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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
FinStrG; Wiederaufrollen rechtskräftig beendeter Finanzstrafverfahren in Ausübung des Aufsichtsrechts - §170 Abs2 idF der Finanzstrafgesetznovelle 1975 gleichheitswidrigRechtssatz
Kein Eingehen auf die Frage, ob der materiellen Richtigkeit oder der Rechtssicherheit der Vorrang einzuräumen ist und in welchen Fällen daher die Rechtskraft durchbrochen werden darf (vgl. VfSlg. 4986/1965).
Die österreichische Strafrechtsordnung ist vom Grundprinzip beherrscht, daß ein Wiederaufrollen rechtskräftig beendeter Strafverfahren zum Nachteil des Beschuldigten nur bei Vorliegen gesetzlich streng umrissener Wiederaufnahmsgründe im Tatsachenbereich zugelassen sei und daher die bloße Rechtswidrigkeit (also die nicht besonders qualifizierte Rechtswidrigkeit) der die Strafsache abschließenden Erledigung nicht hinreiche. Von diesem Grundprinzip darf der Gesetzgeber nicht für einen bestimmten Verfahrensbereich abgehen, sondern lediglich hievon abweichende Ausnahmen vorsehen, die aber sachlich gerechtfertigt sein müssen.
Für den Bereich weisungsgebundener Staatstätigkeit ist auch im Bereich des Strafrechtes die Aufhebung rechtswidriger, aber formell rechtskräftiger Bescheide nicht geradezu typisch.
§170 Abs2 FinStrG, BGBl. 129/1958, idF der Finanzstrafgesetznovelle 1975, BGBl. 335, wird wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot als verfassungswidrig aufgehoben.
Aufhebung von Entscheidungen in Ausübung des Aufsichtsrechtes durch die Oberbehörde.
Bereich des Strafrechtes bedarf das Wiederaufrollen eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zum Nachteil des Beschuldigten einer ganz besonderen sachlichen Rechtfertigung.
Regelung der Aufhebung von Entscheidungen in Ausübung des Aufsichtsrechtes durch die Oberbehörde in §170 Abs2 FinStrG.
Die getroffene Regelung ist an sich unsachlich. Ihre Verfassungswidrigkeit wird nicht dadurch beseitigt, daß §302 Abs1 BAO ihre Anwendbarkeit zeitlich beschränkt. Die Unsachlichkeit der Regelung besteht auch dann, wenn sich die Vollziehung an das Gesetz hält; auch die Überprüfung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes ändert daran - solange das (gleichheitswidrige) Gesetz besteht - nichts.
Zwar wäre es verfassungsrechtlich an sich unbedenklich, wenn von einem Einzelorgan im Finanzstrafverfahren getroffene rechtskräftige Entscheidungen auch zum Nachteil des Bestraften unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben werden dürfen, dies aber jedenfalls nur dann, wenn die Regelung jener für die Spruch- und Berufungssenate geltenden derart entspricht, daß sie ihr verfahrensrechtlich gleicht und für den Bestraften nicht belastender als jene wirkt. Ein solches ausgewogenes System ist derzeit schon deshalb nicht gegeben, weil die für den Bestraften bestehende Unsicherheit bei Entscheidungen durch Spruch- und Berufungssenate (obgleich es sich in der Regel um gravierendere Fälle handelt als bei den von Einzelorganen behandelten) die für den Bestraften bestehende Unsicherheit bloß einen Monat bzw. sechs Wochen währt, während der Schwebezustand bei Entscheidungen durch Einzelorgane ein Jahr dauert.
Aufhebung des §170 Abs2 FinStrG - Regelung der Aufhebung von Entscheidungen in Ausübung des Aufsichtsrechtes durch die Oberbehörde; keine sachliche Rechtfertigung für das Wiederaufrollen eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zum Nachteil des Beschuldigten und für den Ausschluß der Entscheidungen der Spruch- und Berufungssenate von der Ausübung des Aufsichtsrechtes.
Schlagworte
Bescheid Rechtskraft, Verwaltungsverfahren, Abänderung und Behebung von amtswegen, Strafrecht, Strafprozeßrecht, FinanzverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:G5.1988Dokumentnummer
JFR_10118993_88G00005_01