RS Vfgh 1988/12/6 B1092/87

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Veröffentlicht am 06.12.1988
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art90 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StVO 1960 §5 Abs6
MRK Art8
StVO 1960 §99 Abs1 litc

Leitsatz

Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG; von Exekutivbeamten veranlaßte Blutabnahme zwecks Blutalkoholbestimmung - auch bei bewußtloser Person in Ausübung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetzte Maßnahme; rechtzeitige Erhebung der Beschwerde iS des §82 Abs2 VerfGG idF BGBl. 311/1976 Art8 Abs1 und Abs2 MRK; StVO §5 Abs6; keine Ermächtigung zur zwangsweisen behördlichen Blutabnahme gegen den Willen des Betroffenen bzw. bei einer bewußtlosen Person durch den als Ausnahmebestimmung zu Art90 Abs2 B-VG zu sehenden §5 Abs6 StVO oder eine andere Bestimmung der österreichischen Rechtsordnung; Verletzung des Rechtes auf Achtung des Privatlebens

Rechtssatz

Bei der von Exekutivbeamten veranlaßten Blutabnahme zwecks Blutalkoholbestimmung handelt es sich um eine straßenpolizeiliche, in Ausübung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetzte Maßnahme, die sich gegen eine bestimmte Person, nämlich den Beschwerdeführer richtete.

Der Umstand, daß bei einer bewußtlosen Person eine die Anfechtbarkeit der behördlichen Maßnahme nach Art144 Abs1 B-VG ausschließende Zustimmung zu der von der Behörde verfügten Maßnahme von vornherein unmöglich ist, kann nicht dazu führen, bei bewußtlosen Personen eine derartige Zustimmung zu fingieren.

Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß eine behördliche Blutabnahme zum Zwecke der Blutalkoholbestimmung in das Recht auf Achtung des Privatlebens eingreift, weil dadurch die zur Privatsphäre zählende physische Integrität des Menschen von hoher Hand beeinträchtigt wird (mit Hinweis auf Literatur und Judikatur).

Jeder gegen einen Beschuldigten gerichtete behördliche Eingriff, der diesen unter Strafsanktion verpflichtet, an der Wahrheitsfindung durch ein mündliches Geständnis oder dergestalt mitzuwirken, daß er seinen Körper für medizinische Eingriffe, mit anderen Worten als Beweismittel (gegen sich selbst) zur Verfügung stellt, widerspricht dem Anklageprinzip (so auch VfGH 26.09.86, B502/85). Mit Rücksicht auf diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz mußte der Verfassungsgesetzgeber §5 Abs6 StVO als Verfassungsbestimmung beschließen und bezeichnen, um damit zum Zwecke der erleichterten strafrechtlichen Verfolgung von Verkehrsdelikten eine Ausnahmebestimmung zu schaffen.

Es würde dem Charakter des §5 Abs6 StVO als Ausnahmebestimmung zu Art90 Abs2 B-VG (vgl. auch VwGH 25.05.64, Zl 1839/1962) widersprechen, in extensiver und dem Willen des historischen Gesetzgebers zuwiderlaufender Auslegung dieser Bestimmung die Ermächtigung zur zwangsweisen behördlichen Blutabnahme gegen den Willen des Betroffenen zu entnehmen.

Ist eine zwangsweise Blutabnahme ohne Einwilligung des Betroffenen auf Grund §5 Abs6 StVO iVm. Art90 Abs2 B-VG ausgeschlossen, so kommt eine Blutabnahme bei bewußtlosen Personen unter Berufung auf diese Rechtsvorschrift von vornherein nicht in Betracht. Wenn

§5 Abs6 StVO zwar unter best Voraussetzungen eine Verpflichtung festlegt, sich einer Blutabnahme zu unterziehen, und im Verein mit

§99 Abs1 litc StVO für den Fall der Verletzung dieser Pflicht eine Verwaltungsstrafe vorsieht, ohne jedoch die Verwaltungsbehörde zum Zwecke der Blutabnahme mit direkten Zwangsbefugnissen auszustatten, scheidet eine Blutabnahme bei bewußtlosen Personen schon deswegen aus, weil bei diesen eine Blutabnahme zum Zwecke der Blutalkoholfeststellung von vornherein lediglich als unmittelbare behördliche Zwangsmaßnahme denkbar und möglich ist.

Der durch die zwangsweise Blutabnahme beim (bewußtlosen) Beschwerdeführer bewirkte behördliche Eingriff in dessen verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Achtung des Privatlebens konnte sich auf keine gesetzliche Grundlage iSd Art8 Abs2 MRK stützen. Der Eingriff war gesetzlos und verletzte den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung seines Privatlebens gemäß Art8 Abs1 MRK.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Straßenpolizei, Alkoholisierung, Blutabnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B1092.1987

Dokumentnummer

JFR_10118794_87B01092_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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