als Verkehrsfläche keinem entsprechenden Verwendungszweck zugeführt wurde

Rechtssatz

Zur unmittelbaren Anfechtbarkeit von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen in Tirol durch den Grundeigentümer (siehe die mit dem Erk. VfSlg. 9260/1981 begonnene ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes; zu Bebauungsplänen siehe insbesondere VfSlg. 10711/1985).

Der Verfassungsgerichtshof hat §31 Abs3 Tir. RaumOG in ständiger Rechtsprechung dahin interpretiert, der Gesetzgeber habe damit verhindern wollen, daß mit dem Inkrafttreten des Tir. RaumOG die bestehenden Verbauungspläne, wenn sie im Widerspruch zur neuen Rechtslage stehen, invalidieren; der Gerichtshof hat daraus weiters gefolgert, daß ein (übergeleiteter) Verbauungsplan nach wie vor an den gesetzlichen Bestimmungen, auf die sich seine Erlassung stützte, zu messen ist (siehe VfSlg. 8167/1977, 8425/1978, 10007/1984, 10446/1985 sowie VfGH 09.03.88 V70/87).

Prüfungsmaßstab für im zeitlichen Geltungsbereich der Übergangsregelung des §31 Tir. RaumOG 1972 bzw. 1984 abgeänderte Bebauungs- und Flächenwidmungspläne.

Der Gesetzgeber hat mit den in §31 Abs1 und Abs2 festgelegten Fristen zum Ausdruck gebracht, daß er innerhalb dieser Fristen eine mit der neuen Gesetzeslage nicht übereinstimmende Verordnungslage (noch) toleriert.

Die Übergangsbestimmung des §31 Abs3 Tir. RaumOG 1984 ist nach Ablauf der gesetzlichen Fristen nur mehr solange anwendbar, als keine Modifikation des Planes nach den Bestimmungen des Tir RaumOG erfolgt. Wenn nach dem endgültigen Ablauf der beiden in §31 Tir. RaumOG festgelegten Fristen - das ist also ab dem 01.07.82 - in einem nach §31 Abs3 Tir. RaumOG übergeleiteten (alten) Plan - auch nur teilweise - neue, dem Tir. RaumOG entsprechende Festlegungen vorgenommen werden, dann ist der Plan (in der modifizierten Form) zur Gänze an den Bestimmungen des Tir. RaumOG zu messen. Die Worte "bis zur Erlassung der Flächenwidmungs- bzw. Bebauungspläne, die den Bestimmungen dieses Gesetzes entsprechen," in §31 Abs3 Tir. RaumOG sind so zu (E v 04.10.88, V138/87) verstehen, daß darunter jede Flächenwidmungs- oder Bebauungsnorm zu subsumieren ist, nicht nur (komplette) neue Flächenwidmungs- oder Bebauungspläne.

Es ist der Sinn einer Übergangsbestimmung, für einen bestimmten, begrenzten Zeitraum Möglichkeiten zur Anpassung zu geben, nicht aber, außer Kraft getretenen Vorschriften zu einer rechtlichen Existenz über Jahrzehnte hinweg zu verhelfen. Daß der Normsetzer des Tir RaumOG ebenfalls von dieser Auffassung ausgegangen ist, ergibt sich nicht nur aus den Fristsetzungen für die Erlassung neuer Flächenwidmungs- und Bebauungspläne in den Abs1 und 2 des §31, sondern vor allem aus dem ausdrücklichen Hinweis im ersten Satz des Abs4, wonach das Bestehen eines Verbauungsplanes eine Gemeinde grundsätzlich nicht von der Verpflichtung befreit, innerhalb der in den Abs1 und 2 bestimmten Fristen Flächenwidmungs- bzw. Bebauungspläne zu erlassen.

Die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Bundesstraßenrechts bedeutet nicht, daß es dem Landesgesetzgeber verwehrt ist, die Gemeinde unter dem Gesichtspunkt des Baurechts zu ermächtigen, bei der Normierung von Bauverboten und Baubeschränkungen auf Projekte oder Planungen Bedacht zu nehmen, die Bundesstraßen betreffen (siehe VfSlg. 7658/1975).

Wenn nach dem endgültigen Ablauf der beiden in §31 Tir. RaumOG festgelegten Fristen - das ist also ab dem 01.07.82 - in einem nach §31 Abs3 Tir. RaumOG übergeleiteten (alten) Plan - auch nur teilweise - neue, dem Tir RaumOG entsprechende Festlegungen vorgenommen werden, dann ist der Plan (in der modifizierten Form) zur Gänze an den Bestimmungen des Tir. RaumOG zu messen. Die Worte "bis zur Erlassung der Flächenwidmungs- bzw. Bebauungspläne, die den Bestimmungen dieses Gesetzes entsprechen," in §31 Abs3 Tir. RaumOG sind so zu verstehen, daß darunter jede Flächenwidmungs- oder Bebauungsnorm zu subsumieren ist, nicht nur (komplette) neue Flächenwidmungs- oder Bebauungspläne.

Der Inhalt des hier bekämpften Bebauungsplanes 85/d ist somit seit dem Inkrafttreten der Änderung durch den Gemeinderatsbeschluß vom 28.06.84 - das ist seine erste ab dem 01.07.82 erfolgte Modifizierung - zur Gänze an den Bestimmungen des Tir. RaumOG zu messen.

Zu §16 Abs5 Tir. RaumOG 1984, wonach die Widmung als Sonderfläche auf Antrag des Grundeigentümers aufzuheben ist, wenn innerhalb von 10 Jahren die widmungsgemäße Verwendung nicht erfolgte.

Diese Gesetzeslage nach dem Tir RaumOG ist sowohl aus Gründen der Verfassungskonformität als auch der Systematik (auch im Hinblick auf §9 Abs2 lita Tir. RaumOG) dahin zu interpretieren, daß Hauptverkehrsflächen (in gewisser Hinsicht) als Sonderflächen zu behandeln sind. Damit enthält das Gesetz eine Regelung, welche das im Antrag bekämpfte und im Urteil des EuGH für Menschenrechte vom 23.09.82, Fall Sporrong und Lönnroth (EuGRZ 1983, S 523ff) als Verstoß gegen Art1 des ersten Zusatzprotokolls zur MRK qualifizierte Ergebnis (Bauverbot im Baugebiet wegen beabsichtigter Errichtung von Verkehrsflächen, welche aber durch Jahrzehnte nicht in Angriff genommen wurde) vermeiden läßt; eine Regelung übrigens, welche in ihrer Zielsetzung jener des Bundesstraßengesetzes 1971 (siehe dessen §§14 und 15) entspricht.

Der Bebauungsplan Nr. 85/d, Wilten-Süd, der Stadtgemeinde Innsbruck, vom Gemeinderat beschlossen am 30.06. bzw. 07.07.60, wird, soweit er die Gp 542/1 und 541, KG Wilten als Verkehrsfläche festlegt, als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Grundstücke des Antragstellers sind im bekämpften Plan zwar nicht ausdrücklich als Hauptverkehrsfläche oder als Sonderfläche bezeichnet, sie sind vielmehr - seit mehr als 10 Jahren - durch Festlegung der Straßenfluchtlinie sowie durch die entsprechende Färbelung auf dem Plan als Verkehrsfläche gekennzeichnet. Diese Kennzeichnung entspricht im Inhalt durchaus einer Widmung als Hauptverkehrsfläche (Sonderfläche) gemäß §17 iVm §16 Abs1 litb Tir. RaumOG.

Die Voraussetzung für die in §16 Abs5 Tir. RaumOG enthaltene Verpflichtung zur Aufhebung der Widmung ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes gegeben, weil der Antragsteller zwar nach der Aktenlage einen ausdrücklichen Antrag auf Aufhebung der Widmung nicht gestellt, aber durch sein - wiederholtes - Herantreten an die Stadtgemeinde eindeutig den Wunsch zum Ausdruck gebracht hat, eine Änderung des bestehenden Zustandes zu erreichen, was - bei einer rechtsschutzfreundlichen Deutung - auch als Begehren auf Änderung der den Antragsteller störenden Widmung gewertet werden kann. Auch von seiten des Gemeinderates bzw. der Stadtgemeinde Innsbruck wurde im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht im geringsten in Abrede gestellt, daß dort die Wünsche des Antragstellers auf Änderung des bestehenden Zustandes hinsichtlich seiner Grundstücke genau bekannt waren.

Aufhebung der Widmung als Verkehrsfläche (= Sonderfläche) zweier Grundstücke des Antragstellers im Bebauungsplan Nr. 85/d, Wilten-Süd, der Stadtgemeinde Innsbruck, vom Gemeinderat beschlossen am 30.06. bzw 07.07.60, wegen Widerspruchs zu §17 iVm §16 Abs5 Tir. RaumOG 1984.

Durch sein wiederholtes Herantreten an die Stadtgemeinde hat der Antragsteller eindeutig den Wunsch zum Ausdruck gebracht, eine Änderung des bestehenden Zustandes zu erreichen, was - bei einer rechtsschutzfreundlichen Deutung - auch als Begehren auf Änderung der den Antragsteller störenden Widmung gewertet werden kann.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Bebauungsplan, VfGH / Prüfungsmaßstab, Geltungsbereiche eines Gesetzes, Baurecht, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Kompetenz Bund - Länder Straßenverwaltung, Kompetenz Bund - Länder Raumplanung, Auslegung eines Antrages

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:V138.1987

Dokumentnummer

JFR_10118996_87V00138_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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