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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Art144 Abs1 B-VG zweiter Satz; Festnehmung, anschließende Verwahrung, zwangsweise Entfernung aus einem bestimmten Straßenbereich außerhalb des Versammlungsgebietes - Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; §§19, 14 Abs1 VersammlungsG iVm. §35 litc VStG; rechtmäßige Auflösung einer Versammlung; gegen den Widerstand des Bf.durchgesetzte Entfernung aus dem Versammlungsgebiet zwangsläufige Begleiterscheinung der Amtshandlung - keine "Verhaftung"; rechtmäßige Festnahme infolge vertretbarer Annahme einer Verwaltungsübertretung nach §19 iVm. §14 Abs1 VersammlungsG; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch unzulässig lange Anhaltung nach Beendigung der Versammlungsauflösung - keine Wiederholungsgefahr Art12 StGG; Art11 MRK; VersammlungsG; kein Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit durch die nach rechtmäßiger Auflösung der Versammlung verfügte Festnahme und AnhaltungRechtssatz
Zulässigkeit der Beschwerde gegen die zwangsweise Verbringung an einen anderen Ort (VfSlg. 9983/1984).
Der Beschwerdeführer wurde zwar am Verbleiben an Ort und Stelle (zwangsweise) gehindert, aber darüberhinaus in seiner Bewegungsfreiheit keineswegs eingeschränkt. Die Bewegungsbehinderung, die für die kurze Zeit der (allein beabsichtigten) Fortbeförderung - angesichts des Widerstrebens des Beschwerdeführers - zwangsläufig eintrat, erweist sich bei all dem bloß als notwendige und unvermeidbare (sekundäre) Begleiterscheinung der Amtshandlung, die (primär) lediglich auf ein Fernhalten von der Ringfahrbahn gerichtet war und darum schon von ihrer Zielsetzung her nicht einer "Verhaftung" gleichgesetzt werden kann (vgl. dazu VfSlg. 8815/1980, 9983/1984, 10.378/1985; siehe auch VfGH 26.06.87 B794/86).
Es kann nicht zweifelhaft sein, daß es hier im Zuge der Veranstaltung zu einer Reihe von gesetzwidrigen ("die Rechte anderer" (iSd Art11 Abs2 EMRK - siehe auch VfSlg. 10.443/1985) beeinträchtigenden) Zwischenfällen kam, welche die behördliche Auflösungsverfügung rechtfertigten: Die wiederholte Verwendung von Raketen und Wurfgeschoßsurrogaten gefährdete nämlich den Umständen nach die körperliche Sicherheit von Ballbesuchern, Passanten und Sicherheitswachebeamten. Die (im Zeitpunkt der Festnehmung drohende) Fortsetzung dieser gesetzwidrigen Handlungen konnte keinesfalls einzig und allein zum Nachteil des gefährdeten Personenkreises hingenommen und geduldet werden. Angesichts der rechtmäßigen Versammlungsauflösung, die, lautstark verkündet, naturgemäß (auch) dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gelangte, waren alle Anwesenden nach §14 Abs1 VersammlungsG verhalten und verpflichtet, "den Versammlungsort sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen": Im Fall des Ungehorsams kann eine derartige (Versammlungs-)Auflösung durch Anwendung von Zwangsmitteln in Vollzug gesetzt werden (§14 Abs2 VersammlungsG). Übertretungen des VersammlungsG - so auch des §14 Abs1 - sind von der Verwaltungsbehörde als Verwaltungsübertretung zu ahnden (§19 VersammlungsG).
Denkmögliche Annahme der Verwaltungsübertretung des §14 Abs1 iVm §19 VersammlungsG anläßlich der "Opernballdemonstration"; Beharren in der Tatfortsetzung.
Ein Festgenommener ist dem Sinn des §36 Abs1 VStG 1950 entsprechend (nur) dann vorzeitig, dh noch vor seiner Übergabe an die zuständige Behörde (zur Einvernahme) zu enthaften, wenn auf Grund besonderer Umstände augenfällig wird, daß er, freigelassen, das strafbare Tun nicht wieder aufnehmen werde (siehe auch VfGH 17.06.87 B491/86). Da hier die Versammlung am 26.02.87 gegen 22 Uhr 00 aufgelöst wurde und die Polizeimaßnahmen im Opernumfeld laut Funkprotokoll gegen 02 Uhr 00 früh des folgenden Tages (vollkommen und endgültig) abgeschlossen waren, hätte der Beschwerdeführer auch auf dem Boden der Argumentation der belangten Behörde - die ja selbst einräumt, daß die Haftanhaltung nur solange gerechtfertigt war, als die Gefahr einer Tatfortsetzung bestand - der gegebenen Situation nach nicht später als eine halbe Stunde nach Abzug der Polizei, di. um 02 Uhr 30, freigelassen werden dürfen. Die belangte Behörde brachte nichts vor, das darauf schließen ließe, es hätte nach Beendigung des gesamten Polizeieinsatzes vor dem Operngebäude noch konkrete Gefahr bestanden, daß der Beschwerdeführer sich mit anderen (wieder) zu ungesetzlichen Manifestationen versammeln würde. Keinesfalls war es gesetzlich zulässig, den Beschwerdeführer mit der (einzigen) Begründung, es drohe Wiederholungsgefahr, bis 05 Uhr 00 in Haft zu belassen, ohne ihn - er wurde von Sicherheitswachebeamten in das Polizeigefangenenhaus eingeliefert - der zuständigen Behörde vorzuführen, wie es §36 Abs1 VStG 1950 zwingend vorschreibt.
Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit.
Weder das außerhalb des (genehmigten) Versammlungsortes gelegene und den Beschwerdeführer an der Versammlungsteilnahme selbst nicht hindernde Vorgehen der Polizeiorgane (Entfernen des Beschwerdeführers aus einem bestimmten Straßenbereich außerhalb des Versammlungsgebietes) noch die erst nach der rechtmäßigen Versammlungsauflösung verfügte Festnahme und Haftanhaltung vermochten - nach Lage des Falles - in sein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Versammlungsfreiheit einzugreifen. Der Beschwerdeführer wurde folglich auch nicht in seinen Rechten nach Art12 StGG und Art11 EMRK verletzt.
Abweisung des Antrages auf Abtretung der Beschwerde an Verwaltungsgerichtshof.
Der Verfassungsgerichtshof hat die Rechtmäßigkeit einer Verhaftung und Haftanhaltung schlechthin zu untersuchen und sich nicht etwa auf die Frage der Gesetzlosigkeit oder denkunmöglichen Gesetzeshandhabung zu beschränken (VfSlg. 8076/1977), sodaß für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger - einfachges garantierter - Rechte kein Raum bleibt. Dies gilt auch für das Versammlungswesen, das seine Regelung im gemäß Art149 Abs1 B-VG als VerfassungsG geltenden Art12 StGG findet (VfSlg. 2244/1951, 9783/1983), weil jede in die Versammlungsfreiheit eingreifende rechtswidrige Maßnahme unmittelbar die Verfassung trifft und verletzt.
Unzulässig lange Anhaltung in Polizeihaft iSd §36 Abs1 VStG.
Keine Nachweisbarkeit der behaupteten Mißhandlungen (ungerechtfertigte Schläge mit dem Gummiknüppel, Ergreifen und Drücken der Hoden im Verlauf der exekutiven Amtshandlungen); es stehen Aussagen gegen Aussagen.
Zurückweisung der Beschwerde mangels tauglichen Beschwerdegegenstandes.
Schlagworte
Versammlungsrecht, VfGH / AbtretungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B351.1987Dokumentnummer
JFR_10118788_87B00351_01