RS Vfgh 1988/10/8 V53/87

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Veröffentlicht am 08.10.1988
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Index

95 Technik
95/07 Dampfkesselrecht

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
DampfkesselV 1986
Erlaß Nr 68 des Bundesministers für Bauten und Technik vom 06.12.71 idF des Erlasses Nr 128 vom 11.12.78 und Nr 160 vom 26.06.85
BGBlG 1972 §2 Abs1 litf
DampfkesselV 1948 (= DKV) §37 Abs1
DampfkesselV 1948 (= DKV) §45 Abs4
VerwaltungsentlastungsG Art48
VfGG §57 Abs1
VfGG §57 Abs2

Leitsatz

Art139 Abs1 B-VG; denkunmögliche Annahme der Präjudizialität der DampfkesselV 1948 - ausschließliche Rechtsgrundlage der angefochtenen Erlässe ist Art48 VerwaltungsentlastungsG; offenkundig unrichtige Annahme der Präjudizialität der DampfkesselV 1986 - Eingehen auf neue Rechtslage ist dem ASt. Gericht infolge Bindung an die Entscheidung des Rekursgerichtes verwehrt Erl. des Bundesministers für Bauten und Technik Nr. 68 idF der Erl. Nr. 128 und 160 über Ausnahmebestimmungen für Handfeuerlöscher; ausreichende Verlautbarung; verpflichtender Charakter; trotz des formell auf Verwaltungsorgane beschränkten Adressatenkreises inhaltlich Gestaltung der Rechtslage für alle Personen, die Handfeuerlöscher besitzen - Rechtsverordnung; Feststellung der Gesetzwidrigkeit wegen nicht ordnungsgemäßer Kundmachung iS des §2 Abs1 litf BG über das Bundesgesetzblatt

Rechtssatz

Der Verfassungsgerichtshof ist zwar nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist aber ein Antrag iSd Art139 B-VG dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückzuweisen, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984; VfGH vom 07.12.87, G145/87).

Der Verfassungsgerichtshof ist der Meinung, daß es offenkundig unrichtig und daher denkunmöglich ist, daß das Kreisgericht die §§37 Abs1 und 45 Abs4 der DampfkesselV 1948, BGBl. 83, zuletzt idF BGBl. 444/1984, (DKV 1948), im Anlaßfall anzuwenden hat.

Die vom Kreisgericht anzuwendenden Erlässe stützen sich nämlich ausschließlich auf §48 VEG.

Der Umstand, daß sich die ebenfalls angefochtenen Erlässe Nr. 68, 128 und 160 des Bundesministeriums für Bauten und Technik ausdrücklich auf §37 Abs1 DKV 1948 berufen, vermag an der mangelnden Präjudizialität dieser Bestimmung für den Anlaßfall nichts zu ändern.

Zurückweisung des Antrages auf Aufhebung der §§37 Abs1 DKV mangels Präjudizialität sowie mangels ausreichender Darlegung der Bedenken iSd §57 Abs1 VfGG.

Weder §37 Abs1 noch §45 Abs4 der (alten) DKV 1948

beschäftigen sich mit der Verbindlicherklärung von ÖNORMEN. Diese Vorschriften können zu den dargelegten Bedenken gegen die Verbindlicherklärung von ÖNORMEN auch nicht in Beziehung gebracht werden. Das antragstellenden Kreisgericht hat sohin in Wahrheit gegen die §§37 Abs1 und 45 Abs4 DKV 1948 entgegen der Vorschrift des §57 Abs1 VfGG 1953 keine hinlänglichen, für einen Prüfungsantrag erforderlichen Bedenken ob ihrer Gesetzmäßigkeit dargelegt. Der Prüfungsantrag war sohin insoweit auch aus diesem Grunde als unzulässig zurückzuweisen (VfSlg. 4340/1962, 9747/1983; VfGH vom 07.12.87, G145/87).

Dem Kreisgericht ist laut dem Beschluß des Rekursgerichtes lediglich aufgetragen, "den zur Beurteilung der vormaligen Berechtigung des Unterlassungsbegehrens wesentlichen Sachverhalt festzustellen und einer rechtlichen Würdigung zu unterziehen". Damit ist dem Kreisgericht Krems an der Donau ein Eingehen auf die neue, durch die DKV 1986 bewirkte Rechtslage in Zusammenhang mit der Feuerlöscher-Prüfungsbefugnis des Klägers verwehrt. Zur Beurteilung der Rechtsfrage der "vormaligen Berechtigung" des Klägers, auf die sich das Kreisgericht Krems an der Donau im fortgesetzten Verfahren zu beschränken hat, ist es denkunmöglich, die Gesetzmäßigkeit der (neuen) DKV 1986 als Vorfrage iSd §57 Abs2 VfGG 1953 heranzuziehen. ArtI §37 Abs1, §§45, 49 und 78 sowie ArtII, weiters die Anlage 10, insbesondere deren Abschnitt C 12 und D 6, der DKV 1986 sind sohin nicht präjudiziell. Der Antrag des Kreisgericht Krems an der Donau war auch insoweit zurückzuweisen.

Verlautbarung des Erlasses Nr. 68 des Bundesministeriums für Bauten und Technik vom 06.12.71 in den "Amtlichen Nachrichten des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie und des Bundesministeriums für Bauten und Technik".

Eine derartige Verlautbarung reicht jedenfalls aus, daß die im Erlaß Nr. 68 enthaltene Regelung in den Rechtsbestand eingegangen ist (vgl. VfSlg. 6422/1971, 6945/1972, 8649/1979).

Veröffentlichung der den Erlaß Nr. 68 ergänzenden Erlässe Nr. 128 und 160 des Bundesministeriums für Bauten und Technik in der Zeitschrift "ÖNORM"; Zuleitung der Erlässe an Landeshauptmann; Benachrichtigung des Technischen Überwachungs-Vereins Wien.

Damit liegt auch bezüglich der Erlässe Nr. 128 und Nr. 160 eine Verlautbarung in einem solchen Maße vor, daß die darin enthaltenen Regelungen in den Rechtsbestand eingegangen sind (vgl. ähnlich schon VfSlg. 8649/1979, sowie insbesondere E v 29.02.88, V11/87, demzufolge es für das Vorliegen einer Verordnung als ausreichend angesehen wurde, daß der in Frage stehende beh Akt faktisch bekannt und von den Normadressaten zur Kenntnis genommen wurde.)

Die Erlässe Nr. 68, 128 und 160 des Bundesministeriums für Bauten und Technik weichen von den auf Z VIII des Art48 des VerwaltungsentlastungsG gestützten Regelungen der DKV 1948 ab und beruhen selbst auf derselben Bestimmung des VerwaltungsentlastungsG, wonach auch die näheren Bestimmungen "über Ausnahmen und Erleichterungen ... durch Verordnung getroffen" werden. Mit Rücksicht auf diese Rechtsgrundlage und angesichts des generell umschriebenen Kreises von Amtsträgern, an welchen die Erlässe ausdrücklich gerichtet sind, steht deren generelle Natur außer Zweifel. Der Erlaß des Bundesministeriums für Bauten und Technik Nr. 68 idF der Erlässe Nr. 128 und 160 über Ausnahmebestimmungen für Handfeuerlöscher ist sohin eine Verordnung gemäß Art139 B-VG.

Die als Verordnungen zu qualifizierenden Erlässe des Bundesministeriums für Bauten und Technik Nr. 68, 128 und 160 bilden mindestens insoweit eine denkmögliche Voraussetzung für die Entscheidung des antragstellenden Kreisgericht Krems an der Donau in der bei ihm anhängigen Rechtssache, als diese Erlässe - unter anderem durch Verbindlicherklärung der ÖNORM F 1052 - die Voraussetzungen benennen, die Personen erfüllen müssen, damit sie als "Löscherwarte" zur Instandsetzung und periodischen Überprüfung von Handfeuerlöschern geeignet und befugt sind.

Da es jedenfalls denkmöglich ist, daß das Kreisgericht Krems an der Donau bei seiner Entscheidung, ob der Kläger vor Inkrafttreten der (neuen) DKV 1986 zur Instandsetzung und Prüfung von Handfeuerlöschern geeignet und gesetzlich berechtigt war, die genannten drei Erlässe des Bundesministeriums für Bauten und Technik anzuwenden hat, ist der Antrages des Kreisgericht Krems an der Donau auf Überprüfung der Erlässe gemäß Art139 B-VG durch den Verfassungsgerichtshof zulässig.

Die Erlässe Nr. 68, 128 und 160 des Bundesministeriums für Bauten und Technik treffen eine die Rechtslage verändernde Regelung und haben verpflichtenden Charakter. Der die Rechtslage ändernde Charakter der Erlässe läßt sich schon daraus entnehmen, daß dadurch für Handfeuerlöscher spezielle, von der allgemein für Druckgefäße verbindlichen DKV 1948 abweichende Sondervorschriften getroffen wurden. Der verpflichtende Charakter ergibt sich eindeutig aus den Formulierungen der Erlässe.

Angesichts der Regelungen erweisen sich die Erlässe Nr. 68, 128 und 160 trotz ihres scheinbar auf Verwaltungsorgane begrenzten formellen Adressatenkreises ihrem Inhalt nach als eine Gestaltung und Veränderung der Rechtslage für alle Personen, welche Handfeuerlöscher besitzen, oder welche die Funktion eines Löscherwarts auszuüben beabsichtigen. Die Erlässe sind mithin Rechtsverordnungen (vgl. zB VfSlg. 8648 und 8649/1979).

Der Erlaß des Bundesministeriums für Bauten und Technik Nr. 68 vom 06.12.71, Zl. 557.174-III/21/71, idF der Erlässe Nr. 128 vom 11.12.78, Zl. 43014/14-IV/3/77 und Nr. 160 vom 26.06.85, Zl. 43210/2-IV/3/85, war gesetzwidrig.

Als Rechtsverordnungen sind die Erlässe Nr. 68, 128 und 160 vom Bundesministeriums für Bauten und Technik nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden. Rechtsverordnungen eines Bundesministeriums müssen nämlich gemäß §2 Abs1 litf des Bundesgesetzes über das BGBl. 1985, BGBl. 200, im BGBl. kundgemacht werden. Da eine solche Kundmachung nicht stattgefunden hat, erweisen sich die angeführten drei Erlässe des Bundesministeriums für Bauten und Technik in gesetzwidriger Weise kundgemacht und sind damit schon die Bedenken des Kreisgericht Krems an der Donau im Hinblick auf das Rechtsstaatsgebot bestätigt.

Mit dem Inkrafttreten der DKV 1986 am 26.09.86, deren Anlage 10 unter C 12 liti und D 6 litd auch die bisher von den drei Erlässen Nr. 68, 128 und 160 des Bundesministeriums für Bauten und Technik geregelten Vorschriften über Handfeuerlöscher und ihre Überprüfung enthält, haben die Regelungen der drei Erlässe kraft materieller Derogation ihre Gültigkeit verloren.

Aufhebung der als Rechtsverordnung zu qualifizierenden Erlässe Nr. 68, 128 und 160 des Bundesministeriums für Bauten und Technik wegen nicht erfolgter Kundmachung im BGBl. iSd §2 Abs1 litf BGBlG.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Dampfkesselwesen, VfGH / Antrag, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Bedenken, Normenwesen, VfGH / Prüfungsgegenstand, Verordnungsbegriff, Verordnung Kundmachung, Derogation materielle

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:V53.1987

Dokumentnummer

JFR_10118992_87V00053_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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