RS Vfgh 1988/10/5 G197/87, G148/88

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Veröffentlicht am 05.10.1988
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung 1973

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
KSchG §3
GewO 1973 §57 Abs1
GewO 1973 §60

Leitsatz

Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung der Wortfolge "Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege" in §57 Abs1 GewO 1973; Legitimation der ASt. Gesellschaften als Träger einschlägiger Gewerbeberechtigungen gegeben; Provokation eines Verwaltungsstrafverfahrens bzw. eines Wettbewerbsprozesses unzumutbar GewO 1973 §57 Abs1; Zulässigkeit der Verfolgung von Zielen des Konsumentenschutzes mit Hilfe gewerberechtlicher Vorschriften; Unterbindung von Haustürgeschäften und Vertriebsparties bei Kosmetika kein Verstoß gegen die Erwerbsausübungsfreiheit; Verbotsregelung des Direktvertriebes wegen der psychologischen Kaufsituation aus Gründen der Gefährdung von Konsumenteninteressen sachlich gerechtfertigt

Rechtssatz

Die Antragsteller sind als Träger einschlägiger Gewerbeberechtigungen, auf Grund derer sie zum Handel mit kosmetischen Artikeln befugt sind, durch das in §57 Abs1 GewO enthaltene Verbot, Privatpersonen zum Zweck des Sammelns von Bestellungen auf Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege aufzusuchen, mit aktueller Wirkung in ihrer Rechtsposition betroffen (vgl. VfGH vom 01.12.87, G132/87 ua.).

Den antragstellenden Gesellschaften ist die Übertretung des von ihnen bekämpften Verbots unzumutbar, was dazu führt, daß sie nicht nur nicht auf den Weg eines Verwaltungsstrafverfahrens, sondern - entgegen der Ansicht der Bundesregierung - auch nicht auf den eines Wettbewerbsprozesses verwiesen werden können.

Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, daß es zulässig ist, Ziele des Konsumentenschutzes mit Hilfe von Vorschriften des Gewerberechts zu verfolgen (vgl. VfSlg. 9543/1982 mwH auf Literatur und Judikatur, 10831/1986 sowie Wenger, Der Verbraucherschutz im österreichischen Verwaltungsrecht, JBl. 1970, 230 ff.) und daß die Wahrnehmung konsumentenpolitischer Erwägungen bei der gewerberechtlichen Regelung der Ausübung von Handelsgewerben im öffentlichen Interesse liegt.

Der Gesetzgeber hat durch die Aufnahme der "Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege" in den Verbotskatalog des §57 Abs1 GewO 1973 mit der Folge, daß das Aufsuchen von Privatpersonen zum Sammeln von Bestellungen auf derartige Waren untersagt ist, den ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten und in die Erwerbsausübungsfreiheit nicht unverhältnismäßig eingegriffen.

Den antragstellenden Gesellschaften ist zuzugestehen, daß Gründe des Gesundheitsschutzes die konkrete Regelung nicht zu rechtfertigen vermögen. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß es im Interesse des Konsumentenschutzes gerechtfertigt sein kann, für den Direktvertrieb von Waren und für sogenannte Haustürgeschäfte besondere Regeln aufzustellen, da sich der Konsument in solchen Situationen in einer anderen Lage befindet, als beim Kauf in herkömmlichen Verkaufsstellen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Konsument beim Direktvertrieb durch das Aufsuchen von Privatpersonen und hier wieder insbesondere im Rahmen sogenannter "Vertriebsparties" unter einen besonderen psychologischen Kaufdruck gerät.

Wenn der Gesetzgeber die Existenz derartiger Erscheinungen zum Anlaß genommen hat, für bestimmte Bereiche, in denen er dies aus sachl Erwägungen als unerwünscht ansieht, Haustürgeschäfte und Vertriebsparties von vornherein zu unterbinden, so kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, er habe das Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt. Die Erwerbsausübungsfreiheit gebietet insbesondere nicht, auf eine solche verbietende Regelung im Hinblick auf bestehende Rücktrittsrechte (§60 GewO 1973, §3 KSchG) zu verzichten.

Verbot des Direktvertriebs von Kosmetika in §57 Abs1 GewO 1973.

Die angefochtene Bestimmung kann angesichts ihrer Eignung, den Konsumenten vor psychologischem Kaufzwang und Irreführungsmöglichkeiten im Fall des Direktvertriebs zu bewahren, als taugliche und nicht unverhältnismäßige Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit sachlich gerechtfertigt werden.

Wenn der Gesetzgeber ein solches Verbot nur in Bereichen statuiert, in denen er mit guten Gründen die Gefährdung von Konsumenteninteressen befürchtet oder in denen sich in der Praxis (vgl. OGH vom 13.07.76, 4 Ob 338, 339/76, ÖBl. 1976, 158) konsumentenpolitisch negativ zu bewertende Erscheinungen beim Direktvertrieb gezeigt haben (wobei es nicht maßgeblich sein kann, ob es bei den antragstellenden Gesellschaften zu Unzulänglichkeiten gekommen ist), und durch eine Verordnungsermächtigung den Verwaltungsorganen die Möglichkeit gibt, beim Auftreten gleichartiger Gefährdungen das Verbot auch auf andere Bereiche zu erstrecken, so kann ihm unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes nicht entgegengetreten werden.

Sachliche Rechtfertigung durch die besondere, gerade beim Direktvertrieb durch das Aufsuchen von Privatpersonen gegebene psychologische Kaufsituation.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Konsumentenschutz, Gewerberecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:G197.1987

Dokumentnummer

JFR_10118995_87G00197_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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